Dr. Peter Lock
European Association for Research on Transformation e.V.

Privatisierung der Sicherheit im Spannungsfeld zunehmend gewaltoffener Räume und staatlichem Gewaltmonopol

Thesen zur sozialen Apartheid

Sicherheit ist eine Vokabel mit der PolitikerInnen Wahlen gewinnen. Diktatoren legitimieren ihre Macht damit, daß sie ihrer sozialen Basis Sicherheit verheißen. Derartige Versprechen von Sicherheit implizieren zugleich eine Manipulation von Unsicherheit und Schüren von Angst. Dabei wird opportunistisch, oft auch zynisch, der Ausschluß sozialer Gruppen in Kauf genommen. Ethnisch oder religiös identifizierbare Minderheiten sind in solchen Situationen besonders gefährdet. Sowohl tatsächliche Unsicherheit als auch gesteuerte Verunsicherung entpuppen sich als eine manipulative Ressource von Macht.

Bis in die siebziger Jahre waren Sicherheit und Unterdrückung[1] das ausschließliche Geschäft des Staates. Ob Sowjetsystem, Apartheidregime oder lateinamerikanische Militärdiktatur immer war der Staatsapparat der organisatorische Kern der Unterdrückung. Andererseits hatte sich der keynesianische Wohlfahrts- und Vorsorgestaat bis zum Ende des Wirtschaftsbooms der Nachkriegsepoche zumindest in Westeuropa voll entfalten können. Das staatliche Gewaltmonopol war umfassend und wirkte weitgehend  egalitär. Allerdings deutete verbreiteter legaler Besitz von Schußwaffen und die Aufrechterhaltung der Todesstrafe in den USA bereits in dieser Zeit darauf hin, daß das konsensgetragene staatliche Gewaltmonopol auch in demokratisch verfaßten Gesellschaften zu keinem Zeitpunkt umfassende Geltung hatte. Dennoch insistierte der sozialdemokratische Zeitgeist dieser Epoche geradezu missionarisch auf einer Ausbreitung des eigenen Gesellschaftsmodells mittels demokratischer Wahlen. Denn Unterdrückung, Ausschluß und Unsicherheit wurde den staatlichen Akteuren diktatorischer Regime zugeschrieben. Dabei hatte man übersehen, daß demokratische Wahlen nur dann zu einer angestrebten konsensgetragenen Staatlichkeit führen, wenn sie im Kontext von breit verankertem selbstbewußtem zivilgesellschaftichem Pluralismus stattfinden und zusätzlich ökonomische Ressourcen für eine nachhaltige Ausgestaltung von Staatlichkeit verfügbar sind.

Inzwischen ist jedoch Privatisierung zum zentralen Paradigma unserer Epoche geworden. Der keynesianische Wohlfahrts- und Vorsorgestaat wird heute nicht selten als Übel und Verursacher wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Krisen denunziert. Der wirtschaftliche Globalisierungsprozeß segelt derzeit ausschließlich in neoliberalen ideologischen Winden, so daß unsere Epoche durch eine zum Teil gravierende Einschränkung staatlicher Betätigungsfelder gekennzeichnet ist. In wirtschaftlich stabilen Staaten hat das staatliche Gewaltmonopol zwar noch weitgehend bestand, jedoch sind umfassende Aufgaben des Staates auch im Bereich Sicherheit dem Zeitgeist folgend auf private Akteure übertragen worden. Private Gefängnisse, Be- und Überwachung bilden in manchen Staaten bereits eine der dynamischsten Wirtschaftsbranchen. Die Zahl der dort Beschäftigten übersteigt die Zahl des staatlichen Sicherheitspersonals bereits um ein Vielfaches.

Das staatliche Gewaltmonopol und die rechtliche Stellung des Einzelnen bleiben scheinbar unberührt. Jedoch ist aus dem öffentlichen Gut Sicherheit unter Hand eine Ware geworden. Durch diese Entwicklung wird persönliche Sicherheit zunehmend zu einer Funktion von Einkommen. Weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens verändern sich tiefgreifend. Besonders in den USA ist dieser Umgestaltungsprozeß des öffentlichen Lebens bereits weit fortgeschritten. Vom oberen Ende der sozialen Pyramide ausgehend verändert sich die amerikanische Gesellschaft in ein System von sozial determinierten Wagenburgen. Die in ihnen lebenden Gruppen isolieren sich gegenüber der Gesellschaft und leben hinter Mauern in "gated communities". Hinzu kommt, daß der öffentliche Raum zunehmend unter Hausrecht steht. An die Stelle von Marktplätzen treten Einkaufszentren. Man kann hierin ein Element des Globalisierungsprozesses sehen, denn die Wagenburgen der Reichen und die perfekt privat polizierten Einkaufszentren sind einheitliche Versatzstücke der urbanen Sozialgeographie des 21.Jahrhunderts, die austauschbar in San Francisco, Kuala Lumpur, Johannesburg, Moskau, Budapest oder München stehen. Beim Ausbau der passiven Sicherheit in den Wohnvierteln (umfassende Kommodifizierung der Sicherheit) der Reichen und der Dichte privater Polizeipatroullien wäre noch zu klären, ob dieser inzwischen globale Siedlungstypus zuerst in Rio de Janeiro entwickelt wurde oder an der amerikanischen Westküste.

Die entwicklungspolitisch engagierte Öffentlichkeit beklagte in den siebziger Jahren Militärregime und brutale Diktaturen, heute wird häufiger über zerfallene oder zerfallende Staaten Klage geführt. Dies macht deutlich, daß sich der Charakter politischer Herrschaft mit der propagierten neoliberalen Globalisierung verändert hat. Waren einige Militärdiktaturen angetreten, den Kapitalismus und Kapitalbesitzer vor als sozialreformerisch und sozialistisch gebrandmarkten politischen Bewegungen zu schützen, so besteht heute ein globaler Wettbewerb zwischen Staaten, um das beste Angebot für Kapitalanlagen zu machen. Jedoch haben das Verschwinden von Diktaturen und das neue Investitionsparadigma nicht dazu beigetragen, Massenarmut abzubauen und den Prozeß fortgesetzter Polarisierung der innergesellschaftlichen Einkommensverteilungen aufzuhalten. Außerdem wird der Abstand zwischen wohlhabenden Nationen und den allermeisten Entwicklungsländern sowie den Transformationsländern beständig größer. Ein Blick in die jährlichen Berichte von Weltbank und UNDP bestätigt mit trauriger Regelmäßigkeit diese negativen Befunde.

Besonders in Afrika sind die potemkinschen Fassaden einer von der bi-polaren hegemonialen Konkurrenz im Kalten Krieg alimentierten Pseudo-Staatlichkeit abgefallen. Die finanziellen Zuflüsse, mit denen die Eliten sich reproduziert und einen Anschein von Staatlichkeit geschaffen hatten, sind weitgehend versiegt. Sie haben aber einen Schuldenberg hinterlassen, der von den betroffenen Volkswirtschaften niemals abgetragen werden kann. Die Antwort des IWF auf den wirtschaftlichen Offenbarungseid vieler Staaten waren sogenannte Restrukturierungsprogramme, deren oberstes Ziel das Erreichen eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichtes war. Hierzu wurde eine radikale Senkung des Staatshaushaltes und der Rückzug des Staates aus der Wirtschaft erzwungen, was zunächst immer mit einer Erhöhung von Arbeitslosigkeit und einer Verteuerung von Grundnahrungsmitteln verbunden war. Dies ist gleichbedeutend mit einer Verschlechterung der Lebensverhältnisse im unteren Drittel der sozialen Pyramide.

Aber auch in anderen Kontinenten gilt, daß sich der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt dramatisch vermindert hat und in zahlreichen Ländern auf 10 % und darunter abgesackt ist. Zum Vergleich in Europa sind 40 % ein typischer Wert. Allein schon dieses Datum verweist darauf, daß die Reichweite solcher Staaten gering ist. Sie können u.a. wegen fehlender Ressourcen die Sicherheit auf dem gesamten Territorium des Staates längst nicht mehr gewährleisten. Es entstehen "gewaltoffene Räume"(Elwert 1997) in unterschiedlichsten Erscheinungsformen, in denen das staatliche Gewaltmonopol nicht wirkt. Da es keine durchsetzbare rechtliche Ordnung gibt, dominieren gewaltgesteuerte Transaktionen das wirtschaftliche Geschehen, nicht der Markt und Verträge bestimmen die Abwicklung von Geschäftsabschlüssen, sondern Einschüchterung und Erpressung. Daß in solchen Situationen Personen und soziale Gruppen ihre eigene Sicherheit organisieren liegt auf der Hand. Vergleichbar mit zwischenstaatlichen Aufrüstungsprozessen kommt es zu sich gegenseitig legitimierenden und zur Eskalation tendierenden privaten Sicherheitsvorkehrungen. Dieser Prozeß ist ansteckend und endet beinahe regelhaft in einer Milizianisierung der gesamten Gesellschaft, in der jeder Schutz durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe sucht, die sich aber alle gegenseitig bedroht fühlen. Mit abnehmender Leistungsfähigkeit des Staates kommt es somit zu einer radikalen Privatisierung von Sicherheit. Aus dem Menschenrecht Sicherheit wird eine Ware, die außerhalb der durch Vertragssicherheit gekennzeichneten regulären Ökonomie in Form von militanter, potentiell gewaltförmiger Selbstorganisation oder krimineller Protektion organisiert werden muß. Dies birgt die ständige Gefahr einer Gewalteskalation in sich, die sogar in bewaffnete innergesellschaftliche Auseinandersetzungen übergehen kann, in denen dann Gewaltunternehmer das Sagen haben.

Bevor nun aber die Entwicklung dieser fatalen Privatisierungsprozesse der Sicherheit im einzelnen nachgezeichnet und ihr jeweiliges Eskalationspotential hin zu innergesellschaftlichen bewaffneten Konflikten ausgelotet werden, soll hier der Versuch unternommen werden, die Dynamik der gegenwärtigen Globalisierung in all ihren Aspekten so zu skizzieren, daß verständlich wird, warum sich Wachstum und Reichtum parallel zu sozialem Ausschluß und Armut jeweils kraftvoll entfalten.

Die Betrachtung der Weltwirtschaft als ein Zusammenspiel von drei Sektoren erleichtert es, den verbreiteten Verfall von Staaten und die Langlebigkeit vieler bewaffneter Konflikte der Gegenwart zu erklären. Die unterschiedliche sozial-ökonomische Entwicklung der in eine globalisierte Ökonomie integrierten Staaten läßt sich als ein jeweils unterschiedliches Mischungsverhältnis regulärer, informeller und krimineller Sphären in den verschiedenen Volkswirtschaften erklären. Das Zusammenwirken dieser drei Sphären ist durch asymmetrische Tauschbeziehungen gekennzeichnet. Zugleich bestimmt das jeweilige Mischungsverhältnis die soziale Topographie und die Organisation von individueller und kollektiver Sicherheit der jeweiligen Gesellschaften. Darüber hinaus sind diese drei Sektoren der nationalen Volkswirtschaften in jeweils eigene globale Zirkulationssphären integriert. Im folgenden werden die drei Sektoren in ihren Umrissen beschrieben.

1. Sektor: Der reguläre Sektor in der globalen Ökonomie ist durch eine rechtliche Ordnung gekennzeichnet, die Transaktionen für alle Marktteilnehmer berechenbar macht. Es werden überwiegend Steuern zur Reproduktion des Staates gezahlt, auch wenn das Niveau der Besteuerung als Folge weltweiter Standortkonkurrenz allgemein abnimmt. Die mageren Wachstumsraten der regulären Ökonomien halten global nicht Schritt mit dem Wachstum der Weltbevölkerung im erwerbsfähigen Alter. An ihren Rändern sind sie ständig korruptiven Attacken wirtschaftskrimineller Akteure ausgesetzt, die die Produkte und Erträge ihrer illegalen Aktivitäten in die reguläre Waren- und Dienstleistungszirkulation einschleusen wollen. Zerfallende Staaten und Steuerfluchtinseln sind häufig der Ausgangspunkt für solche Transaktionen.

2. Sektor: Die informellen Sphären der Wirtschaft, in ihnen haben rechtsstaatliche Regeln nur sehr begrenzte Geltung. Asymmetrische Machtstrukturen, die unkontrolliert Gewalt androhen oder auch anwenden, und rudimentäre Ansätze kommunitärer Selbstorganisation kennzeichnen die informellen Sphären der Ökonomie. Sieht man von der gelegentlichen Zahlung von Mehrwertsteuer ab, wenn Angehörige des informellen Sektors als Konsumenten mit der regulären Ökonomie in Tauschbeziehungen treten, so sind die informellen Sektoren nicht an der Erhaltung und Reproduktion des Staates durch Zahlung von Steuern beteiligt. Gleichwohl aber absorbiert der informelle Sektor global bei weitem den größten Teil der erwerbsfähigen Bevölkerung. Selbst in der relativ entwickelten Region Lateinamerika hat die ILO für Ende der neunziger Jahre einen Anteil des informellen Sektors von 56 % an der Erwerbsbevölkerung (EAP = economically active population) ermittelt. Bezogen auf die Zahl der Teilnehmer wächst dieser Sektor weltweit am schnellsten. Es ist aber strukturell angelegt, daß diese Bevölkerungsmehrheit völlig unzureichend mit öffentlichen Gütern, wie z.B. Schulen, und Infrastrukturen versorgt wird

Andererseits aber trägt der informelle Sektor in erheblichem Umfang zur individuellen Wohlfahrt der in die reguläre Ökonomie integrierten Personengruppen durch billigste Dienstleistungen bei. In den wohlhabenden Industriestaaten nimmt dies zumeist die Form von Schwarzarbeit an, z.B. durch illegale MigrantInnen als Hilfen im Haus und bei der häuslichen Krankenpflege. Zusätzlich werden die geringen Einkommen aus informeller Erwerbstätigkeit dadurch gemindert, daß kriminelle Akteure sich erpresserisch als unverzichtbare Gewaltakteure einbringen und anstelle von Steuern des entfernten, für die Betroffenen nicht existierenden Staates Schutzgeldzahlungen erzwingen.

3. Sektor: Die global vernetzten Akteure krimineller wirtschaftlicher Betätigung haben sich eine dynamische Zirkulationssphäre geschaffen. Sie weist, gemessen an Umsätzen und Profiten, die höchsten Wachstumsraten auf. Definitorisch gilt, daß an Stelle rechtsstaalicher Regelungen latente und manifeste Gewaltverhältnisse die Geschäftsgrundlage in dieser Zirkulationssphäre bilden. Steuern zur Reproduktion des Staates zahlen diese Akteure nicht. Es kommt hingegen vor allem in Transformationsländern häufig vor, daß wirtschaftskrimenelle Akteure sich öffentliche Infrastrukturen aneignen. In anderen Fällen haben kriminelle Akteure sich eines Staatsorganes oder gleich des gesamten Staatsapparates in einem schwachen ("failed") Staat bemächtigt, um die Geschäfte besser betreiben zu können. Bei der kriminellen Sphäre handelt es sich um ein parasitäres Gebilde, dessen Aktivitäten Teile der regulären und der informellen Ökonomien usurpieren und sie dabei häufig miteinander verknüpfen, so daß die definitorische Abgrenzung nicht immer leicht ist. Das BKP (Bruttokriminalprodukt) wird auf jährlich 1000 Mrd. US-Dollar geschätzt, wovon knapp die Hälfte auf Drogengeschäfte entfällt (Reinicke 1998). Ein Vergleich mit dem BSP (Bruttosozialprodukt) des gesamten afrikanischen Kontinentes beleuchtet die machtpolitische Brisanz der Größe des kriminellen Sektors. Das BSP Afrikas beträgt 330 Mrd. US-Dollar, wovon aber ein Drittel alleine auf Südafrika entfällt.

Als heuristisches Instrument genutzt hilft dieses Dreisektorenmodell des aktuellen Globalisierungsprozesses die Dynamik des Erosionsprozesses der Formen der Staatlichkeit zu verstehen, die unseren Vorstellungen von Rechts- und Sozialstaatlichkeit entsprechen. Dabei ist es wichtig immer im Auge zu behalten, daß die globalen Zirkulationssphären sowohl des informellen als auch des kriminellen Sektors in allen Gesellschaften vorfindlich sind. Der Unterschied liegt nur in den relativen Gewichtungen. Das Ende des Kalten Krieges und die nun offenen Grenzen der einstigen systemischen Demarkationslinie haben das Wachstum informeller und krimineller Sektoren auch in Westeuropa beschleunigt. Somit kann es nicht überraschen, daß die wohlfahrtsstaatlichen Regelungen der sozialdemokratischen Boomphase in Europa einen Erosionsprozeß durchlaufen. Zudem haben sie ihre ideologische Legitimationsbasis als bessere systemische Alternative verloren.

In vielen Transformationsländern und einer großen Zahl von Entwicklungsländern wird das wirtschaftliche Geschehen von informellen Sektoren und kriminellen Akteuren dominiert. Vorhandene staatliche Strukturen befinden sich in einem lange anhaltenden Auflösungsprozeß, der aufgrund des schleichenden Wegfalls des Staates als Garant rechtsstaatlicher Konfliktschlichtung eine Eigendynamik entwickelt. Die Reproduktion der staatlichen Sicherheitsorgane kann aufgrund der strukturell bedingten fiskalischen Dauerkrise (Überwiegen von keine Steuern zahlenden wirtschaftlichen Aktivitäten) nicht mehr gewährleistet werden.

Die korporativen und individuellen Überlebensstrategien der Sicherheitsorgane öffnen zum einen der Korruption Tür und Tor und zum anderen betreiben die Angehörigen Uniform und Waffe mißbrauchend kollektiv und individuell extra-legale Einkommenssicherung. Im günstigen Fall erbringt man im Zweitjob unter Vernachlässigung der schlecht oder nicht bezahlten dienstlichen Pflichten  Dienstleistungen unterschiedlichster Art oder wandert ganz in den rasant wachsenden Sektor privater Sicherheitsdienstleistungen ab. Im ungünstigen Falle degenerieren die staatlichen Sicherheitsorgane zu konkurrierenden Rackets oder die staatlichen Gewaltakteure vermarkten sich direkt als "Dienstleister" in der kriminellen Sphäre.

Allen Aktivitäten dieser Art ist gemeinsam, daß die bewaffneten Organe des Staates ihre Legitimation als gesamtgesellschaftlicher Ordnungsfaktor verlieren. Diese Zerfallsprozesse tendieren dazu, rasch zu eskalieren, so daß die Polizei vor allem für die im informellen Sektor lebende Bevölkerung zum Sicherheitsproblem wird, gegen das man sich seinerseits individuell und kollektiv durch "Aufrüstung"  Vorkehrungen treffen muß. In solchen Situationen kommt es dazu, daß schließlich bewaffnete Drogendealer örtlich das Gewaltmonopol ausüben (Cano 1997).

Als allgemeine Regel gilt, daß die Privatisierung der Sicherheit ein Spiegelbild des Zustandes von Staatlichkeit ist. In einigen Fällen jedoch ist es zu einer umfassenden privaten Aneignung des Staates gekommen. In Mobutos Zaire hat sich diese klientilistische Eskalation von Herrschaft bis zu ihrer logischen Auflösung wegen Auszehrung der produktiven Ressourcen und drohender Erschöpfung der privat angeeigneten Ressourcen nahezu vollendet (Wrong 2000). In den vergleichbaren Fällen Indonesiens unter Suharto oder der Philippinen unter Marcos hat politische Opposition den Weg klientelistischer Diktaturen in völlige wirtschaftliche Auszehrung vorzeitig abgebrochen. Derartig klientilistische Systeme sind auf den Anschein von Staatlichkeit angewiesen, weshalb sie u.a. scheinbar überflüssige sehr aufwendige architektonische Spuren hinterlassen. Anders verhält es sich mit mafiösen Diktatoren, sie konzentrieren sich völlig auf die kriminelle Aneignung von Reichtümern. Die Militärdiktatur in Nigeria unter Abacha dürfte in diese Kategorie fallen. Mit anderen Worten, die Erscheinungsformen der Auflösung von Staatlichkeit, wie sie durch wohlfahrtsstaatlich orientierte Postulate von Rechtsstaatlichkeit definiert ist, sind zwar verwirrend vielfältig, aber allen ist gemein, daß das staatliche Gewaltmonopol zugunsten eines breiten Spektrums privatisierter Organisation von Sicherheit sowohl innerhalb als auch außerhalb der geltenden Rechtsordnung aufgegeben wird.

Im Prozeß der Auflösung von Staatlichkeit aufgrund des Zusammenbruchs der ökonomischen Basis, von der die ehemals zur Sowjetunion gehörenden Staaten gekennzeichnet sind, werden die Angehörigen des Staatsapparates zu ständigen Wegelagerern der Zivilgesellschaft. Sie ersticken alle unternehmerischen Initiativen zur wirtschaftlichen Wiederbelebung und finden selbst noch Vorwände, um in Haushalte einzudringen und sich dort Güter anzueignen. Für Georgien ist diese Situation gesellschaftlicher Lähmung anschaulich beschrieben worden (Christophe 2000). Ist eine Gesellschaft einmal in einen solchen Zustand geraten, in dem die wirtschaftskriminell angeeignete Fassade von Staatlichkeit und deren Akteure einen Zustand allgemeiner Unsicherheit erzeugen, lösen sich auch zivilgesellschaftliche Regelsysteme auf und werden durch Selbstverteidigungsstrukturen ersetzt. Es bilden sich Identitäten, z.T. auf der Mikroebene, die sich zumeist auf den konkreten Ausschluß anderer, häufig sogar aus dem eigenen Wohnumfeld, gründen. Massive Auswanderung, zumeist der Leistungsfähigsten, ist in diesen Situationen die Regel und verschlechtert zusätzlich die Aussichten, die umfassende Informalisierung und Kriminalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten zu überwinden. Die rasch in der Folge von Krisen entstehende, zunächst überwiegend in der Illegalität lebende Diaspora sorgt einerseits mit Unterstützungsleistungen für das Überleben, andererseits aber bietet sie zugleich eine personale Infrastruktur für illegale Transaktionen unterschiedlichster Art.

Weltweit haben Krisen internationale personale Netzwerke geschaffen, die z.T. bereits globale Ausmaße haben. Die Gesamtzahl der beteiligten Personen läßt sich nur schwer schätzen, dürfte aber weit höher als die vom UNHCR erfaßten Vertriebenen und Flüchtlinge liegen. Diese Zahl wird mit um die 50 Millionen weltweit angegeben. Die Zahl der sich in fremden Ländern auf der Suche nach Überleben oder einem besseren Leben überwiegend illegal Aufhaltenden dürfte im dreistelligen Millionenbereich liegen. Sie sind eine wichtige personelle Ressource für die Organisation der kriminellen Sphären des Globalisierungsprozesses, die längst nicht nur auf den Drogen- und Menschenhandel beschränkt sind. Diese Menschen leben im Schatten, für die globale Staatlichkeit sind sie unsichtbar, zumindest solange bis unter politischem Druck zur Jagd auf sie geblasen wird. Weder das UNHCR noch eine andere Organisation geben diesen Menschen eine Stimme.

Die in Umrissen dargestellten Zustände in zerfallenden Staaten finden sich aber auch in sozialräumlich kleinen Einheiten innerhalb ansonsten leidlich funktionierender demokratischer Staaten. Ob es sich um Ghettos sozial abgehängter Minderheiten in den Metropolen von Industrienationen, um die riesigen Armutsgürtel, von denen alle großen Millionenstädte in der Dritten Welt umgeben sind oder aufgegebene Industriestandorte in der ehemaligen Sowjetunion handelt, die Bewohner erfahren Staatlichkeit so, als lebten sie in einem zerfallenen Staat. Polizisten werden als gefährliche Feinde erfahren (Cano 1997). Entsprechend bilden sich in diesen sozialen "Exklaven der ökonomischen und sozialen Apartheid" auch ähnliche Strukturen heraus. Das Gewaltmonopol liegt bei nach dem Territorialprinzip organisierten Gangs, die ähnlich wie Nationalstaaten Grenzstreitigkeiten mit Waffengewalt untereinander austragen. Schutzgelder treten an die Stelle von Steuern. Ein mit Gewaltandrohung erpreßtes Schweigen gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsorganen entspricht der staatsbürgerlichen Loyalität. Die Kerngesellschaft "draußen" ist für diese Menschen die Diaspora. Diese "internen" Migranten spielen dort die gleichen, bereits beschriebenen Rollen. Sie tragen zum Überleben der Familie in der "Exklave" bei. Sie sind zugleich aber auch eine Ressource u.a. für Drogenhandel und andere risikobehaftete Tätigkeiten, die in der Schattenwirtschaft nachgefragt werden. Wer arm ist, der hat keine Wahl und geht kriminelle Risiken ein.

Man könnte nun einwenden, daß die hier skizzierten Strukturen Ausnahmen und vorübergehende Zustände bezeichnen und auf jene wenigen Staaten verweisen, die bei oberflächlicher Betrachtung von den hier diskutierten Übeln nicht berührt sind. Eine solche wohlwollende Betrachtungsweise der unabweisbaren Entwicklungslinien des Globalisierungsprozesses unter neoliberalen Vorgaben übersieht, daß das die derzeit diagnostizierten Zustände in absehbarer Zeit keine Chance haben, sich rasch umzukehren und daher auf lange Zeit die Größenverhältnisse der drei Wirtschaftssphären zueinander sich weiter zuungunsten dessen entwickeln werden, was man gemeinhin als reguläre Ökonomie bezeichnet.

Denn aus historischer Perspektive wird man wahrscheinlich die Gegenwart als Zeitalter massenhafter Jugendarbeitslosigkeit kennzeichnen. Die gegenwärtig sich unter dem Paradigma des Neoliberalismus global entfaltende Wirtschaftsordnung bietet keine Perspektive für eine Mehrheit junger Menschen auf der Welt, wenn sie das Alter der Erwerbstätigkeit erreichen. Für sie gibt es keine Rolle weder in der modernen "regulären" Ökonomie noch in traditionalen ländlichen Strukturen. Letztere befinden sich weltweit in Auflösung, da der Prozeß der Modernisierung der Produktionsverhältnisse aufgrund weltwirtschaftlicher Verflechtung unbarmherzig voranschreitet. Der moderne Sektor kann die nachwachsenden Generationen nicht als Arbeitskräfte absorbieren, denn es liegt in der Logik globaler Konkurrenz, daß rationalisierte, kapitalintensive Produktionsverfahren und Vermarktungsstrategien auf den Märkten letztlich obsiegen. Daraus ergibt sich ein so hoher durchschnittlicher Kapitalbedarf pro überlebensfähigem Arbeitsplatz, daß es abgesehen von allen sonstigen Restriktionen alleine rechnerisch unmöglich ist, weltweit allen in die Erwerbsfähigkeit Hineinwachsenden einen Arbeitsplatz in der regulären Ökonomie zu finanzieren. Das unter den gegenwärtigen systemaren Bedingungen benötigte Kapital wäre nicht aufzubringen.

Daher wird eine Mehrheit der heranwachsenden Erwerbsbevölkerung notwendig in das Niemandsland informeller Ökonomien abgedrängt und steht damit auch als unerschöpfliche Reservearmee allen (wirtschafts-)kriminellen Akteuren zur Verfügung. An der gegenwärtigen Situation in Algerien wird das Dilemma deutlich. Die algerische Gesellschaft ist wie viele Gesellschaften in der Dritten Welt eine sehr junge Gesellschaft. Ungefähr die Hälfte der Bevölkerung gehört der Alterskohorte bis 15 Jahre an. Man schätzt, daß derzeit bereits 60 % der algerischen Jugendlichen arbeitslos sind. Verbesserungen sind nicht in Sicht. Man nennt diese Jugendlichen, soweit sie männlichen Geschlechts sind, "les hitistes"(="diejenigen, die die Mauer abstützen d.h. sich an der Wand anlehnen). Die meisten haben eine vergleichsweise gute Schulbildung. Sie lauern immer auf eine Chance im "trabendo", dem Gelegenheitsschmuggel, zumeist mit Frankreich, ein Schnäppchen zu machen oder auf andere Art und Weise, zumeist in der Grauzone der informellen Ökonomie oder durch kriminelle Dienstleistungen ihr Leben und ihre Identität zu sichern (Martinez 1998).

Es wird zumeist übersehen, daß junge Menschen, in eine derartige perspektivlose Rolle abgedrängt, kein Selbstwertgefühl entwickeln können. Auf der Suche nach einer positiven Identität lassen sich marginalisierte junge Menschen ideologisch leicht instrumentieren und sind zudem bereit, beinahe jedes Risiko einzugehen, wenn sie sich davon Anerkennung versprechen.

In zahlreichen Ländern gehören mehr als die Hälfte aller Jugendlichen zu dieser ausgeschlossenen Gruppe. In derartigen Situationen von Perspektivlosigkeit, gewinnt die Verfügung über Gewaltmittel, z.B. ein automatisches Gewehr, eine außerordentliche Attraktivität. Denn mit einem Gewehr in der Hand erfährt ein junger Mann erstmals in seinem Leben, daß man von anderen Menschen respektiert wird, auch wenn es schiere Angst ist, die als Respekt wahrgenommen wird. Gewalt mittels eines automatischen Gewehres wird zum Mittel, sich gegen den gesellschaftlichen Ausschluß zu wehren. Gewalt verheißt den Zugang zu der Welt des industriellen Massenkonsums, der man auch in entfernten Winkeln der Welt medial ständig ausgesetzt ist. Dies wird z.B. durch die von Paul Richards für Westafrika dokumentierte außerordentliche Wirkung von Videos der Rambo-Filmserie unter männlichen Jugendlichen eindrucksvoll belegt (Richards 1996).

Daß nach dem weitgehenden Untergang der sog. Befreiungsbewegungen und damit den Utopien von gesellschaftlicher Gleichheit fast nur noch junge Männer als Gewaltakteure in bewaffneten Konflikten auftauchen, dürfte auch damit zusammenhängen, daß mit dem ökonomischen Modernisierungsprozeß eine radikale Entwertung vormals ausschließlich Männern zugeschriebener Rollen im Produktionsprozeß einhergeht. Als Reaktion konstruiert sich männliche Identität mangels kulturell-emanzipatorischer und ökonomischer Alternativen durch Gewalthandlungen, die ein Gefühl der Überlegenheit und Souveränität verleihen. Die verlorene Position im Produktionsprozeß wird durch Teilnahme an der gesellschaftlichen Gewaltproduktion ersetzt. Diese Logik spiegelt sich auch in der Kriminalitätsstatistik entwickelter Staaten wieder. Delikte mit Schußwaffengebrauch sind auch dort eine Domäne überwiegend junger Männer.

Wirtschaftskriminelle Politikunternehmer in Bürgerkriegsszenarien bedienen sich in zynischer Weise der impulsiven Energien Jugendlicher und nachahmend auch von Kindern, sich bewaffnet gegen den Ausschluß zu wehren. Die Erscheinungen Kindersoldaten und Jugendgangs liegen dichter beieinander als es die zumeist getrennte Diskussion suggeriert. Der nicht enden wollende Bürgerkrieg in Sierra Leone speist sich u.a. aus dem absoluten Ausschluß der nachwachsenden Generation im Kontext eines zerfallenen Staates und der zugrundeliegenden wirtschaftlichen Katastrophe. Für junge Männer ist "Soldat sein" die beste Option gesellschaftlicher Partizipation, zudem sind die Überlebenschancen als Kämpfer im gegenwärtigen Sierra Leone wahrscheinlich ungleich größer als im Chaos der vom Krieg paralysierten "Zivilgesellschaft". Die Rolle als sogenannter Kindersoldat zu agieren, ist nicht nur verführerisch für entwurzelte Kinder, sie auch eine "rational choice", um es einmal im Jargon ökonomistischer Betrachtungsweise auszudrücken.

Dabei muß man sich immer veranschaulichen, daß kein Kind und kaum ein Jugendlicher je über die Mittel verfügt, um ein automatisches Gewehr als Mittel gegen den gesellschaftlichen Ausschluß zu erwerben. Im Hintergrund ist immer ein Gewaltunternehmer, der sich von der Ausrüstung von Kindern und Jugendlichen mit effizienten Gewaltmitteln einen Gewinn verspricht, zumal in vielen Zusammenhängen eine solche Investition im Vergleich zum durchschnittlichen Einkommen nicht unerheblich ist. Da regelmäßig ein Überangebot an bereitwilligen "Gewaltarbeitern" besteht, bleibt für Mädchen und junge Frauen im Kontext von Gewaltproduktion in bürgerkriegsartigen Situationen nur die Rolle des als Prämie vergebenen Vergewaltigungsopfers. Auch bei den Gangs in den Ghettos z.B. amerikanischer Großstädte gilt, daß häufig Drogenhändler als Kreditgeber fungieren und so "ihre" Gang in jeder Hinsicht instrumentalisieren können.

Bei den letzten Absätzen mag die Frage aufgetaucht sein, was hat dies mit dem Thema "Privatisierung der Sicherheit" zu tun. Da hier die These vertreten wird, daß die Privatisierung der Sicherheit von einem dynamischen Prozeß vorangetrieben wird, der bis zur Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols führen kann, erschien es notwendig, die Entwicklung bis zur völligen Auflösung von Staatlichkeit, ihrem extremen Endpunkt nachzuzeichnen. Die Rückbindung des gegenwärtigen Trends zur Privatisierung von Sicherheit an die Ausdifferenzierung des Globalisierungsprozesses in seiner gegenwärtigen neoliberalen Ausprägung bildet den Kern der intendierten Argumentation. Ziel ist es, die komplementären informellen und kriminellen Seiten der gegenwärtigen Globalisierung beleuchten und zu zeigen, daß es sich um äußerst dynamische Prozesse handelt, die an keiner noch so gut bewachten Grenze aufgehalten werden können. Sie streichen wie Nebel über den Globus und dringen in die kleinsten Freiräume ein, immer auf der Suche nach Entfaltungsmöglichkeiten. Sie bilden den Gegenpol von Staatlichkeit.

Die rasante Privatisierung von Sicherheit wird von drei interdependenten Entwicklungen gespeist. Erstens befördert die vorherrschende neoliberale Ideologie den Rückzug des Staates auch von klassischen Betätigungsfeldern. Obwohl die Sicherheit zu den Kernaufgaben staatlicher Betätigung gehört, wird argumentiert, daß bei entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen private Akteure bei gleichem Aufwand mehr leisteten und das Gemeinwohl durch die Privatisierung nicht beeinträchtigt werde.

Zweitens fördern die zugleich vorherrschenden individualistischen Werthaltungen in der "Ellbogengesellschaft" auf allen Ebenen der sozialen Pyramide Ängste vor Kriminalität. Dabei handelt es sich um einen Eigendynamik entwickelnden Prozeß passiver innergesellschaftlicher Aufrüstung. Zugleich kann man darin auch eine diffuse Wahrnehmung der allgegenwärtigen Nebel der informellen und kriminellen Sphären der globalen Ökonomie sehen. Jedenfalls entwickelt sich die Privatisierung von Sicherheit zu einem ungleichen Wettlauf, der die zunehmende Polarisierung innergesellschaftlicher und weltweiter Einkommensprofile reproduziert. Die englische Redensart "my home is my castle" wird zur sinistren Realität für alle, die es sich leisten können, sich abzuschotten. Jedoch leitet die durch umfassende Kommodifizierung und private Dienstleistungen hergestellte Sicherheit der eigenen Lebenssphäre die abgewehrte, aber vorhandene kriminelle Energie zwangsläufig auf diejenigen, die es sich nicht leisten können, sich "einzubunkern". Dies macht das Leben in der Armutsapartheid zusätzlich zur "kriminellen Hölle".

Drittens vermindert die globale Standortkonkurrenz tendenziell die Möglichkeit des Staates hinreichend Steuern zu erheben, um das öffentliche Gut Sicherheit allgemein und in hinreichender Qualität bereitzustellen. Gleiches gilt für den Bereich Bildung, in dem vielerorts eine intergenerationelle Verschlechterung der Situation zu beobachten ist. Es entspricht der Wettbewerbslogik, daß global operierende Konzerne es vorziehen, die Sicherheit ihrer Produktionsstätten auf eigene Rechnung, nicht selten unter Verletzung nationaler Hoheitsrechte zu organisieren, statt Steuern zu zahlen.

Weiter galt es zu zeigen, daß der Zerfall eines entfernten Staates keineswegs nur ein exotisches Ereignis ist, bei dem sich ein unbedeutender Teilnehmer weitgehend aus der globalen Ökonomie verabschiedet. Im Gegenteil, indem die informellen und kriminellen Zirkulationssphären der Weltwirtschaft beleuchtet wurden, konnte deutlich gemacht werden, daß es sich dabei überwiegend nur um ein Wechseln von der regulären Ökonomie in andere Sphären handelt. Damit verändert sich Schritt für Schritt die soziale Balance der Weltwirtschaft zu Aktivitäten, die außerhalb der staatlichen Sphäre stattfinden und damit für die beständige Reproduktion von Staatlichkeit, die sich auf Steuern der regulären Ökonomie gründet, verloren sind.

Die Nebel der Informalität und Kriminalität werden in dem Umfange dichter, je stärker sich das soziale Profil der Weltwirtschaft polarisiert. Dem steigenden Angebotsdruck informeller Dienstleistungen und Arbeit können auch die am besten rechts- und sozialstaatlich organisierten Volkswirtschaften nicht standhalten. Die individuellen Wettbewerbs- und Wohlfahrtsvorteile, die sich aus informeller, illegaler Arbeit ziehen lassen, sind so attraktiv, daß die Schattenökonomien allerorten dramatisch expandieren. Den anhaltenden Beschäftigungsboom ohne inflationäre Tendenzen in den Vereinigten Staaten erklären Ökonomen mit dem Druck auf die Löhne, der von geschätzten zehn Millionen illegalen Arbeitskräften ausgeht.

Nun mag man argumentieren, daß dies zu Rückflüssen in die Herkunftsländer führt und dort zur Stabilisierung beiträgt und langfristig ausgleichende Wirkung hat. Eine solche Betrachtungsweise übersieht aber, daß diese in der Tat globalen Zirkulationssphären keinen Beitrag zur Rekonstruktion zerfallener Staaten leistet. Im Gegenteil, je umfangeicher die informelle und kriminelle Zirkulation von Waren, Menschen und Geld wird, umso mehr wächst das Gewicht derjenigen Akteure, deren Interessen mit der Schwäche bzw. Abwesenheit des Staates als Garant geregelter Märkte verbunden sind.

Die hier vorgetragenen Gedanken bieten keine Lösung, wie die Prozesse innergesellschaftlicher Aufrüstung in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen unter dem Etikett "Privatisierung der Sicherheit" aufgehalten und schließlich umgekehrt und zu einem neuen sozialen Kontrakt geführt werden können. Zunächst ist es aber wichtig, daß man die Privatisierung der Sicherheit als logische Folge der gegenwärtigen systemischen Entwicklung begreift. Weiter muß man sich immer vor Augen halten, daß die boomende und beschäftigungsintensive private Sicherheitsindustrie gesamtgesellschaftlich betrachtet keine Wohlfahrt stiftet, sondern hohe Opportunitätskosten verusacht.

Literatur

Cano, Ignacio, 1997: Letalidade da Ação Policial no Rio de Janeiro, Rio de Janeiro (Iser).

Christophe, Barbara, 2000: Das kaukasische Trugbild, in: Der Überblick 4/2000, S.71-75.

Cohen, Robin, 1997: Global Diasporas, London (UCL Press).

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Lock, Peter, 1998: Privatisierung von Sicherheit im Zeitalter von Globalisierung: Das Beispiel Lateinamerika, in: Lateinamerika Analysen, Daten, Dokumentation Nr.38 (Hamburg).

Lock, Peter, 1998: Privatisierung der Sicherheit oder private Militarisierung? Aktuelle Entwicklungen in Afrika, in: Afrika-Jahrbuch 1997, Opladen (Leske + Budrich).

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Reinicke, Wolfgang H., 1998: Global Public Policy, Governance without Government?, Washington D.C. (Brookings Press).

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Wrong, Michela, 2000: In the Footsteps of Mr Kurtz, London (The Forth Estate).

Fußnoten

[1]  Unterdrückung im Verhältnis der Geschlechter wird in dieser Argumentation nicht thematisiert, aber natürlich damit keineswegs negiert..