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letzte Änderung:03.01.2011
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Privatisierung des Militärs oder Privatisierung der Sicherheit?

Erste Skizze, Kritik und Anregungen erwünscht

Aktuelle Wahrnehmungen

Private Militärunternehmen sind als neue Bedrohung für die internationale Ordnung und Menschenrechte in aller Munde. Sie erscheinen als hässliche Fratzen zu Ende gedachter neoliberaler Ordnungspolitik, die in einer weitgehend rechtsfreien Sphäre das schmutzige Geschäft des amerikanischen Hegemon und seiner Vasallen betreiben. Von einem undurchsichtigen 100 Mrd. Dollar Wirtschaftszweig ist die Rede, der vor allem durch sein massives Engagement im Irak nahezu täglich Schlagzeilen macht. Die einst eher staatsfeindliche Linke ruft inzwischen nach leistungsfähiger Staatlichkeit und robuster Autorität der Vereinten Nationen.

Da lohnt es sich schon etwas genauer nachzufragen, was wirklich neu ist und was die Perspektiven dieser Privatisierung sind? Zunächst Outsourcing, d.h. die Vergabe militärischer Aufgaben an Zivilisten, ist nichts Neues. Während des Kalten Krieges dienten auf westlicher Seite riesige Heere zivilen Personals dazu, der Hochrüstung ein niedrigeres politisches Profil zu verleihen. Im sowjetischen Machtbereich hingegen wurden alle militärischen Aufgaben, von der Küche bis zum Abort von uniformiertem Personal ausgeführt.

Neu ist, dass das zivile Personal nicht mehr von den Streitkräften direkt angestellt wird, sondern umfassende Aufgabenpakete an Unternehmen vergeben werden. Zugleich hat sich das funktionale Spektrum der Aufträge in Bereiche waffentragender Funktionen verschoben. Außerdem wird militärische Ausbildung an den privaten Sektor delegiert. Daher muss die Branche heute verstärkt Personen mit militärischer Ausbildung rekrutieren, also entweder ausgeschiedene Soldaten oder durch Abwerbung aus dem aktiven Dienst. Diese Unternehmen usurpieren Ausbildung, die der Steuerzahler bezahlt hat.

Die Gründe für das aktuelle Wachstum der privaten Militärindustrie nach dem Verschwinden der Sowjetunion sind vielfältig. Die verbliebene Supermacht kann sich seither ungehindert entfalten. Unwidersprochen wird behauptet, dass "special forces" in über sechzig Ländern im Rahmen des Krieges gegen den Terror im Einsatz seien. Die Einschaltung privater Militärfirmen erleichtert verdeckte interventionistische Außenpolitik. Im Rahmen der zahlreichen militärischen Einsätze im Ausland hat der massive Einsatz "zivilen Personals" vor allem zwei Funktionen. Er verschleiert die tatsächliche Größenordnung des Engagements, was die politische Durchsetzbarkeit erleichtert. Zugleich verdeckt er aber auch die gemessen an den aufgewendeten Mitteln und beschäftigtem Personal beschämend geringe Leistungsfähigkeit militärischer Organisationen. Ein Blick auf die Bundeswehr genügt. Mit rund 10 000 Personen im Auslandseinsatz, bei mehr als 300 000 Beschäftigten hat sie ihre Leistungsgrenze erreicht.

Das Angebot

Betrachten wir zunächst die Angebotsseite. Das Ende von Kriegen setzt Militärpersonal frei, das weltweit nach neuer Beschäftigung sucht. So übernahm bereits von Seeckt, der Gründer der Reichswehr, kaum im Ruhestand die Leitung eines Militärunternehmens deutscher Offiziere des 1.Weltkriegs, das im chinesischen Bürgerkrieg auf der Seite Tschiang Kaischeks Truppen ausbildete, militärische Operationen plante, Kruppkanonen verkaufte und als Bezahlung strategische Rohstoffe, wie Wolfram, importierte. Nach dem 2. Weltkrieg verdingten sich deutsche Offiziere u.a. in Ägypten und Argentinien, während das Fußvolk der Waffen-SS bei der französischen Fremdenlegion sein Heil suchte. Ursprünglich von der Trias CIA, pakistanischer Geheimdienst und dem Hause Saud mobilisiert, finanziert und ausgerüstet, um die Sowjetunion aus Afghanistan zu vertreiben, suchten nach 1990 zehntausende "Jihadis" nach neuen Betätigungsfeldern u.a. in Bosnien, Tschetschenien und nun im Irak. Unternehmerisch organisiert tauchten die kampferprobten Krieger des Apartheidregimes nach dessen Ende in den bewaffneten Konflikten in Angola und Westafrika als leistungsfähige Anbieter von militärischen Dienstleistungen auf. Der Zerfall der Sowjetarmee schließlich hat viel militärisches Fachpersonal freigesetzt, das allerdings nur zu einem sehr kleinen Teil fähig war, sich unternehmerisch auf dem Weltmarkt anzubieten. Bei der Analyse der Angebotsseite ist zu berücksichtigen, dass ausgebildetes Militärpersonal nur eine relativ kurze "Halbwertzeit" hat und in nur zehn Jahren ein solcher Überschuss an Personal entwertet ist.

Heute wird das Angebot von der Umstellung zu Berufsarmeen in wichtigen westlichen Industrienationen bestimmt. Denn zur Personalstruktur von Berufsarmeen gehört es, dass Kampftruppen durch das Angebot von befristeten Laufbahnen (vier bis zehn Jahre) auf dem notwendigen niedrigen Durchschnittsalter vorgehalten werden. Auf der anschließenden Suche nach ziviler Beschäftigung stellt diese Gruppe noch für einige Jahre eine Reservearmee ausgebildeter Soldaten, auf die die privaten Militärunternehmen bei entsprechender Bezahlung zurückgreifen können. Inwieweit unterbezahlte, aber gut ausgebildete Soldaten aus Ländern der Dritten Welt diesen Angebotspool erweitern, werden die empirische Untersuchung des Booms im Irak und die weitere Entwicklung dieser Branche zeigen. Vieles spricht jedoch dafür.

Die Nachfrage

Auch die Nachfrageseite ist von dynamischen Entwicklungen gekennzeichnet. Die alten Kolonialmächte Frankreich und das Vereinigte Königreich haben militärische Formationen unterhalten, die man als institutionelle Vorläufer der Privatisierung interpretieren kann. Mit der Fremdenlegion einerseits und den Ghurka – Regimentern anderseits hielt man militärische Schocktruppen vor, die dem politischen Gesichtsfeld der eigenen Gesellschaft entrückt waren. Ihre Rekrutierung lag weitgehend außerhalb demokratischer Kontrolle. Diese Soldaten waren willfährige, zudem relativ preiswerte Subjekte, rechtlich 2. Klasse, die keinen Zugang zur nationalen Rechtsordnung hatten, eingesetzt bei öffentlich-rechtlichen Militärunternehmen in >freien Produktionszonen< kolonialer Gewalt und postkolonialer Kontrolle von Einflusssphären.

In zerfallenden Staaten und im Kontext gesellschaftlicher Fragmentierung im Prozess systemischer Transformation, vor allem in Russland haben sich dominante Wirtschaftsakteure zu privaten Nachfragern polizeilicher und militärischer Sicherheitsdienstleistungen entwickelt. Gazprom, der russische Riesenkonzern, unterhält eine Truppe von 30 000 Personen Sicherheitspersonal, die aus den Streitkräften und den Geheimdiensten abgewandert sind. BP hingegen hat für den Schutz von Ölleitungen in Kolumbien schon sehr früh ein privates Militärunternahmen unter Vertrag genommen, das zusätzlich die Aufgabe hatte, kolumbianische Soldaten für diese Aufgabe auszubilden. Westliche Ölkonzerne auf Aceh haben die lokalen Regimenter der indonesischen Armee verdeckt auf ihre Gehaltsliste genommen, um so die sichere Förderung zu gewährleisten. Vieles spricht dafür, dass sich derartige Strukturen an den verschiedensten Orten ausbreiten, weil zerfallende Staatlichkeit im Chaos neoliberaler Regulierung die öffentliche Sicherheit unzureichend bereitstellt, so dass die private Produktion von Sicherheit zur Produktions- und Lebensvoraussetzung wird. Daher ist die private Sicherheitsindustrie die Branche mit den weltweit höchsten Wachstumsraten.

Aktuell zeigt das staatsfinanzierte Segment der privaten Militärindustrie die höchsten Wachstumsraten. Denn das politische Beharrungsvermögen obsoleter militärischer Strukturen in Verbindung mit politisch dramatisierten neuen Anforderungen hat zu militärischen Gesamtplanungen in den USA und Großbritannien und in abgeschwächter Form auch in anderen Industriestaaten geführt, die das Potential möglicher Erhöhungen des Militärausgaben deutlich übersteigen. Als Antwort auf die Logik neoliberaler Strategien, den Staat zu verschlanken, hat sich eine Vielzahl neuer haushaltstechnischer Verfahren durchgesetzt, die den Einsatz privaten Kapitals für militärische Beschaffung und weitestgehende Privatisierung früher als hoheitlich angesehener Aufgaben vorsehen.

"Private Public Partnership" ist eine dieser Finanzierungsstrategien, mit denen sich das Militär jenseits der aktuellen Budgets raschen Zugriff auf neue Infrastrukturen, Ausrüstungsgüter bis hin zu Waffensystemen verschafft, wobei die Finanzierung ähnlich wie bei Leasing oder Ratenkauf weit in die Zukunft gestreckt, also die Zeche von der nächsten Generation bezahlt wird. Dienstleister aller Art stehen beim neoliberalen Staat Schlange und behaupten, dass sie alles besser und billiger erledigen könnten, was bislang den Streitkäften als hoheitliche Aufgabe vorbehalten ist. Entgegen kommt dieser privatwirtschaftlichen Lobby, dass die Organisationsstrukturen von Streitkräften sowjetischer Planwirtschaft näher sind als modernen Unternehmen. Immer neue Ideologien der militärischen Innovation nähren gleichzeitig vor allem in den Vereinigten Staaten die Erwartung, dass die Revolution der militärischen Angelegenheiten einen ferngesteuerten Krieg und absolute Überlegenheit bringen wird. Die großen Waffenlabors und die Rüstungsindustrie sind der Resonanzboden und die Profiteure dieser Ideologien.

Zu diesen Visionen passen die profanen militärischen oder eher polizeilichen Anforderungen "humanitärer Interventionen" und Stabilisierung nach bewaffneten Konflikten in wenig funktionsfähigen Staaten überhaupt nicht. Das erklärt, weshalb die amerikanischen Streitkräfte dieses Arbeitsfeld scheinbar bereitwillig an die private Militärindustrie abtreten. Wenn sie eine Beteiligung nicht vermeiden können, dann suchen sie, so viele Tätigkeiten wie möglich an private Unternehmen und Streitkräfte kleiner Staaten auszulagern. Da viele Streitkräfte in der Dritten Welt wegen fehlender Finanzierung logistischen Mindestanforderungen für eine Beteiligung an UN-Missionen nicht genügen, wird es immer schwieriger Missionen qualifiziert auszustatten. Daher ist von der Militärindustrielobby eine Diskussion entfacht worden, bei der es darum geht, dass private Truppen die bessere Lösung zur Ausfüllung von UN-Mandaten darstellen. Es müssten nur entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Randgruppen als Stoßtruppen: der Rekrutierungspool für private Militärunternehmen

Imperiale Interventionspolitik, wie sie von den USA im Irak und Russland in Tschetschenien praktiziert werden, erfordert militärisch aggressive konventionelle Bodentruppen. Beide Streitkräfte greifen dabei in unterschiedlichen Organisationsmodellen auf junge Männer aus den Unterschichten zurück. In den USA ist eine Verpflichtung beim Heer und den Marines häufig die einzige Chance einer gesellschaftlichen Integration für benachteiligte Gruppen. Evan Wright spricht in seiner Irakreportage "Generation Kill" von der "disposable generation", für die ihre Rolle im Krieg zunächst als Erfüllung erscheint. Sie hat aber wenig Chancen auf eine spätere Integration in zivile Berufsrollen und wird so zum Rekrutierungspotenzial für die private Militärindustrie. In Rußland hingegen bedeutet die Wehrpflicht eine zeitlich befristete brutale Sklavenarbeit, von der sich, wer immer über die Mittel verfügt, freikauft. Diese brutale Sklavenarbeit junger Männer aus benachteiligten Schichten zeitigt militärisch bestenfalls mäßige Erfolge. Diese Erfahrung dürfte ein zusätzlicher Nachteil bei der Suche nach einem zivilen Leben danach sein.

Staatlich finanzierte Sicherheit versus privatisierte Sicherheit

Das "Kontraktpersonal" der Sicherheitsindustrie im Irak ist funktional Teil der Interventionstruppen. Rechtlich gelten sie als "Zivilisten" und nicht in das Kriegsvölkerrecht eingebunden. Es ist Bestandteil der Kontrakte, dass sie von Strafverfolgung ausgenommen sind. Jedoch gilt es zwei Typen Kontraktpersonal zu unterscheiden, die für unterschiedliche Entwicklungspfade im Problemfeld Sicherheit stehen. Bei einem Teil des Personals handelt es sich um Auslagerung militärischer Aufgaben. Die Revenue stammt aus dem amerikanischen Staatshaushalt. Ein anderer Teil dieses Personals steht im Sold privater Unternehmen, für die diese Sicherheitsmaßnahmen Teil des Geschäftskalküls sind.

Angesichts fortschreitender gesellschaftlicher Fragmentierungen und einer weltweiten Tendenz zu privater Sicherheitsvorsorge in Ergänzung zum öffentlichen Gut Sicherheit oder gar dessen Ersatz in Räumen, in denen das staatliche Monopol legitimer Gewalt nicht wirksam ist, stellt sich die Frage, welcher Entwicklungspfad wird die Produktion von polizeilicher und militärischer Sicherheit im Kontext fortschreitender neoliberaler Globalisierung bestimmen.

Der militärischen Koalition im Verbund mit den zahlreichen privaten Militärunternehmen ist es nicht gelungen, im Irak Rahmenbedingungen für Kapitalanlagen zu schaffen, vor allem fehlt die notwendige Sicherheit. Dies wiegt insofern schwer, als diese offensichtlich ineffiziente, aber milliardenteure militärische Sicherung des Zugangs vor allem zu Erdöl mit überwiegend amerikanischen Steuermitteln finanziert wird, an deren Aufkommen die führenden Unternehmen der Erdölindustrie (noch) beteiligt sind. Steuerminimierung, sei es durch Steuerflucht, gehört aber zu den zentralen Wettbewerbslogiken neoliberaler Regulierung der Weltwirtschaft. Daher ist es den dominanten Akteuren nicht gleichgültig, wenn der Staat, in diesem Falle der Hegemon, seine Aufgabe, die Rahmenbedingungen für das Kapital zu optimieren, ineffizient und zu hohen Kosten erledigt. Als Alternative bietet sich an, nicht länger die operativ notwendige Sicherheit durch Stärkung staatlicher Strukturen zu suchen, sondern abzuwägen, ob die eigenfinanzierte privatwirtschaftliche Schaffung sicherer Rahmenbedingungen mit Hilfe von Militärunternehmen nicht bessere Ergebnisse zeitigt. Diktatoren und Warlords waren in der Vergangenheit stets kostengünstige "Koalitionspartner" bei der Sicherung von Produktionsexklaven.

Daraus ergäbe sich eine Perspektive, die durchaus Vorläufer hat und keineswegs undenkbar ist. Der Einsatz von Paramilitärs (AUC) in Kolumbien oder Todesschwadronen im Auftrag informeller Handelskammern in Zentralamerika spiegeln eine radikale Form der Privatisierung von selektiver Sicherheit wider. Es handelt sich um eine logische Weiterentwicklung des neoliberal beförderten Abbaus von Staatlichkeit und Schaffung von privat abgesicherten sozialen Räumen. An die Stelle des Gemeinwesens tritt die Aufteilung in nützliche privatwirtschaftlich gesicherte Sphären und überflüssige Räume.

Fakt ist bereits: Private Exklaven oder Patchworkstrukturen privater Sicherheit durchdringen moderne Gesellschaften und zerfallende Staaten. Das öffentliche Gut Sicherheit verschwindet und wird durch den Imperativ selektiver privater Sicherheitsvorsorge ersetzt. Im Sinne neoliberaler Regulation erscheint es kostengünstiger, Sicherheit insgesamt zu privatisieren, d.h. nicht nur staatliche Aufgaben an private Unternehmen zu vergeben, wie dies beim Unterhalt von Gefängnissen in zunehmendem Maße geschieht, sondern Sicherheit insgesamt zu einem Problem der individuellen Lebensvorsorge und des unternehmerischen Risikos zu machen. Der Staat wird dabei aus der Haftung entlassen. Sicherheit wird eine Ware. Unsicherheit wird zum persönlichen Makel. Auf diesem Entwicklungspfad würde die private Sicherheitsindustrie in allen ihren Ausprägungen dramatisch expandieren. Die Aufträge des Pentagon in der ersten Jahren des 21. Jahrhunderts wären dann nicht mehr als eine Erinnerung an bescheidene Anfänge dieser vom Chaos der gegenwärtigen Regulationsideologie lebenden Industrie.