Dr. Peter Lock
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last updated:03.01.2011
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Ökonomien des Krieges

Ein lange vernachlässigtes Forschungsfeld von großer Bedeutung für die politische Praxis

Ökonomien gegenwärtiger bewaffneter Konflikte sind in den letzten Jahren zum Gegenstand vertiefter Forschung geworden. Eine Auswahl wichtiger neuerer sozialwissenschaftlicher Publikationen zum Thema, die in der Literaturliste am Ende dieses Textes aufgeführt sind, dokumentiert diese Entwicklung. Trotz sehr unterschiedlicher Forschungsansätze kommen diese Arbeiten durchweg zu dem Ergebnis, daß sich die Strategien der Konfliktbearbeitung durch die unterschiedlichen Akteure der internationalen Politik tiefgreifend verändern müssen, wenn die Einhegung gewaltförmiger Konflikte gelingen soll. Anders ausgedrückt, die Betrachtung bewaffneter Konflikte als ökonomische Prozesse entwertet viele konkurrierende Erklärungsmuster, die bislang vor allem in der angelsächsischen Kriegsursachenforschung und in Einzelfallstudien im Vordergrund standen . Mit dieser Feststellung soll aber keineswegs in Abrede gestellt werden, daß es immer ein vielfältiges Ursachenbündel gibt, das die jeweilige Ausformung des bewaffneten Kampfes bestimmt. Jedoch schützt der kriegsökonomische Blickwinkel davor, allzu leicht von politischer Inszenierung des Kampfgeschehens und der Opferrollen getäuscht zu werden.
Ein ums andere Mal kann gezeigt werden, daß es sich bei der Radikalisierung von ethnischen, religiösen und sozialräumlichen Gruppenidentitäten im Verlauf der Konfliktgenese um instrumentelle Vorgänge handelt, bei denen reale oder perzipierte Ressourcenkonkurrenz auf den unterschiedlichsten Ebenen eine zentrale Rolle spielt. Gleichzeitig geht aus diesen Untersuchungen im Gegensatz zu allgemeiner Wahrnehmung eindeutig hervor, daß Kriegsökonomien durchgängig Teil der Weltwirtschaft bleiben, mehr noch, daß eben diese häufig vertiefte Einbindung in den Globalisierungsprozeß eine notwendige Voraussetzung für bewaffnete Konflikte ist. Es ist wahrscheinlich der außerordentlichen Vielfalt der Formen der jeweiligen Einbindungen in weltweite Handels- und Zahlungsströme geschuldet, daß die ökonomischen Dimensionen bewaffneter Konflikte lange wenig beachtet wurden. Daß es sich dabei sehr häufig um illegale Sphären des gegenwärtigen Globalisierungsprozesses handelt, erschwert auch weiterhin den genauen Blick auf Kriegsökonomien.

Entsprechend unzureichend blieb bislang das Verständnis der ökonomischen Dynamik in gegenwärtigen Kriegen, so daß die ersten Versuche der internationalen Gemeinschaft mit ökonomischen Mitteln auf das Konfliktgeschehen einzuwirken, regelhaft scheiterten. Neben z.T. massiven Programmen im Bereich humanitärer Hilfe sind in den neunziger Jahren Embargomaßnahmen der verschiedensten Art getroffen worden, um eine Lähmung des Kriegsgeschehens zu erzwingen. In sehr vielen Fällen hat beides jedoch zu einer wirtschaftlichen Konsolidierung der Kriegsparteien und damit eher zu einer Verlängerung des bewaffneten Konfliktes geführt. Dieser Befund findet langsam Eingang in die politische Debatte um die Wahl geeigneter Mittel, mit denen die internationale Gemeinschaft und einzelne Akteure auf humanitäre Krisen und bewaffnete Konflikte reagieren können. In der politischen Praxis seit Auflösung der Sowjetunion haben diese
Politikfelder erheblich an Bedeutung gewonnen, weil der völkerrechtliche Stellenwert der Menschenrechte eine erhebliche Aufwertung erfahren und den politischen Druck, bei massiven Verletzungen einzugreifen, kontinuierlich erhöht hat. Die genaue ökonomische Analyse des Konfliktgeschehens erweist sich zunehmend dabei als eine notwendige, gleichwohl alleine nicht hinreichende Bedingung für leistungsfähiges Krisenmanagement. Der folgende Text kann das Forschungsfeld allein aus Platzgründen nicht umfassend darstellen. Daher soll zunächst beschrieben werden, wo die Unterschiede zur traditionellen Konfliktforschung besonders hervortreten und die Befunde, eine deutliche Veränderung der Entwicklungspolitik gegenüber bewaffneten Konflikten unausweichlich erscheinen lassen. Anschließend werden empirisch belegte Parameter aus der neueren Forschung diskutiert, die auf dem Weg in gewaltgesteuerte Kriegsökonomien eine bedeutende Rolle spielen können. In einem weiteren Abschnitt soll die Vielfalt der Formen der "Kriegsfinanzierung" sowohl auf staatlicher als auch auf nichtstaatlicher Seite anhand von Beispielen erläutert werden. Die Beispiele verweisen auf vielschichtige, global vernetzte Strukturen sowohl legale als auch illegale und kriminelle, die in ihrer Summe den aktuellen Globalisierungsprozeß ausmachen. Als heuristisches Hilfsmittel zum besseren Verständnis wird ein Dreisektorenmodell der Weltwirtschaft skizziert, in das sich Kriegsökonomien einordnen lassen. Abschließend werden vorläufige Befunde referiert, die handlungsleitend bei zukünftigen Reaktionen auf humanitäre Katastrophen und bewaffnete Gewalt hilfreich sein können.

Von der Konflikt- und Kriegsursachenforschung zum Forschungsparadigma "Kriegsökonomie"

Die Konfliktforschung hat bis heute an einem recht willkürlichen Kriteriumfür das Vorliegen eines Krieges festgehalten, u.a. 1000 Tote als unmittelbare Folge von Kampfhandlungen. Aus dieser Diskussion stammen auch Zahlen zum Verhältnis von getöteten Soldaten und Zivilisten in bewaffneten Konflikten. Dieser Beobachtungswinkel hat die häufig sehr viel schwerwiegenderen Folgen von Kriegsgeschehen in innergesellschaftlichen Konflikten in den ärmsten Ländern der Welt verdeckt. Diese Länder sind seit vielen Jahren der häufigste Ort, an dem bewaffnete Konflikte ausgetragen werden. Als Folge von Kriegsgeschehen, häufig durch eine Kettenreaktion zusammengebrochener wirtschaftlicher Vernetzung weit entfernt von den Kampfhandlungen, verlieren Menschen essentielle "entitlements" (nach Sen 1981), das heißt den Zugang zu Gütern der Grundversorgung wie Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung und Erziehung . Dies schlägt sich in einem dramatischen Anstieg der Todesfälle, u.a. der Säuglingssterblichkeit nieder, die in der Summe die gezählten Kriegstoten weit übersteigen. Die in der Friedens- und Konfliktforschung lange vorherrschende alleinige Konzentration auf Kampfhandlungen und deren rasche Beendigung führt zu einer Unterschätzung der expansiven negativen Dynamik des Kriegsgeschehens und verdeckt vielfältige Möglichkeiten, den Auswirkungen von Kriegsgeschehen simultan zu begegnen und die konfrontative Dynamik von Kriegsgeschehen einzuhegen (hierzu am Beispiel Bosniens Kaldor 1999).

Aus dem "kriegsökonomischen" Blickwinkel ist der bewaffnete Kampf, den die Kriegsursachenforschung ab einer bestimmten Schwelle zum Krieg erklärt, eher ein bestimmter Aggregatzustand krisenhafter ökonomischer Entwicklung, in der bewaffnete Gewalt die Tauschverhältnisse vollends dominiert, als ein absoluter Ausnahmezustand. Die in vielen Sprachen dominante Begrifflichkeit vom Ausbruch des Krieges verschleiert die prozeßhafte Entwicklung hin zu innerstaatlichen bewaffneten Konflikten, die irgendwann eine definitorische Schwelle überschreiten, um dann als Krieg beschrieben zu werden, wobei Krieg im allgemeinen Verständnis immer Ausnahmezustand bedeutet. Dieser Vorstellung gemäß gibt es auch eine Beendigung des Ausnahmezustandes, ein Kriegsende und eine Stunde Null. Nach bisheriger Entwicklungshilfepraxis werden alle Maßnahmen außer direkter humanitärer Hilfe für die Dauer des Ausnahmezustandes Krieg ausgesetzt. Der sogenannte Wiederaufbau in der Nachkriegsphase muß aber zwangsläufig an den gewaltgesteuerten wirtschaftlichen Strukturen anknüpfen und mit den sie dominierenden Akteuren kooperieren, um sie im günstigsten Falle schrittweise zu transformieren. Daher stellt sich die Frage, ob der absolute entwicklungspolitische Rückzug nicht lange währende Kriege verstetigt, in denen die gewaltunternehmerischen Akteure den Krieg auf beiden Seiten zu einer in zwei Kreisläufen komplementären Produktionsweise entwickelt haben. Dies schlägt sich darin nieder, daß die Kampfhandlungen nahezu ausschließlich auf die Erhaltung der jeweiligen Kriegsökonomien ausgerichtet sind. Hierin liegt der Grund für den häufig sehr begrenzten Umfang direkter Kampfhandlungen in solchen Kriegen. Extrem verkürzt kann man sagen, daß sich die Kriegsökonomie mit der Arbeitshypothese auseinandersetzt, daß innergesellschaftliche Kriege eine Fortsetzung der Ökonomie mit anderen Mitteln sind.

Eine pragmatische Abgrenzung von Kriegsökonomien gegenüber anderen Formen wirtschaftlicher Ordnung stellt Gewalt als absolut vorherrschendes Regulativ von Produktion und Aneignung in den Vordergrund. Die hierarchische Zentralisierung der Gewaltinstrumente und die damit verbundene territoriale Kontrolle unterscheiden Kriegsökonomien von Anarchie. Außerdem ist die Einbindung in internationale Waren- und Finanzströme konstitutiv für Kriegsökonomien, denn die Versorgung mit dem "Produktionsmittel Waffe" erfordert Devisen. Die dynamischen Sphären der Schattenglobalisierung sind das Medium der Einbindung von Kriegsökonomien in den Globalisierungsprozeß. Tatsächlich hat empirisch vergleichende Kriegsökonomie bislang zahlreiche ökonomische Bedingungsfaktoren für zum "innergesellschaftlichen Krieg" führende Gewalteskalation ermittelt (Rufin 1996, Collier 2000, Stewart 2001a). Gleichwohl können derartige Entwicklungen nicht deterministisch verengt und prognostisch gedeutet werden. Anders ausgedrückt, es konnten zahlreiche, z.T. notwendige Faktoren empirisch ermittelt werden, die bewaffnete Konflikte wahrscheinlich, aber längst nicht unausweichlich machen. Drei Faktoren, die sich bei den umfangreichen statistisch vergleichenden Untersuchungen des Chefs der Entwicklungsforschung bei der Weltbank bestätigt haben (Collier 2000), sollen hier hervorgehoben werden: Verfügbarkeit bedeutender Exportproduktion, dem Krieg vorgelagerte substantielle Emigration und das meist gemeinsam auftretende Merkmalbündel allgemein niedrige Ausbildung, wirtschaftliche Stagnation und hohes Bevölkerungswachstum. Hingegen sind extreme Einkommensunterschiede und kulturelle bzw. ethnische Vielfalt in einem Land für sich kein Treibsatz für bewaffnete Konflikte.

Von zentraler Bedeutung für die weitere Forschung und die politische Praxis ist besonders der Befund, daß die weltwirtschaftlichen Einbindungen im Verlaufe von bewaffneten Konflikten in jedem Falle fortbestehen, wenngleich sie häufig eine strukturelle Transformation erfahren. Hierzu trägt die internationale Reaktion auf das scheinbar diskrete Ereignis Krieg in erheblichem Maße bei, denn vor allem die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit behandelt "Kriege" als totale Abweichung. Sie zieht sich regelmäßig aus dem Konfliktgebiet bis zu einem erklärten Ende der Kampfhandlungen zurück. Dies beschleunigt und erweitert sozialräumlich die gewaltbedingte Destabilisierung. Als Folge verlieren immer mehr Menschen immer schneller essentielle "entitlements" und sehen sich gezwungen, entweder selbst als Kriegsakteure neue Ressourcenzugänge zu suchen oder aber durch Flucht ihr Überleben zu sichern.

In den letzten zehn Jahren sind die von Krieg betroffenen Menschen zwangsläufig immer häufiger zu Objekten des privatwirtschaftlich organisierten Sektors der internationalen humanitären Hilfe geworden, der u.a. meist große Flüchtlingslager unterhält. Konzepte für eine Minderung des Zustroms in die Lager oder eine Rückführung in eigenständiges Leben werden, zumindest solange Kampfhandlungen andauern, nicht verfolgt (Carbonnier 2000, Stewart 2001a S.204-224), denn noch immer werden humanitäre Hilfe und Entwicklungspolitik als zwei getrennte Abteilungen internationaler Zusammenarbeit geführt. Für den Zustand Krieg ist die humanitäre Hilfe zuständig, für den Zustand Nichtkrieg, häufig eine zum Nachkrieg erklärte Phase, die Entwicklungspolitik.

Zu den wichtigsten Instrumenten der kriegsökonomischen Analyse gehören:

  • Eine Erweiterung und Differenzierung des Sen'schen Konzeptes von "entitlement", um die gesellschaftliche Realität im Umfeld von bewaffneten Konflikten genauer zu fassen (Stewart 2001a S.6-11)
  • Eine vollständige Durchleuchtung der wirtschaftlichen Zirkulationssphären (Waren- und Zahlungsverkehr; Menschen) unter besonderer Berücksichtigung der informellen und kriminellen Zirkulationssphären (Lock 1999, 2001b).
  • Erfassung der Veränderungen der sozialen Unterschiede durch den Verlust oder Gewinn von "entitlements" in ihrer Wirkung auf horizontale und vertikale Disparitäten (Stewart 2001a S.207).
  • Ermittlung des Abbaus oder der Transformation, z.B. Usurpation durch eine Gruppe, staatlicher Tätigkeit (für Afrika allgemein: Clapham 1996; am Beispiel Angolas: Cilliers, Dietrich 2000, Hodges 2001).

Für die Analyse von Kriegsökonomien verwendet Stewart (2001a S.6) fünf Formen des "entitlement"(Zugriff auf Ressourcen). Da ist zunächst der Zugriff über den Markt. Er wird durch Geld vermittelt und ergibt sich aus dem Verhältnis von Erträgen aus Arbeit und Renteneinkommen zu den Preisen für Nahrung und andere Güter der Grundversorgung. Ein zweiter Zugriff ergibt sich aus der unmittelbaren Wertschöpfung im Arbeitszusammenhang der erweiterten Familie ohne Tausch, hierfür wird der Begriff direkte "entitlements" verwendet. Weiterhin öffentliche "entitlements", d.h. Güter und Dienstleistungen, die durch den Staat erbracht werden. Die Aufrechterhaltung von Gesundheitsversorgung, Erziehung, Zugang zu Wasser und Bereitstellung kostenloser oder subventionierter Lebensmittel gelten als besonders wichtig im Kontext von Kriegshandlungen. Als zivile "entitlements" wird der Zugang zu Leistungen bezeichnet, die durch kommunitäre Organisation und Nichtregierungsorganisationen erbracht werden. Schließlich ungesetzliche oder kriminelle "entitlements", die im Verlaufe von innergesellschaftlichen bewaffneten Konflikten häufig dominant werden. Güter und Dienstleistungen werden gewalttätig angeeignet und zwar durch Drohung mit oder Anwendung von Gewalt. Sie werden häufig für einzelne Personen und soziale Gruppen zur zentralen Überlebensressource. Das Spiegelbild dieses Zugriffes ist, daß anderen häufig zum Überleben notwendige Ressourcen entzogen werden. Es findet keine Wertschöpfung statt, zusätzlich vermindern erhebliche Transaktionskosten die überhaupt verfügbare Menge Wohlfahrt stiftender Güter.

Mit Hilfe dieser Differenzierung können die Lebensbedingungen in Konfliktgebieten so analysiert werden, daß die Handlungslogik von Tätern und Opfern, von Kriegsunternehmern und Zivilbevölkerung simuliert werden kann und daraus abgeleitet geeignete Eingriffe zur Überwindung der kriegsökonomischen Dynamik erkennbar werden.

Während das traditionelle Bild einer Kriegswirtschaft mit einer intensiven Nutzung aller Ressourcen bis hin zum Einsatz von Zwangs- oder Sklavenarbeit und häufig außerordentlichen Produktivitätssteigerungen verbunden ist, sind die meisten "Kriegswirtschaften" der Gegenwart durch Zerfall der produktiven Strukturen und einem dramatischen Rückgang des Bruttosozialproduktes gekennzeichnet. Dies schließt freilich nicht aus, daß isolierte exportfähige Produktion ausgebaut wird und durch schattenwirtschaftliche Kanäle abfließt, um die Kriegskassen zu füllen. Heutige Kriege tauchen volkswirtschaftliche Vorgänge in einen Schatten der Unkontrollierbarkeit, in dem sich neue Macht- und damit Handels- und Produktionsstrukturen außerhalb der legalen Sphäre verstärken bzw. bilden. Die Reproduktion des Staates verliert ihre wirtschaftliche Basis, denn Steuererhebung wird zur Pfründe der jeweiligen sozialräumlichen Gewaltmonopolisten vom Warlord bis zu unterbezahlten Polizisten und Militärs. Meist wird übersehen, daß sich die verschiedensten Formen der Migration, einschließlich Flucht, in höchst komplexen, aber für die Kriegsökonomie bedeutenden Waren- und Finanztransfers niederschlagen (Carbonnier 2001, S. 68-71).

Schließlich ist für die Analyse von Kriegsökonomien von zentraler Bedeutung, die Dimension der Staatstätigkeit und deren Rolle in der Konfliktformation zu erfassen. Denn einerseits haben funktionierende bzw. wieder stabilisierte Staatsfunktionen ein großes Potential, Kampfhandlungen einzuhegen, andererseits können staatliche Strukturen zu einer Kriegspartei mutieren, die an einer Perpetuierung des Kriegszustandes interessiert ist, der ihre profitable Einbindung in die kriminelle Sphäre der Weltwirtschaft, ihre Alimentierung durch humanitäre Hilfe oder alleinige Aneignung von Exporteinkünften ermöglicht.

Durch dieses "kriegsökonomische" Frageraster lassen sich die am häufigsten auftretenden Legitimationsmuster, die Kriegsparteien nach innen zur Mobilisierung und nach außen zur Rechtfertigung von Gewalt verwenden, deutlich relativieren und ihre Instrumentalität für partikulare Interessen denunzieren. Die "kriegsökonomische" Sichtweise hilft auch zu erklären, weshalb Ideologien, deren Ziel es war, einen alternativen Gesellschaftsentwurf mit universellem Anspruch gegen den bestehenden Staat mit Gewalt durchzusetzen, kaum noch eine Rolle spielen, seit die Ressource systemische Konkurrenz zwischen Kapitalismus und Sozialismus zur Finanzierung von Kriegen und ihren Akteuren weggefallen ist. Jedoch muß an dieser Stelle auch deutlich herausgearbeitet werden, daß es keine eindeutige ökonomische Folie gibt, die die Eskalation von sozialen zu gewaltförmigen Konflikten anzeigt. Denn soziale Unterschiede als Treibsatzfür politische Polarisierung und innergesellschaftliche Konflikte, die zu bewaffneten Auseinandersetzungen eskalieren können, müssen in vertikale und horizontale, reale und perzipierte Ungleichheiten unterschieden werden. Die empirischen Befunde zeigen, daß horizontale reale oder perzipierte Einkommensunterschiede sich besonders eignen, politisch instrumentiert zu werden. Mit horizontal ist die Identifizierung von sozialen Gruppen gemeint, die z.B. als privilegiert wahrgenommen werden, wobei deren Identität territorial, religiös, ethnisch oder durch eine besondere Rolle in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung definiert sein kann. Vertikale Ungleichheit bezieht sich allein auf die Einkommensverteilung.

Von Krisen zu bewaffneten Konflikten – Nährböden der Gewalt

Gruppenidentifikationen verbunden mit einer Wahrnehmung von Benachteiligung in einem bestehenden Staatsgebilde werden virulent, wenn der moderne Staat seine originären Funktionen nicht oder nur unzureichend erfüllt. Dies gilt besonders dann, wenn er das Monopol legitimer Gewalt schrittweise verliert und er auch die Übernahme hoheitlicher Funktionen durch private Akteure nicht mehr in ausschließlich rechtsstaatlichen Bahnen halten kann. Fakt ist, daß aus unterschiedlichen Gründen sich in vielen Ländern Staatlichkeit auf eine weitgehend potemkinsche Fassade reduziert hat oder sich auf dem Wege dorthin befindet. Dennoch bleibt der Staatsapparat aber gleichwohl eine erstrebenswerte politische Beute, denn seine Kontrolle gestattet, Abschöpfung, Aneignung und Umlenkung von Ressourcen zugunsten der jeweiligen politischen Basis. Seine Usurpation erleichtert die Anwendung von Gewalt und erlaubt den Zugriff auf Infrastruktur zur Durchsetzung der partikularen wirtschaftlichen Interessen. Trotz allen realen Zerfalls von Staatlichkeit zahlt es sich in der Regel aus, ihren Besitz zu reklamieren, weil mit der internationalen Anerkennung zahlreiche praktische Vorteile gegenüber dem Warlord Status verbunden sind. Paradigmatisch hierfür ist der Weg Taylors vom Warlord zum Präsidenten in Liberia.

Die Diskussionen über den Zerfall von Staatlichkeit in klientelistische oder kleptokratische Netzwerke bzw. die nie wirklich erfolgte Ausprägung von Staatlichkeit in versschiedenen Regionen der Welt können hier aus Platzgründen nicht referiert werden. Nur soviel, zwischen Staat und Bürger besteht kein Gesellschaftsvertrag, der sich in der Bereitschaft manifestiert, Steuern zu zahlen und in der Wahrnehmung eigener Interessen, auf Gewaltanwendung zu verzichten. Der Staat verliert seine Funktion, wirtschaftliche Vorgänge zu regeln. Der ökonomisch meßbare Ausdruck dieser Entwicklung ist eine umfassende Informalisierung von Produktion und Handel, einschließlich Außenhandel. Marktteilnehmer sind dabei gezwungen, an Stelle einer allgemein gültigen Rechtsordnung, die es ihnen erlaubt, erworbene Rechte durchzusetzen, alternative Sicherheiten zu suchen. Dies fördert die Bildung und Verstärkung von Gruppenidentitäten als Vertrauensbasis und erklärt die vielerorts zu beobachtende ethnische Segmentierung von Handel, auch international, und von verarbeitender mittelständischer Industrie. Dennoch entsteht auch hier ein erheblicher Bedarf an privaten Sicherheitsdienstleistungen, die sich bis zu territorialen Gewaltmonopolen entwickeln können und mafiaartig fungieren. Die dabei anfallenden Transaktionskosten lähmen in der Regel die wirtschaftliche Entwicklung. In der zum Teil überzogenen Diskussion über die Privatisierung der Sicherheit (Lock 1998, 1999, 2001) und die Rolle von Söldnern in Kriegen, die sich vor allem an den Aktivitäten der südafrikanischen Söldnerfirma Executive Outcomes festmachte, wurde übersehen, daß das Treiben von Söldnern sich für die "Sicherheit" nachfragenden Akteure in jedem Falle wirtschaftlich rechnen muß. Daher dürften die wirtschaftlichen Parameter auf diesem Markt mehr noch als die völkerrechtliche Ächtung dazu beigetragen haben, daß es sehr ruhig um "teure weiße Söldner" in Afrika geworden ist. Allgemein gilt, daß die Formen der Privatisierung von Sicherheit "kaufkraftabhängig" sind. Während sich reiche Oberschichten mit modernsten Technologien und professionellen Anbietern von Sicherheitsdienstleistungen eine sichere Lebenssphäre schaffen können, sind ärmere Schichten darauf verwiesen, sich entweder milizartig kommunitär zu organisieren oder aber, was häufiger der Fall ist, sie müssen einem lokalen kriminellen Gewaltmonopolisten Tribut zahlen.

Die verbreiteten, lange anhaltenden wirtschaftlichen Krisen verschärfen in aller Regel die soziale Polarisierung. In schweren Krisen verdichtet sich der Zusammenhalt von sozialen Gruppen zur unersetzbaren Überlebensressource. Konfliktverschärfend wirkt die soziale Polarisierung insbesondere immer dann, wenn sie zusätzlich horizontale Dimensionen aufweist, die eine Mobilisierung auf der Grundlage von Gruppenidentitäten gegen wahrgenommene Benachteiligungen erlauben. Von besonders destabilisierender Virulenz ist die in weiten Teilen der Welt zu beobachtende soziale Ausschluß der Jugend oder einprägsamer ein Zustand "intergenerationeller Apartheid" (Lock 1999). Daß in vielen Staaten derzeit über die Hälfte der in das Erwerbsalter hineinwachsenden Jugendlichen, keine Perspektive haben, jemals einen Arbeitsplatz in der regulären Ökonomie zu erlangen, bildet sozialen Zündstoff und beschleunigt zudem die völlige Informalisierung der Wirtschaft und offeriert kriminellen Akteuren eine kaum erschöpfliche billige Personalreserve.

Kinder und Jugendliche, für die im weltweiten wirtschaftlichen Umbruch, meist wird hierfür die Vokabel Globalisierung verwendet, auch perspektivisch keine akzeptierte produktive gesellschaftliche Rolle existiert, sind die Hefe aus der in bestimmten Situationen Kindersoldaten oder instrumentierte Gewalttäter gemacht werden. Der ökonomische Blick auf diesen Prozeß legt offen, daß vor dem Kindersoldaten immer eine Art (kriegs-)unternehmerischer Entscheidung steht, verfügbare Ressourcen in die Ausrüstung und militärisch-logistische Versorgung von sog. Kindersoldaten zu investieren. Bevor automatische Gewehre und dazugehörige Munition in Kinderhände gelangen, müssen Waren oder Dienstleistungen, zumeist illegal, exportiert und damit die zum Waffenkauf unabdingbaren Devisen erwirtschaftet worden sein. Die Investition in Kindersoldaten erfolgt eindeutig zuungunsten anderer Anlagemöglichkeiten des Devisenbesitzers. Erst wenn man die dahinterstehende gewaltunternehmerische Entscheidung realitätstüchtig simulieren kann, eröffnen sich Möglichkeiten, präventiv gegen die jeweils angestrebte Aneignung von Ressourcen anzugehen, indem die entsprechende kriminelle Warenzirkulation unterbunden wird und so Kinder vor Mißbrauch als willfährige "Gewaltroboter" zu bewahren.

In ihrer Ausgeschlossenheit ist für Kinder und Jugendliche der Zugang zur Welt industriellen Massenkonsums, der man medial auch in den entferntesten Winkeln der Erde ständig ausgesetzt ist, in jedem Falle attraktiv, jedoch nur vermittels krimineller Handlungen erreichbar. Die Gewaltverherrlichung bei gleichzeitiger Geringsschätzung des eigenen Lebens in der Rapmusik (Ganster Rap) in den USA oder Reggae aus Jamaika drückt genau diese Befindlichkeit der in der gesellschaftlichen Ausgeschlossenheit Lebenden aus.

Seit langem gibt es massive Hinweise darauf, daß in der Diaspora lebende Menschen eine wichtige, nicht selten sogar aktive Rolle beim Übergang von einer Krise zu einem bewaffneten Konflikt spielen (Rufin 1996). Dabei wurde aber in der hier konsultierten Literatur zur Kriegsökonomie nicht hinreichend herausgearbeitet, daß wirtschaftliche und politische Krisen, Migration, Diaspora und schließlich bewaffneter Konflikt im Herkunftsland sich gegenseitig verstärkende Elemente einer sich auf der Zeitachse vergrößernden Spirale sind. Holzschnittartig muß man sich das so vorstellen: Vor allem lange anhaltende wirtschaftliche und politische Krisen führen zu selektiver Emigration, die zu einer Verschärfung der wirtschaftlichen Krise führt, weil vor allem leistungsbereite, gut ausgebildete Menschen in Krisen das Land verlassen. Ebenso wird das gesellschaftliche Potential in Politik und Wirtschaft zur Überwindung der Krise durch die Migrationsverluste weiter geschwächt. Im Familienverbund führt Migration aber immer auch zu häufig substantiellen Rückflüssen, die das Überleben sicher und sogar die soziale Lage punktuell verbessern. Gleichwohl leisten diese Transfers keinen wirklichen Beitrag zur Überwindung der wirtschaftlichen und politischen Krise. Im Gegenteil, in vielen Fällen versucht der korrupte Staat sich eines Teils der Transfers durch Zwangsumtausch und ähnliche Maßnahmen zu bemächtigen, was aber nur die allgemeine Informalisierung der Wirtschaft und damit die Krise vorantreibt. Denn die Diaspora entwickelt in solchen Fällen leistungsfähige informelle Transfersysteme, die sowohl mit bildgestützten Satellitentelefonen u.a. in Zentralamerika arbeitet als auch hochkomplexe informelle vertrauenbasierte Transfersysteme nutzt. Unterstützungleistungen afghanischer Diaspora für den zurückgebliebenen Teil der Familie durchlaufen eine Transformation von Geld zu Ware und wiederum Geld, manchmal sogar wiederholt, auf dem langen Weg in ein Land ohne Infrastruktur (Monsutti 2000). Die derzeitige außerordentliche Aufmerksamkeit für den Finanzsektor und internationale Transfersysteme wird viele Informationen über die robuste Infrastruktur in den Sphären der gemeinhin unterschätzten Schattenglobalisierung zutage fördern.

Die eskalierenden Mißstände in ihrer jeweiligen Heimat verärgern die Diaspora und verleiten sie schließlich dazu, ihre wirtschaftliche Potenz auch mit dem Ziel eines politischen Wandels im Herkunftsland einzusetzen. Da dies in der Regel nicht mit einfacher Wahlkampffinanzierung erreicht werden kann und ohne Kenntnis der wirklichen Problemlagen geschieht, öffnen sich Ressourcenzugänge für opportunistische Akteure im Herkunftsland, die einen Wandel der Verhältnisse versprechen. Als Ursache für die Misere wird regelmäßig ein Feindbild konstruiert, so daß nicht selten nur über den Umweg eines bewaffneten Kampfes die Vision einer "heilen Heimat" erreichbar erscheint, der seinerseits eine Eigendynamik entwickelt und opportunistische Politiker in Kriegsunternehmer mit Bankverbindungen zum Beispiel in der Schweiz verwandelt.

Diese Abfolge durchläuft viele Zwischenschritte und kann sich über Jahrzehnte hinziehen. Krisenverschärfend wirkt dabei, daß die Diaspora die Gewalt gegen eine als gerecht perzipierte Sache nur als Leiden der eigenen Gruppe durch die Medien erfährt, das zudem oft gezielt medial inszeniert wird, um den Ressourcenfluß zu fördern. Auf dieser Folie lassen sich mehr Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit abtragen, als hier referiert werden können. Zur Illustration wäre allgemein auf die bewaffneten Konflikte in Armenien-Azerbaidjan, Nordirland, Libanon, Sudan, Sri Lanka, Israel-Palästina, Kroatien, Kosovo u.a.m. zu verweisen, in denen die Ressourcen der Diaspora im Zusammenspiel mit lokalen Akteuren das Konfliktgeschehen dominieren.

Ein Beispiel für eine fatale Schwächung des Krisenlösungspotentials ist die massive Auswanderung intellektueller Schichten aus Serbien seit Ende der achtziger Jahre als Reaktion auf das Milosevichregime. Zeitlich vorgelagert war die massive Arbeitsmigration unter Tito, die Ausdruck der wirtschaftspolitischen Unfähigkeit der herrschenden bürokratischen Klasse war und sie zugleich alimentierte, indem sie Devisen in die Staatskassen spülte. Das Titoregime trieb vorrangig schlecht behandelte Volksgruppen in Scharen außer Landes, was ihnen in der dramatischen Transformationskrise des korrupten und abgewirtschafteten Tito-Sozialismus zum beneideten Vorteil geriet. So wurde das virtuelle Volkseinkommen der Kosovoalbaner in den neunziger Jahren zu weit mehr als zwei Drittel im Ausland auf legale und illegale Weise erwirtschaftet und war gegenüber der Mißwirtschaft des Milosevichregimes relativ immun (Lock 2000).

Ein weiteres wenig beachtetes Beispiel ist Armenien. Mit der überraschenden Eigenstaatlichkeit und dem gleichzeitigen ökonomischen Zusammenbruch durch die Auflösung der Sowjetunion fiel der zahlreichen, weltweit verstreuten, aber meist gut situierten Diaspora sehr schnell eine zentrale Rolle bei der Sicherung des Überlebens der Bevölkerung zu. Mangels einer realitätstüchtigen Entwicklungsstrategie reduzierte sich die politische Kohäsion der virtuellen armenischen Gesellschaft bestehend aus der bodenständigen Bevölkerung und der umfangreichen Diaspora auf den äußeren Feind. Massive Versuche die virtuelle Gesamtheit der Armenier sogar zu Wahlbürgern zu machen, sind nur knapp gescheitert. Staatlichkeit reduzierte sich bald auf die militärische Absicherung des kriegerisch eroberten Besitzstandes in Bergkarabach. Ansonsten erscheint das politische Leben als eine Fassade für die Auseinandersetzung konkurrierender privater Gewaltmonopolisten, die ihre blutigen Gefechte auch im Parlament ausgetragen haben. Sie sind darauf aus, alle Ressourcen, einschließlich der Zuflüsse aus der Diaspora, zu kontrollieren. Das Steueraufkommen ist minimal, Bürokraten, Polizisten und Soldaten reproduzieren sich zwangsläufig als parasitäre Wegelagerer der Zivilgesellschaft. Das Ergebnis ist eine dramatische Beschleunigung der oben beschriebenen Spirale. Jüngsten vorsichtigen Schätzungen zufolge hat sich die armenische Wohnbevölkerung seit der Unabhängigkeit durch legale und illegale Migration auf nunmehr etwa zwei Millionen halbiert (Stern 2001). Beobachter schätzen, daß die Verhältnisse in Georgien sehr ähnlich sind (Christophe 2000). Alle Kenntnisse über Migrationsprozesse sprechen dafür, daß es sich dabei jeweils um die besser qualifizierte Hälfte der Bevölkerung handelt, die in der Diaspora ein Überleben sucht.

Versucht man diese Folie als Frühwarninstrument für die Wahrscheinlichkeit innergesellschaftlicher bewaffneter Konflikte aktuell zu nutzen, dann müssen die Sirenen im Falle Zimbabwes aufheulen. Trotz gegenwärtig dramatischer Berichterstattung über die gewaltgestützte Enteignung vieler weißer Farmen, ist der eigentliche Krisenindikator die seit langem andauernde massive Emigration nicht-Weißer professioneller Schichten, die für sich im Chaos des vom Mugawe-Clan angeeigneten Staates keine Zukunft mehr sehen und in Großbritannien und Südafrika bereits eine auffällige Gruppe in verschiedenen Bereichen des Dienstleistungssektors bilden. Die Entsendung von 30 000 Soldaten in den benachbarten Kongo erweist sich bei genauerer Betrachtung als eine private Risikoinvestition des Präsidenten in Gecamines, den heruntergewirtschafteten kongolesischen Bergbaukonzern. Die Schlußfolgerung kann nur lauten, Zimbabwe befindet sich auf einem steilen Wachstumspfad der beschriebenen Spirale, die mit einiger Wahrscheinlichkeit in einen innergesellschaftlichen bewaffneten Konflikt münden kann. Beobachtungen zu den vielfältigen Formen der Kriegsfinanzierung Grundlegend für ein Verständnis der ökonomischen Parameter heutiger bewaffneter Konflikte ist die Erkenntnis, daß die in Kriegen vernutzten Ressourcen überwiegend im Kriegsgebiet oder zumindest von den Akteuren selbst generiert werden müssen. Dies determiniert die Kapitalintensität des Kriegsgeschehens und begründet die überragende Bedeutung von Kleinwaffen in innergesellschaftlichen Konflikten. Lediglich wenn noch Bestände aus der NATO-WP Konfrontation verfügbar sind, kommt schweres Gerät zum Einsatz, so zum Beispiel in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien oder in Tschetschenien, aber auch in Äthiopien.

Der "kriegsökonomische" Blick muß sich also zuerst auf die Art und Weise richten, wie Kriegsakteure, sowohl auf der staatlichen als auch auf der nicht-staatlichen Seite, die benötigten Ressourcen generieren. Denn da die meisten gegenwärtigen Kriege in den ärmsten Ländern stattfinden, stellt sich das Problem der Kriegsfinanzierung für beide Seiten in gleicher Schärfe. Nur ein geringer Teil des Staatshaushaltes wird in diesen Ländern durch Steueraufkommen erbracht. Ohne Zuflüsse aus der Entwicklungshilfe und Kredite könnte sich die je schwache Staatlichkeit nicht reproduzieren. Für die nicht-staatlichen Parteien in innergesellschaftlichen bewaffneten Konflikten gibt es eine breite, durch empirische Studien gesicherte Palette von Waren und Dienstleistungen, die illegal in die Weltmarktzirkulation eingeschleust werden und der Kriegsfinanzierung dienen. Hinzu kommen offener Raub, Entführungen, Erpressung (Zwangssteuer) von Angehörigen der Diaspora und Menschenhandel in unterschiedlichen Varianten (Rufin 1996; Stewart 2001b; Nafziger 2000b, Keen 1998). Das benötigte Kriegsgerät muß auf den internationalen Schwarzmärkten erworben und unter schwierigen logistischen Bedingungen in das Kriegsgebiet verbracht werden. Jeder Käufer benötigt in dieser schattenwirtschaftlichen Sphäre Dollars als Tauschmittel. Daher müssen alle Aktivitäten zur Sicherung der Kriegsfinanzierung harte Devisen erbringen. Dies dezimiert die Bereiche, die sich jeweils zur Sicherung der Kriegsfinanzierung eignen. Zum Beispiel beschränkt sich die Entführungsindustrie vorrangig auf Länder mit konvertierbarer Währung wie Kolumbien oder auf Angehörige von westlichen Hilfsorganisationen, für deren Freilassung in Devisen gezahlt wird. Parallel dazu gibt es die unkontrollierte Selbstalimentierung durch Soldaten, die nicht an die Erwirtschaftung von Devisen gebunden ist. Sie schlägt sich in Raub und Erpressung nieder. Man kann letzteres als sekundäre Kriegsökonomie klassifizieren, bei der die unmittelbare Subsistenz im Vordergrund steht, nicht aber die systemische Einbindung in die Schattenglobalisierung. Diamanten, Edelhölzer, Edelsteine, Drogenanbau und –handel, Schürfrechte zu Dumpingpreisen an meist dubiose Unternehmen, z.B. der bereits erwähnte Mugawe-Clan oder Söldnerfirmen, Menschenhandel und Sklavenarbeit, Schutzelderpressung u.a.m. sind als Ressource der Kriegsfinanzierung in verschiedenen Ländern belegt. Dabei ist immer ein Hehler notwendig, der die Waren oder auch Dienstleistungen in die reguläre Wirtschaft einschleust und hierfür von saftigen Preisabschlägen beim Einkauf profitiert. Wegen der erforderlichen Illegalität der Transaktionen kommen nur Waren in Frage, die bei geringem Gewicht einen hohen Preis erzielen. Hinzukommt daß die Produktionstechnologie weder kapital- noch importintensiv sein darf, denn sonst wäre sie ein leichtes militärisches Ziel für die Gegenseite oder durch Embargomaßnahmen unmittelbar gefährdet.

Mangels Alternativen wird humanitäre Hilfe in den verschiedensten Konstellationen als Mittel der Kriegsfinanzierung geraubt oder erpresserisch angeeignet (Rufin 1996, Carbonnier 2000). Sarajewo, Sudan und die Flüchtlingslager im Osten des Kongo sind die presseöffentlich gemachten Beispiele eines inzwischen fast schon generellen Musters, das die Organisatoren von humanitärer Hilfe immer häufiger zwingt, äußerst schwierige Abwägungen über Fortsetzung oder Abbruch von Hilfeleistung zu treffen. Denn das Neutralitätsgebot für humanitäre Hilfeleistungen ist faktisch nicht länger aufrechtzuerhalten. Es sei denn man, man akzeptiert bzw. organisiert militärischen Schutz für die Hilfsmaßnahmen. Dann aber wird die humanitäre Hilfe selbst zu einer bewaffneten Formation in der Krisenregion.

Die Diaspora als freiwillige oder erpresste Ressource der Kriegsfinanzierung spielt eine große Rolle in vielen Konflikten. Im Falle der Tamil Tigers (Sri Lanka) wird die illegale Immigration von Arbeitskräften in Industrieländer, u.a. Kanada, systematisch organisiert, einschließlich Rechtsberatung bei Asylverfahren. Diese Menschen werden dann gnadenlos abkassiert und können sich solange überhaupt nicht wehren, wie sie im Untergrund leben. Bei Menschenhandel und internationaler Organisation von Prostitution verschwimmen häufig die Grenzlinien zwischen zentral gesteuerter Kriegsfinanzierung und "normaler" organisierter Kriminalität. Da erfolgreiche Kriegsfinanzierung der nicht-staatlichen Partei notwendig in der Schattenwirtschaft stattfinden muß, gibt es noch sehr dringenden Forschungsbedarf, diesen Bereich der Weltwirtschaft transparent zu machen. Unter anderem gilt es zu prüfen, wie die Legalisierung von bestimmten Migranten die erpresserische Finanzierung von bestimmten Kriegen unterbinden kann.

Die regierungsseitigen Kriegsparteien in den ärmsten Länder haben es mit Streitkräften und sonstigem Sicherheitspersonal zu tun, die sich längst darauf eingestellt haben, häufig lange Zeit keine Gehälter zu erhalten und ihre Subsistenz, und häufig mehr, eigenständig auf illegale Weise (Schutzgelder, Straßensperren, private Dienstleistungen etc.) einzutreiben. Die militärische Ausrüstung ist entsprechend schlecht und veraltet. Es fehlt häufig regelmäßig an den notwendigen Betriebsmitteln. Mit dem Ziel in der militärischen Auseinandersetzung zu obsiegen, werden alle nicht-militärischen Staatsausgaben stark gekürzt, was die die soziale Destabilisierung, häufig eine der Konfliktursachen, weiter verschärft. Oft wird die Unterstützung der nicht-staatlichen Konfliktpartei seitens der Bevölkerung befördert, dadurch daß in der konfliktbedingten wirtschaftlichen Krise (überlebens)wichtige "entitlements" entzogen werden. Soweit das Land noch kreditwürdig ist, schnellt die Auslandsverschuldung in die Höhe. Alternativ und zusätzlich werden verfügbare Rohstoffe und deren Abbaurechte zu Dumpingpreisen auf den Markt geworfen und in zumeist "geheimen" Verträgen vergeben. Der "nationale" Notstand schafft Rahmenbedingungen, in denen die letzten schwachen Dämme gegen Korruption und vollständige Aneignung der Exporteinkommen durch die herrschende Clique leicht gebrochen werden (Cilliers 2000, Hodges 2001). Auf die geldpolitischen Möglichkeiten, vor allem der inflationären Geldemission, mit der sich korrupte Staatsklassen unter dem Siegel des Notstandes immer größere Teile des Volkseinkommens aneignen, kann hier nur am Beispiel Zaire unter Mobutu verwiesen werden. Unter dessen Herrschaft kam es zu mehreren Neuemissionen der nationalen Währung, bei denen jeweils der Geldentwertung folgend drei Stellen gestrichen wurden.

Für den weiteren Forschungsprozeß ist an dieser Stelle festzuhalten, daß der kriegsökonomische Zugriff es in der weiteren Entwicklung leisten sollte, Konstellationen zu ermitteln, in denen die Möglichkeit einer Einhegung von Kriegsgeschehen mit strikten Kontrollen von Warenströmen und internationalen Dienstleistungen erfolgversprechend ist.

Eine notwendige Bedingung für Kriegsökonomien: die drei Sphären der Globalisierungsdynamik

Würden Kriegsökonomien auf eine wasserdicht in rechtlichen Bahnen verlaufende Weltwirtschaft stoßen, so hätten wirtschaftskriminelle Kriegsakteure wenige Chancen zu reüssieren, Devisen zu erwirtschaften und ihrerseits als Käufer auf Schwarzmärkten für Kriegsmaterial aufzutreten. Das Kriegsgeschehen würde alsbald implodieren. Tatsächlich jedoch setzt sich die gegenwärtige Globalisierung aus drei miteinander verschränkten Sphären zusammen, auch wenn dieser Sachverhalt im vorherrschenden Globalisierungsdiskurs ausgeblendet bleibt.

1. Sektor: Die reguläre, in rechtlichen Bahnen organisierte Ökonomie. Sie allein ist Gegenstand volkswirtschaftlicher Lehre. Allein in der regulären Volkwirtschaft können Steuern erhoben werden, die den Staat reproduzieren und damit rechtliche Regelung des Marktes sichern. Die weltweite Vorherrschaft neoliberaler Doktrin hat jedoch den souveränen Staat wirtschaftlich in eine nahezu totale Abhängigkeit vom globalen Finanzmarkt gebracht. Nationalökonomie im ursprünglichen Sinne hat keinen souverän steuerbaren Gegenstand mehr. Wirtschaftlich sind Staaten zu erbitterten Wettbewerbern auf den globalen Finanzmärkten geworden. Dabei ist der Verzicht auf Steuern zu einem wichtigen Instrument des Wettbewerbs um Anlagekapital geworden. Dies erschwert zusätzlich die Reproduktion einer bereits geschwächten Staatlichkeit in ärmeren Ländern.

2. Sektor: Die informelle Ökonomie beschreibt jene Sphäre, in der die Mehrheit der Menschen auf der Welt ihr Überleben organisiert. Es handelt sich um eine weitgehend automome Sphäre, die vom Staat weitgehend abgekoppelt ist und in der keine direkten Steuern entrichtet werden. Der informelle Sektor ist jedoch keineswegs auf Selbstversorgung beschränkt. Vielmehr bilden die informellen Ökonomien ein dynamisches weltweites Netzwerk. So wird zum Beispiel schätzungsweise die Hälfte allen grenzüberschreitenden Warenverkehrs in Afrika informell abgewickelt (Lock 1998). Jedoch lebt diese große Hälfte der Menschheit in ständiger rechtlicher und physischer Unsicherheit. Das staatliche Monopol legitimer Gewalt schützt sie nicht, ihre Lebenssphäre liegt außerhalb des verläßlichen Handlungsfeldes der staatlichen Sicherheitsorgane. Sicherheit muß privat, oft auch gegen korrupte staatliche Hoheitsträger organisiert werden. Dabei wird das Gewaltmonopol häufig kleinräumlich kriminell usurpiert. In der Form von Wirtschafts- und Überlebensmigration manifestiert sich die informelle Ökonomie als einer der dynamischsten Faktoren des gegenwärtigen Globalisierungsprozesses, der im Halbdunkel aller Gesellschaften millionenstark fungiert und sich nur zu einem geringen Teil in den Zahlungsbilanzen in Form von familiären Unterstützungsleistungen niederschlägt. Leistungsfähige, z.T. hochkomplexe transnationale Netzwerke organisieren den Zahlungsverkehr, der außerhalb der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auch Krisenregionen bedient, in denen das reguläre Bankensystem zusammengebrochen ist (Carbonnier 2000 S.68-73). Manchmal wird die informelle Ökonomie als Erscheinung verortet, die vor allem jene Teile der Weltökonomie prägt, die noch keine Modernisierungsphase durchlaufen haben. Diese Wahrnehmung geht aber an der Wirlichkeit vorbei. Auch in Deutschland gibt es dynamisch expandierende informelle Sektoren, in denen illegale Migranten in einem organisierten System den bislang gesetzlich verhinderten Billiglohnsektor besetzen und so die Illusion der erfolgreichen Verteidigung des Tariflohnsystems bei den Gewerkschaften nähren. 3. Sektor: Hierbei handelt es sich um die offen kriminelle Ökonomie. Sie ist ein gewaltreguliertes globales Netzwerk, das ständig parasitär in die reguläre Ökonomie eindringt, In der informellen Ökonomie werden Schutzgelder erpreßt und das für kriminelle Handlungen benötigte risikobereite Personal rekrutiert. Das jährliche Bruttokriminalprodukt wird von Experten auf mindestens 1500 Mrd. US Dollar weltweit geschätzt (Willman 2001). Der diffuse globale Finanzmarkt mit seinen off-shore Standorten, von denen aus die modernen (Bank)Piraten agieren, bildet das operative Medium der kriminellen Ökonomie. Die kriminelle Ökonomie ist ein Parasit, der von den beiden anderen Sektoren lebt. Bei der Drogenökonomie, deren Umsatz auf über 500 Mrd. US-$ geschätzt wird, ist die Abhängigkeit von der regulären Ökonomie vielleicht am deutlichsten. Denn wäre der Drogenkonsum in reichen Industriestaaten nicht verboten, so würde dieser Wirtschaftszweig auf eine marginal Größe schrumpfen.

Der globale Netzwerkcharakter der kriminellen Ökonomie manifestiert sich in der multiplen Nutzung bestehender Infrastrukturen im Bereich der Schattenglobalisierung. So geht man u.a. davon aus, daß die kriminellen Netzwerke des globalen Drogenhandels inzwischen auch Schwarzmärkte für Waffen, insbesondere Kleinwaffen kontrollieren. Wirtschaftliche Verelendung und zunehmende gewaltförmige Regelung von Märkten erhöhen den Migrationsdruck, der sich in Heerscharen illegaler Migranten in fast allen Ländern niederschlägt. Aus ihnen geht die personelle Infrastruktur global agierender krimineller Netzwerke hervor.

Das ständige Bestreben der kriminellen Akteure ihre Profite, in die legale Ökonomie einzuschleusen und respektierter Besitzer eines Palais am Mittelmeer oder einer Villa in der Schweiz zu werden, kommt einem korruptiven Dauerangriff auf die reguläre Ökonomie gleich. Die Kontrolle eines Staatsapparates ist dabei von Vorteil. Die Namen Marcos, Mobutu, Abacha und Suharto stehen für ein Heer von Plünderern von Staatskassen, für die Krisen und Kriege die Handlungsspielräume verbessern. Sie haben bislang immer willfährige, profitgierige Helfer bei vornehmen Bankadressen gefunden. Die drei Zirkulationssphären sind asymmetrisch miteinander verbunden, wobei die kriminelle Sphäre einen parasitären Status hat. Aber ein Akteur der kriminellen Sphäre kann seine Produkte vermittels Hehler bei entsprechenden Preisabschlägen in die reguläre Warenzirkulation einschleusen. Umgekehrt gelangen legal produzierte Kriegsgeräte und vor allem Kleinwaffen in die kriminelle Zirkulationssphäre und landen in den Händen der Kriegsakteure. Je größer die informelle Ökonomie ist, umso besser sind die operativen Bedingungen für kriminelle Akteure. Das generelle Tauschmedium sind Dollarnoten, seltener ist direkter Tauschhandel. Es ist eine Illusion zu glauben, daß die informellen und die kriminellen Ökonomien sich vorwiegend auf bestimmte Regionen beschränken. Vielmehr breiten sie sich wie Nebel unaufhaltsam aus und dringen in scheinbar umfassend regulierte Ökonomien ein. Reiche, scheinbar wohlgeordnete Gesellschaften sind ein zentraler, unverzichtbarer Operationsraum für Drogenhandel, illegale Arbeitskräfte oder Geldwäsche. Auch die OECD-Welt ist somit notwendiger Operationsraum von Kriegsökonomien und bietet bislang ungenutzte Eingriffsmöglichkeiten zur Einhegung von bewaffneten Konflikten.

Ansätze für vorausschauende Beobachtung (Monitoring)

Die kriegsökonomische Betrachtungsweise setzt voraus, daß man die Realität der verschiedensten Formen von dynamischer "Schattenglobalisierung" parallel zur statistisch erfaßten regulären Ökonomie akzeptiert und alles unternimmt, Licht in diese Grauzonen der Weltwirtschaft zu bringen. Das Potential für realitätstüchtiges Monitoring von Krisenentwicklung und lange andauernden bewaffneten Konflikten aus diesem Blickwinkel ist bei weitem nicht ausgeschöpft.

Statt der politischen Inszenierung von Konfliktparteien zu folgen und sich an deren Ideologien abzuarbeiten, sollte man vordringlich die schattenwirtschaftliche Dynamik in Krisen und Krieg aufhellen und die wirtschaftlichen Parameter simulieren, innerhalb derer die jeweiligen Akteure agieren, um zu einem besseren Verständnis der Konfliktprozesse zu kommen. Diese Vorgehensweise muß die staatliche Konfliktpartei unbedingt einschließen, denn auf dem Weg von sich zuspitzenden Krisen zum innergesellschaftlichen Krieg gehen Transparenz und demokratische Kontrolle des Staatsapparates verloren. Mit der Folge, daß die alltägliche Korruption sich zu kriegsabhängiger Wirtschaftskriminalität verstetigt. Migration als krisen- und kriegsbegleitende Erscheinung muß sehr viel genauer beobachtet werden, denn ihre Entwicklung ist ein untrügliches Krisenbarometer. Sie verändert die Leistungsfähigkeit der betreffenden Gesellschaft und führt zu einer oft fatalen Verschiebung der Machtbalance, die Korruption, Schattenwirtschaft und Gewaltkriminalität Tore weiter öffnet. Die große Bedeutung der Migration für die Konfliktgenese im ehemaligen Jugoslawien, Armenien und Georgien ist bereits erwähnt worden. Bosnien und Kosovo, aber auch Tschetschenien sind Beispiele dafür, daß Kriegsgesellschaften meist auch Migrationsgesellschaften waren, lange bevor es zum Krieg kam. Bei der Konzeption von Hilfsmaßnahmen nach Beendigung eines Konfliktes muß man daher berücksichtigen, daß sich der Reproduktionsraum der betreffenden Gesellschaft als Folge krisen- und kriegsbedingter Migration internationalisiert hat und daher der Versuch der Rekonstruktion des Status quo ante konterproduktiv wirkt.

Auch im Falle des kriminellen Sektors ist eine ausschließliche Verortung in instabilen Regionen unangebracht. Ohne Konsum kriminell angeeigneter Waren z.B. in Deutschland könnte der kriminelle Sektor nicht so reüssieren und immer leistungsfähigere Netzwerke ausbilden. Erst nach dem 11. September hat die Politik ernsthaft begonnen, die Existenz globaler krimineller Zirkulation anzuerkennen. Für Unternehmer der regulären Ökonomie ist die verstärkte Kriminalität aus der Sphäre der Schattenglobalisierung heraus oft sehr konkret. Ein fast kurioser Beleg findet sich am Eingang von Geschäften der Firma ALDI. Dort werden Einbrecher darauf hingewiesen, daß der Geldschrank mit einem eingebauten Sicherheitstresor versehen ist, der vom Personal nicht geöffnet werden kann. Die in Deutschland manifeste Schattenglobalisierung reflektierend werden potentielle Einbrecher in sechs Sprachen angesprochen: deutsch, englisch, polnisch, türkisch, rumänisch und russisch.

Aber man muß die Reproduktionsmuster der Konfliktparteien auch dann empirisch genau untersuchen, wenn man eine scheinbar plausible These zur Hand hat. Dies läßt sich am Beispiel Nordirlands zeigen. Es ist vorherrschende Meinung, daß die katholisch-irische Diaspora in den USA Sinn Fein und die IRA moralisch, logistisch und wirtschaftlich unterstützt und so den zähen Widerstand gegen eine scheinbar allen dienende friedliche Lösung perpetuiert. Neuere Erkenntnisse des ökonomischen Musters des Nordirlandkonfliktes verweisen jedoch darauf, daß der Krieg inzwischen eine solide, für die unmittelbar Beteiligten vorteilhafte wirtschaftskriminelle Basis hervorgebracht hat. Schmuggel unversteuerter Zigaretten in großem Maßstab ist ein bedeutender Sektor der Schattenwirtschaft. Wirtschaftlich noch bedeutender ist, daß laut Steueraufkommen der Kraftstoffkonsum in Nordirland bei 50 % des britischen Durchschnitts liegt, gleichzeitig gibt es nirgends so viele freie Tankstellen wie in Nordirland. Schmuggel und der Verkauf von unversteuertem Kraftstoff in großem Stil erklären diese nordirische Besonderheit. Auf zwei bis vier Milliarden _ wird der Profit dieses Schwarzhandels geschätzt. Es kommt hinzu, daß die poröse Grenze zwischen Nordirland und Irland den grenzüberschreitenden Viehtransport zur Verdoppelung des EU-Subventionen ein festes Muster in der Konfliktregion war, das erst in seinem vollen Umfang sichtbar wurde, als wegen der Maul- und Klauenseuche in Großbritannien Irland seine Grenzen erstmals streng kontrollierte. Als Folge eines erfolgreichen Friedensprozesses würden diese Einkommensquellen vor allem für die in der regulären Ökonomie stark benachteiligten Katholiken versiegen. Denn diese massive Schattenwirtschaft setzt die militante Kohäsion der katholischen Konfliktpartei voraus. Kein nordirischer Katholik würde derzeit eine Anzeige bei den britischen Behörden wegen eines Wirtschaftsvergehens in der eigenen Gruppe erstatten. An diesem Beispiel kann man das Potential kriegswirtschaftlicher Strukturen beobachten, sich zu verselbständigen und ein Hindernis auf dem Wege zur Konfliktbeendigung zu werden. Gute Kenntnisse der jeweiligen Kriegsökonomie sind daher eine notwendige Voraussetzung sowohl für Konflikteinhegung als auch für realitätstüchtige Entwicklungsstrategien nach der Beendigung des bewaffneten Konfliktes, denn eine Stunde Null gibt es in der gesellschaftlichen Reproduktion nicht. Es gilt, konkrete Alternativen zur wirtschaftskriminellen Einbindung in die Schattenglobalisierung zu entwickeln, sonst reproduzieren auch diese Programme die Machtposition der Kriegsakteure. Auch in Deutschland war die Formel der Stunde Null ein die Restauration fördernder Selbstbetrug.

Die nächsten Schritte

Die kriegsökonomische Herangehensweise legt in aller Regel Strukturen frei, die direkt mit unserer alltäglichen Lebenswelt auf dem Wege der Schattenglobalisierung verknüpft sind. Unsere Einmischung muß daher nicht humanitäre Gesinnung bemühen, denn ökonomisch vermittelt sind wir meist irgendwie bereits Konfliktpartei, ohne daß wir uns dessen in vielen Fällen bewußt sind. Beim Tropenholz aus Kambodscha konnte man sich nicht wirklich mit Unkenntnis herausreden. Im Falle zahlreicher anderer Verknüpfungen unseres Alltages vermittels der Warenzirkulation, die aus Kriegsökonomien stammt, gilt es die Makler zwischen Schattenwirtschaft und regulärer Ökonomie zu identifizieren und ihnen das Handwerk zu legen. Zugleich darf aber nicht übersehen werden, daß Kriege für die Akteure zu einer Art (Re)Produktionsweise geworden sind und eine erfolgreiche Einhegung zugleich die Findung neuer Produktionsmuster erfordert.

Allgemein gilt, daß die weltwirtschaftliche Verflechtung Grundlage für das Entstehen und den Bestand von Kriegsökonomien ist. Erst die Anerkennung der äußerst dynamischen Abläufe im Bereich der Schattenglobalisierung als vordringlicher Forschungsgegenstand, wird mittelfristig Informationen generieren, die eine intelligentere Politik zur Einhegung von bewaffneten Konflikten ermöglicht. Dem steht jedoch entgegen, daß die Schattenglobalisierung, wie der Name sagt, nicht sonderlich transparent verläuft. Im Gegenteil, um erfolgreich zu sein, müssen die Akteure ihre Transaktionen geheim halten. Das bedeutet auch, daß die volkswirtschaftliche Analyse der Schattenglobaliserung keine Daten generieren kann, die notwendig wären, um das methodische Instrumentarium der vorherrschenden Volkswirtschaftslehre zu füllen. Das kann man, ja muß man akzeptieren, denn die herrschende Lehre blendet alles jenseits der regulären Ökonomie mehr oder weniger aus. Aus diesem Blickwinkel ist die Beschäftigung mit den drei Sektoren der globalen Ökonomie und vor allem der Schattenglobalisierung, auf der Kriegsökonomien gründen, auch eine inhaltliche Rekonstruktion der Begriffes Volkswirtschaft.

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