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last updated:03.01.2011
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Das Ottawa-Abkommen zum Verbot von Antipersonenminen
Modell für eine neue aktive Friedenspolitik?

medico international in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt
in Berlin am 29.11.2007 14 - 18 Uhr
Panel 2: Beitrag Peter Lock

Fortschritt und Grenzen - Streumunition und Kleinwaffen

Ottawa macht Mut, nichts scheint unmöglich. Es hat gezeigt, dass, wenn mandatierte Institutionen versagen, andere gesellschaftliche Konfigurationen deren Mandat erfüllen können.

Das Ottawa-Abkommen steht noch in der Tradition klassischer Rüstungskontrolle und der Genfer Konventionen. Beide Instrumente gehen davon aus, dass Staaten internationale Abkommen zur Einhegung kriegerischen Handelns schließen und eine weitgehende Einhaltung vereinbarter Normen durchsetzen können. Es gibt noch zahlreiche weitere zutiefst menschenrechtsverletzende Praktiken und Gewaltmittel, die staatliche Akteure in Verfolgung legitimer oder vermeintlich legitimer eigener Interessen einsetzen. Wenn dabei voraussehbar unbeteiligte Zivilbevölkerung zu Schaden kommt, besteht unmittelbarer Handlungsbedarf. Es geht hier zumeist um die Einhegung moderner teurer Rüstungstechnologie, wie sie sich in den Arsenalen von Staaten mit modern gerüsteten Armeen findet. Streubomben sind ein Beispiel. Obwohl die tödlichen Langzeitfolgen des Einsatzes von Streubomben denen der Antipersonenminen sehr ähnlich sind, ist mit anhaltendem Widerstand gegen eine Ächtung zu rechnen, weil sie Teil der gegenwärtigen Kriegsführungsdoktrin mächtiger Staaten sind. Erst wenn der politische Schaden, durch die Weigerung Streubomben zu ächten, größer erscheint als der behauptete militärische Vorteil, besonders in sog. asymmetrischen Konflikten, wird es gelingen, diese Waffe aus den Arsenalen moderner Armeen zu verbannen. Dies erscheint machbar, erfordert aber noch viel Aufklärung und internationale Mobilisierung.

Eine weitreichende politische Forderung leitet sich aus dem Fall Streubomben ab. Die Entwicklung kinetischer und anderer militärischer Kampfmittel muss bereits im frühesten Stadium von einer hochrangigen Kommission begleitet werden, in der Parlament und Zivilgesellschaft vertreten sind. Es muss Aufgabe einer solchen Kommission sein, im Entstehen begriffene Militärtechnik auf ihre Verträglichkeit mit völkerrechtlichen Normen zu überprüfen und gegebenenfalls Projekte zu stoppen.

Diese konsequente Fortsetzung des gegen bestimmte Kriegsmittel gerichteten Ottawaprozesses darf jedoch nicht davon ablenken, dass der global verknüpfte rasante Wandel sozialer Ordnungen neue Formen massiver Gewalt und Verletzung fundamentaler Menschenrechte mit sich bringt, die nicht von der völkerrechtlichen Folie bewaffneter Konflikt oder Krieg erfasst werden. Die gravierendste Veränderung, das Versagen von liberalisierten Märkten bei der globalen Sicherung menschlicher Grundbedürfnisse, hat solche Ausmaße, dass ihre unmittelbare Kausalität für Gewaltordnungen unsichtbar bleibt. Mehr noch die schonungslose Dynamik neoliberal regulierter Globalisierung generiert weltweit Gesellschaftsstrukturen, deren Fragmentierung zu diffusen Gewaltordnungen führt, die entweder gegenüber staatlichen Eingriffen weitgehend immun sind oder den schwach ausgebildeten Staat schlicht assimilieren. Gegenüber den eingesetzten Gewaltmitteln aufseiten der beteiligten Gewaltakteure bleiben internationale Rüstungskontrollabkommen weitgehend wirkungslos. Die eingesetzten Gewaltmittel zirkulieren kaum kontrollierbar in überschüssiger Zahl auf den Schwarzmärkten der Welt. Die leistungsfähigen Strukturen der Schattenglobalisierung machen es möglich, dass jede zahlungsfähige Nachfrage einen Anbieter findet.

Zehn Jahre nach Ottawa müssen wir in Tradition dieser singulär erfolgreichen zivilgesellschaftlichen Mobilisierung fragen: Was sind heute die massiven Gefährdungen der Zivilgesellschaft, die sich in teilweise endemischen Gewaltverhältnissen manifestieren? Denn für die Skandalisierung von Anti-Personenminen und Schaffung globeler Betroffenheit als politischer Hebel für den Ottawaprozess bedurfte es ein Vierteljahrhundert und ein politisch günstiges Zeitfenster. Daher stellt sich uns heute dringlich die Frage: Haben wir den analytischen Blick hinreichend geschärft, um die Dynamik der gesellschaftlichen Gewaltprozesse zu verstehen und mit geeigneten politischen Strategien zu reagieren? Denn Betroffenheit alleine bildet keine geeignete Orientierung für politische Anstrengungen, die strukturellen Ursachen der Gewaltprozesse und bewaffneten Konflikte zu beseitigen, denn sie stellt sich immer erst viel zu spät ein. Im Gegenteil, im Eifer, den verständliche Betroffenheit auslöst, die von medialer Abbildung bewaffneter Konflikte angetrieben wird, werden Diskurse über Schreckensszenarien produziert, die ein falsches Bild zeichnen und so humanitäre Maßnahmen und Strategien zur Minderung der Gewalt fehlleiten.

Ich will dies an einem Beispiel erläutern, das aus meiner Sicht leider für einen Teil der humanitären Diskurse steht. Eine große deutsche Nichtregierungsorganisation und ein Forschungsinstitut haben vor fünf Jahren gemeinsam engagiert die Kleinwaffenproblematik thematisiert. Sie haben das damit begründet, dass 85 Prozent der Opfer von Kleinwaffen Frauen und Kinder seien. Auf meinen empirisch begründeten Einwand, dass weit überwiegend junge Männer Täter und Opfer seien, wurde mir ein Bericht und eine Rede des UN-Generalsekretärs vorgelegt, in dem von 85 Prozent Frauen und Kindern als Opfer in bewaffneten Konflikten berichtet wird. Auf meine Anfrage hat sich der Stab des Generalsekretärs für diese falschen Behauptungen im Bericht entschuldigt und mitgeteilt, dass diese Behauptungen nicht wiederholt würden. Da sei bedauerlicherweise Material von einer Nichtregierungsorganisation ungeprüft in das UN-Dokument gerutscht. Daher warne ich vor allgegenwärtigen Betroffenheitsviren, die virtuelle Szenarien jenseits der sozialen Wirklichkeit und der politischen Ursachen ausbilden, auf die mit Hilfsmaßnahmen reagiert wird, die entlasten und bei denen man sich gut fühlt. Ob sie eine angemessene Reaktion auf das Gewaltgeschehen darstellen und tatsächlich "wohltun", zeigt sich in der Regel erst, wenn längst ein neuer dramatischer Betroffenheitsvirus in Abhängigkeit vom ideologischen Großklima das humanitäre Geschäft dominiert.

Meine Schlußfolgerung lautet, man muss die Probleme bei ihren Ursachen benennen. Dem Handeln muss sorgfältige Analyse vorausgehen und es muss immer unter einem Irrtumsvorbehalt bleiben, der unzureichender Analyse geschuldet ist. Die Fähigkeit Fehler einzugestehen, ist für engagierte Kampagnen die wichtigste, leider aber wenig entwickelte Tugend. Gunnar Myrdal, der spätere Nobelpreisträger, hat in seiner bahnbrechenden Studie "Amerikanisches Dilemma" 1943 darauf hingewiesen, dass es in den USA kein Farbigenproblem gebe. Die weiße Mehrheitsgesellschaft sei das Problem. In Analogie hierzu sind dramatisierende Begriffe wie Jugendproblematik oder "Youth Bulge" zurückzuweisen. Entsprechend dem Verursacherprinzip ist die soziale Apartheid großer Teile der Jugend auf der ganzen Welt das Problem der erwachsenen Generationen, die an der herrschenden, an liberalen Märkten orientierten Ideologie globaler ökonomischer Regulierung festhalten. Und solange dies so bleibt, lautet die Lebensperspektive großer Teile der ausgeschlossenen Jugendlichen Informalität und Kriminalität. Daran ändert auch rasantes Wirtschaftswachstum wenig.

Wenn man konkrete Gewaltverhältnisse in diesen wegen seiner Mächtigkeit fast unsichtbaren gewordenen Ursachenzusammenhang stellt und die Reichweite individueller Handlungsmöglichkeiten berücksichtigt, bleibt scheinbar nur Resignation oder revolutionäre Wut. Beide Reaktionen sind jedoch konterproduktiv. Der klaren Benennung von politischen Ursachen auf der Makroebene muss ein unnachgiebiges Suchen nach kleinen, aber konsequenten Schritten der Veränderung aus dem eigenen Lebensumfeld heraus folgen. Wenn <global denken und gleichzeitig lokal handeln> zivilgesellschaftliches Engagement bestimmt, gewinnt es Legitimität und wird wirkungsmächtig. Zivilgesellschaftliches Engagement ist nur dann leistungsfähig, wenn es begreift, dass Konflikte für Gesellschaft konstitutiv sind und das Ziel von Bemühungen nur sein kann, die Fähigkeit zu stärken, Konflikte gewaltfrei auszutragen. Dies gelingt nur, wenn man, statt Wertemission zu betreiben, einen Konsens darüber anstrebt, mit verschiedenen, sich einander ausschließenden Wahrheiten zusammenzuleben.

Eine Konzentration auf die Weiterentwicklung völkerrechtlicher Normen zur Einhegung von bewaffneten Konflikten und Kriegen vernachlässigt die Diffusion massiver Gewalthandlungen in fragmentierten Gesellschaften, deren Organisationsformen das Völkerrecht unterlaufen. Die Zukunft der Gewalt kann in Ansätzen heute in den weltweit rasant wachsenden Megastädten, in Brasilien, Nigeria, Südafrika und anderswo bereits besichtigt werden. Gewaltakteure sind sozial ausgeschlossene, aber privilegierte, weil bewaffnete Jugendliche und junge Männer einerseits und Angehörige der staatlichen Sicherheitsorgane und private Milizen andererseits. In Stichpunkten die Situation: In Rio de Janeiro erschießt die Polizei jährlich über tausend Personen "widerständig auf der Flucht", forensische Untersuchungen sind nicht üblich. Mehr als hundert Polizisten werden erschossen, die Mehrzahl jedoch außerhalb des Dienstes, was damit erklärt wird, dass sie sich in Todesschwadronen und Milizen verdingen, die im Auftrag mächtiger Akteure morden. Die Gesamtzahl der mit Schusswaffen getöten Menschen übersteigt die Zahl der Kriegstoten in als bewaffnete Konflikte registrierten Gewaltexzessen etwa in Afrika. In Nigeria hat die Polizei 785 bewaffnete Räuber in nur drei Monaten erschossen, in denen auch 62 Polizisten erschossen wurden. Informalität und Kriminalität sind dominante Strukturmerkmale vieler bedeutender Staaten, darunter auch die aktuellen Musterschüler des internationalen Finanzkapitals, die sog. BRICs (Brasilien, Russland, Indien, China). Gewaltordnungen jenseits von Staatlichkeit sind zum sozialen Regulativ geworden.

Kritik an der makro-ökonomischen Regulation, die zur sozialen Apartheid derjenigen führt, die als Gewaltakteure eine Lebensperspktive zu erlangen trachten, wird glaubwürdig, wenn sie wenigstens kleine Schritte zur Minderung des Zugangs zu Gewaltmitteln vorantreibt. Das leider weitgehend ungenutzte Potenzial der Möglichkeiten den Zugang zu den Gewaltmitteln (Kleinwaffen) einzuschränken, will ich hier beispielhaft erläutern.

Zunächst kommt es darauf an, jene Kleinwaffen zu identifizieren, die ein Potenzial haben, in die Schwarzmarktzirkulation einzufließen und schließlich missbräuchlich verwendet zu werden. Denn die allermeisten Kleinwaffen auf der Welt sind in nationalen kulturellen Praktiken sicher eingebettet oder befinden sich in sicheren staatlichen Arsenalen. Die Bemühungen der Kleinwaffenkontrolllobby eine weltweit durchzusetzende Musterregulierung zu entwickeln und mithilfe der Vereinten Nationen durchzusetzen, sind wenig erfolgversprechend und wahrscheinlich sogar konterproduktiv. Denn Waffenbesitz ist gesellschaftlich sehr unterschiedlich kodiert. Entsprechend muss die jeweilige kulturelle Kodierung von Waffenbesitz berücksichtigt werden, wenn Missbrauch und das Abfließen in gewaltkriminelle Sphären unterbunden werden sollen. Dabei ist der Versuch des Genfer Kleinwaffeninstitutes, partout eine Zahl aller Kleinwaffen auf der Welt zu ermitteln, eine allseitig begierig aufgenommene propagandistische Dienstleistung für Betroffenheitsdiskurse und nicht sachdienlich, wenn es darum geht, bewaffnete Gewalt einzuhegen. Das muss immer im konkreten sozialen Kontext, d.h. in der Praxis auf nationalstaatlicher Ebene, angegangen werden.

Wenn man vor der eigenen Haustür anfängt, sind für Deutschland u.a. folgende Überlegungen anzustellen. Das Privileg legalen Schusswaffenbesitzes schließt ein Risiko missbräuchlicher Verwendung ein. Die angerichteten Schäden übersteigen fast immer das für Haftung verfügbare Vermögen, sodass der Staat für den Schaden, man denke an Erfurt, aufkommen muss. Daher ist es nur konsequent, wenn man darauf hinarbeitet, das Privileg eine Schusswaffe zu besitzen, an den Abschluss einer Haftpflichtversicherung zu binden. Ein großes Problem ist das Versickern von "legalen" Waffen in Schwarzmärkte durch Verlust oder Diebstahl. Ein wirksames Mittel, Schusswaffen, die nicht mehr benötigt werden oder aber verloren gegangen sind, von illegaler Zirkulation fernzuhalten, wäre die Einführung eines Recyclingpfandes, das beim Kauf in Höhe des Kaufpreises zu entrichten ist und das zur Auszahlung kommt, wenn eine Waffe zurück in staatliche Obhut z. B. bei der Polizei gegeben wird, ganz gleich unter welchen Umständen. Demeritionale Steuern sind ein sehr altes fiskalisches Steuerungsinstrument, das eingesetzt wird, wenn von bestimmten Gütern gesamtgesellschaftlicher Schaden zu gewärtigen ist, es aber unrealistisch und konterproduktiv ist, diese Güter zu verbieten und in die Illegalität zu treiben. Solche Steuern wurden schon vor über hundert Jahren auf verschiedene Genussmittel erhoben und begründen heute zum Beispiel Erhöhungen der Kraftstoffsteuern (CO2). Aus ähnlichen Gründen wäre eine Steuer auf Munition zu rechtfertigen.

In Deutschland und der EU können derartige Regelungen beispielhaft eingeführt werden. In anderen Ländern mag es angemessen sein, mit massiven Mitteln verdeckt auf dem Schwarzmarkt als Käufer aufzutreten und so zumindest eine deutliche Preissteigerung für illegale Waffen zu induzieren. OECD-Staaten müssten wahrscheinlich Finanzmittel und Personal für solche Aktionen bereitstellen. Es gibt viele weitere Handlungsmöglichkeiten, die zu erläutern hier keine Zeit ist. Aber es ist festzuhalten, unilaterale, beispielgebende Initiativen sind wichtig und können den Weg zu verpflichtenden internationalen Normen ebnen, die am Verhandlungstisch der UN absehbar blockiert bleiben.

Um den gewaltträchtigen sozialen Ausschluss zu überwinden, sind massive internationale ordnungspolitische Eingriffe unabdingbar. Das Instrumentarium völkerrechtlicher Verbote kann dabei nur eine ergänzende Rolle spielen. Der einzig gangbare Weg sind viele parallele kleinschrittige Prozesse. Zum Beispiel scheint die Debatte über eine internationale staatliche Korrektur des Pharmaforschungsmarktes auf gutem Wege zu sein. Die Einhegung endemischer Gewaltstrukturen, die zunehmend an die Stelle von Kriegen treten, erfordert zivilgesellschaftliche Solidarität mit langem Atem und Akzeptanz von kultureller und politischer Verschiedenheit in der internationalen Zusammenarbeit. Ottawa war eine institutionelle Innovation, ein neues Ottawa erfordert eine noch größere politische Energie und operative Phantasie.