Dr. Peter Lock
European Association for Research on Transformation e.V.

Kriege des 21.Jahrhunderts und Hochtechnologien

(Peter Lock, Manuskript für einen Sammelband mit dem Titel: Das Kosovo-Dilemma, Paul Schäfer et al. Hg., erscheint im Verlag Westfälisches Dampfboot)

Die Vereinigten Staaten als zentraler Akteur

Die einzige Gewißheit nach dem Ende des Kalten Krieges ist der Sachverhalt, daß die Vereinigten Staaten sich derzeit in einen Aufrüstungstaumel steigern, der die unzweifelhafte absolute militärische Überlegenheit weiter erhöhen und dauerhaft absichern soll. Der sogenannte Krieg gegen den Terrorismus hat ein Meinungsklima geschaffen, in dem eine demokratische Kontrolle von Regierungshandeln, soweit es Sicherheit in einem bedenklich erweiterten Sinne betrifft, faktisch nicht mehr stattfindet. Vergleiche mit der McCarthy Ära sind durchaus angemessen. Der Feind im Inneren, die "fünfte Kolonne" ist nicht mehr kommunistisch, heute ist sie islamistisch mit einer quasi-rassistischen Konnotation. Regelmäßig ruft der amerikanische Justizminister die Bevölkerung zu erhöhter Wachsamkeit gegen diesen zu allem entschlossenen Feind auf, mal sind es Banken, mal staatliche Einrichtungen, die vorgeblich Ziel terroristischer Anschläge sind.
Sicherheits- und militärpolitischer Aktivismus bestimmt derzeit auch die amerikanische Außenpolitik. Die Militärhilfeprogramme expandieren, oft ausdrücklich ohne die normalerweise notwendige Aufsicht durch den Kongreß. Allerorten werden Streitkräfte anderer Staaten von amerikanischen Militärs ausgebildet und viele kleine gemeinsame Übungen durchgeführt. Präventive Aufklärung dürfte ein Ziel dieser breit gestreuten Aktivitäten sein, mit denen an die 100 Staaten erfaßt werden. Das oft beschworene "Vietnam Syndrom" scheint überwunden, zumindest solange die öffentliche Erwartung erfüllt wird, daß es keine amerikanischen Kriegsopfer gibt. Selbst die aktive militärische Unterstützung von fremden Streitkräften bei internen gewaltsamen Auseinandersetzungen stößt nicht mehr auf große Widerstände im Kongreß. Teilweise sind diese Aufgaben privaten Militärunternehmen [1] übertragen worden. Aber seit letztem Herbst wächst die Zahl der Länder rasch an, in denen amerikanische Truppen stationiert sind. Die Liste reicht rund um den Globus vom Kaukasus über die Philippinen, Kolumbien, Europa bis in den persisch-arabischen Golf. Dieses Engagement ist eingebunden in trägergetützte weltweite maritime Präsenz und umfangreiche Bereithaltung von Kriegsmaterial für größere konventionelle Kriege u.a. in Europa und auf Diego Garcia im indischen Ozean.
Die amerikanischen Streitkräfte beschaffen inzwischen jährlich mehr Rüstungsgüter als der Rest der Welt. Knapp die Hälfte der weltweiten Militärausgaben entfallen auf die USA. Die "erklärten Feinde der USA", die sogenannten Schurkenstaaten verfügen über Militärbudgets in Höhe von drei Prozent des amerikanischen Verteidigungshaushaltes. Die VR China und Rußland verfügen über ein Militärbudget, das etwa einem Viertel des amerikanischen Militärhaushaltes entspricht, wenn man Angaben folgt, die auf amerikanischen Schätzungen der jeweiligen Kaufkraft beruhen. Legt man Wechselkurse zugrunde, dann kommen diese beiden Mächte zusammen auf lediglich etwa zehn Prozent.
Im laufenden Haushaltsjahr werden die USA mindestens 333 Mrd. US $ für ihre Streitkräfte ausgeben. Allerdings haben sie nach dem 2. Weltkrieg bei noch deutlich geringerem Nationaleinkommen einige Male real mehr für das Militär aufgewendet [2]. Denn in der Vergangenheit gab es immer wieder ideologische Konstellationen mit politischen Mehrheiten für ungleich höhere militärische Belastungen gemessen als Anteil am Bruttosozialprodukt. Vor dem Hintergrund der letzten fünfzig Jahre ist die Höhe der gegenwärtigen Militäraufwendungen daher noch nicht auffällig. Gegenüber dem Trend im Rest der Welt jedoch manifestiert sie Unilateralismus und eindeutiges Streben nach Hegemonie.
Herausragendes Merkmal der amerikanischen Streitkräfte ist die Fähigkeit zu weltweiten Operationen mit dem Schwerpunkt Luftkriegführung auf der Grundlage umfassender luft- und satellitengestützter Aufklärung. Seit letztem Herbst erleben zudem die weltweiten Aktivitäten der amerikanischen Geheimdienste eine politisch kaum kontrollierte Renaissance. Der Krieg gegen den Terrorismus bedeutet Handlungsfreiheit für die Regierung und Ausschluß kritischer Öffentlichkeit von militärischen Planungen. Das diffuse ideologische Konstrukt "nationale Sicherheit" erhebt sich unter Verweis auf terroristische Bedrohung über die Verfassung und reißt regulative Schranken militärischen Handelns nieder. Willkürliche Geheimhaltung in allen sicherheitspolitischen Bereichen erfährt allgemeine Duldung.
Nach den Luftkriegsoperationen im Golf, im ehemaligen Jugoslawien und in Afghanistan sieht sich das amerikanische Militär von einem breiten politischen Konsens getragen. Vergessen ist die schwere moralische Krise nach dem Vietnamkrieg und jüngst der "Patzer" in Somalia, die aus der Sicht der Militärs jeweils unakzeptablen politischen Restriktionen beim Einsatz militärischer Mittel geschuldet waren. Daher kommt es den Streitkräften sehr gelegen, daß nunmehr in Reaktion auf den Anschlag in New York auch eine breite Heimatfront eröffnet worden ist. Dies obgleich es sich eher um eine ideologische Front ohne attraktive militärische Aufgaben handelt. Denn die Kontrolle des Meinungsklimas im Inland ist für die Absicherung der derzeitigen "militärischen Freiräume" von zentraler Bedeutung. Beim Kampf gegen terroristische Bedrohung darf es keine politischen oder völkerrechtlichen Handlungsschranken geben. Dieser expansive sicherheitspolitsche Diskurs nimmt manchmal totalitäre Züge an.

Beobachtungen zum amerikanischen Militärdiskurs

Zwei Schlagworte bestimmen die Debatte und die Auseinandersetzungen um zusätzliche Ressourcen für den Militärapparat. Die Revolution der militärischen Angelegenheiten (RMA) suggeriert die Vision eines vollständig beherrschbaren "automatisierten Schlachtfeldes "[3], das seit dem Ende des Vietnamkrieges in amerikanischen Militärzeitschriften diskutiert wird. Diese Zielsetzung wird bei entsprechendem Mitteleinsatz als erreichbar dargestellt. Der Einsatz überlegener Hochtechnologie soll amerikanische Opfer und militärische Niederlagen ausschließen. Kriegführung wird zur Fernsteuerung von Hochtechnologie aus sicherer Distanz.
Moderne Informationstechnologien sollen weltweit totale Aufklärung in Echtzeit ermöglichen. Hierfür werden heute bereits jährlich etwa 30 Mrd. US-Dollar ausgegeben. Die gleichzeitig verfügbaren zielgenauen Störungs- und Zerstörungsmittel sollen niedrigschwellige, quasi mikro-chirurgische, bei Bedarf auch präventive Ein- und Angriffe erlauben, aber ebenso totale Gefechtsfeldüberlegenheit, die den Einsatz eigener Bodentruppen weitgehend überflüssig machen soll. Schließlich sollen nicht-letale Waffen in dieses Arsenal integriert werden, um der Politik auch niedrigschwellige Interventionsoptionen zu bieten, was auf eine Aufhebung der Schwelle zwischen Nichtkrieg und Krieg hinausläuft. Es muß als gesichert gelten, daß hinter den verschlossenen Türen der großen Forschungslabors an chemischen, biologischen und physikalischen niedrigschwelligen Kampfstoffen und Interventionstechnologien[4] gearbeitet wird. Die kurzschlußerzeugenden Materialien, die auf Umspannwerke in Serbien abgeworfen wurden, kamen aus dem Dunkel dieser politisch wenig kontrollierten Forschungslabors.
Der nationale Raketenabwehrschirm schließlich soll die Vereinigten Staaten mit technischen Mitteln unverwundbar machen. An dieser Vorstellung wird festgehalten, obwohl die Terrorakte im Herbst 2001 die Vergeblichkeit eines solchen Unterfangens demonstriert haben. Die überwiegende Zahl unabhängiger Wissenschaftler ist der Ansicht, daß das Vorhaben technisch nicht umsetzbar ist. Dennoch scheint dieses gigantische Industrieprojekt derzeit politisch nicht mehr aufzuhalten zu sein.
Dies liegt daran, daß die RMA und die Raketenabwehr einerseits ein breites Spektrum politisch-ökonomischer Interessiertheit um sich versammelt haben und daß andererseits der dominierende konservative, nationalistische Politikdiskurs in den USA Bedrohungsgefühle und expansive Feindbilder pflegt. Hiergegen werden RMA und Raketenabwehr als Heilmittel verabreicht, das zugleich ein stolzes Gefühl nationaler technischer Überlegenheit vermittelt. Daher bedeutet der steigende Militärhaushalt in den Augen amerikanischer Wähler Sicherheit. Diese suggestive Logik begründet die politische Dynamik des konservativen Projektes in den USA, das sich gegenüber internationalen Einwirkungen aus Europa als weitgehend immun erweist. Es ist ein Abschied von der Weiterentwicklung des Völkerrechtes zugunsten unilateraler Interessenwahrnehmung.

Militärische Szenarien

Die amerikanische sicherheitspolitische Rhetorik und die tatsächlichen militärischen Verhältnisse liegen weit auseinander. Bei der Überprüfung der Militärdoktrin geht man davon aus, daß die Streitkräfte gehalten sind, gleichzeitig zwei konventionelle Kriege führen zu können, obwohl es angesichts der wachsenden militärischen Asymmetrie und mangels zur konventionellen Kriegführung fähiger Staaten außerhalb der NATO große Schwierigkeiten machen dürfte, in der heutigen Weltlage überhaupt noch das unterstellte Szenario zu konstruieren.
Tatsächlich aber scheint das amerikanische Heer selbst kleineren militärischen Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Denn trotz bester Mittelausstattung, großer Truppenstärke und in Europa vorgelagerter Ausrüstung war das amerikanische Heer während des Kosovokrieges nicht in der Lage, kurzfristig eine leistungsstarke Eingreifoption auf albanischem Territorium bereitzustellen[5]. Ähnlich der Bundeswehr ist das amerikanische Heer mit schwerem Gerät ausgestattet, das für die Konfrontation mit der Sowjetunion in Europa konzipiert war und ist weit davon entfernt, technische Anforderungen für eine rasche Dislozierung zu erfüllen.
Der als erfolgreiche Demonstration des Luftkrieges im 21.Jahrhundert präsentierte Kosovoeinsatz hat das erklärte humanitäre Ziel nicht erreicht. Die militärischen Planungen waren davon ausgegangen, daß nach zwei bis drei Tagen gezielter Bombardierung die Regierung Milosevich einlenken und ihre Truppen aus dem Kosovo zurückziehen würde. Stattdessen bombte man 2 _ Monate mit erheblichen Kollateralschäden und hinterließ den serbischen Reformpolitikern ein Land, dessen Industrie und wichtige Teile der Infrastruktur zerstört sind[6]. Europa muß für die Folgen dieser Kriegführung aufkommen. Denn nur wenn es gelingt, dieses Land wieder aufzubauen und an Europa heranzuführen, wird man das Konfliktpotential auf dem Balkan dauerhaft einhegen können[7].
Auch der Krieg in Afghanistan wird als glänzender Erfolg des informationstechnisch organisierten Luftkrieges unter Verwendung von zielgenauer Munition präsentiert. Auf beiden Seiten des Atlantik wird herausgestellt, daß europäische Streitkräfte derartig in Rückstand gegenüber den USA geraten sind, daß eine integrierte gemeinsame Kriegführung innerhalb der NATO kaum noch möglich ist. Daraus wird vielfach die Forderung nach deutlich höheren Militärausgaben in Europa abgeleitet, um die perzipierten Lücken zu schließen.
Jedoch handelt es sich sowohl im Kosovo als in Afghanistan um Etikettenschwindel der Luftkriegslobby. Denn Bodentruppen, allerdings keine amerikanischen, haben in beiden Fällen eine wichtige Rolle gespielt. Im Kosovo hat die von den USA unterstützte UCK die jugoslawischen Truppen schließlich gezwungen, ihre Deckung zu verlassen und sie so für die amerikanische Luftkriegführung angreifbar zu machen. Hierzu war es notwendig, aus der geächteten organisierten Kriminalität unter der kosovo-albanischen Bevölkerung eine Gruppe von "Freiheitskämpfern" zu machen. Die UCK wurde bereits in Rambouillet den USA als Kriegspartei in den politischen Prozeß eingeführt, sehr zum Verdruß der demokratischen Parteien im Kosovo, die über zehn Jahre gewaltfreien Widerstand gegen das Milosevichregime organisiert hatten. In Afghanistan hat man Truppen von Warlords ausgerüstet, eingekleidet und zu Söldnern gemacht. Kurzfristig traten sie gemeinsam als sogenannte Nordallianz auf und haben letztlich das Talibanregime vertrieben.
Auf die vermeintlich glänzenden Siege der USA in den drei Luftkriegsoperationen ist am Boden politische Perspektivlosigkeit gefolgt. Im Irak, im Kosovo und in Afghanistan ist man ebenso weit, wenn nicht weiter, vom erklärten Kriegsziel entfernt, wie zu Beginn der Militäroperationen. Gleichzeitig ist es jedoch erklärtes Prinzip der Regierung Bush, sich nach Möglichkeit nicht an längerfristigen Operationen entsprechend der UN-Charta zu beteiligen. Daher sollen im folgenden Widersprüche in der amerikanischen Politik diskutiert werden. Dazu ist es notwendig, zunächst den militärbürokratischen Komplex zu beleuchten

Der militärbürokratische Komplex

In der weitgehend deregulierten amerikanischen Ökonomie ist der mächtige militärbürokratische Komplex ein scheinbar systemfremdes Element. Das Pentagon als intransparente Schaltzentrale des Kalten Krieges wurde von den Wellen neoliberaler Umgestaltung weitgehend ausgespart. Die Rüstungsindustrie wurde eingeladen, Umstrukturierungskosten über laufende Aufträge auf den Steuerzahler zu überwälzen. Die aufwendigen Expertengruppen zur Überprüfung der amerikanischen Militärpolitik, die regelmäßig die existierenden Planungen abnicken, gleichen einer sorgfältig ausgewählten Versammlung aller Lobbyisten. Daher ist es kaum überraschend, daß die herrschende Militärdoktrin und die dort verankerten Großprojekte unbeachtlich der veränderten Weltlage im wesentlichen fortgeschrieben und lediglich weitere hinzugefügt wurden. Mit dem 11.September sind Hoffnungen auf größere Transparenz militärischer und rüstungsindustrieller Entscheidungsprozesse geschwunden. Selbst Aviation Week & Space Technology, das führende Sprachrohr rüstungsindustrieller Interessen, hat Kritik an der Überheblichkeit der Militärbürokratie geübt, die sich mit dem zynischen Verweis auf sicherheitspolitisch gebotene Geheimhaltung öffentlichen Diskursen entzieht.
Die Existenz des Pentagon als Schutzzone außerhalb der dominanten neoliberalen Globalisierung gründet auf der amerikanischen Ideologie von der "unverzichtbaren Nation", die die Rolle der USA als globaler Hegemon legitimiert. Die amerikanische Rüstungsindustrie muß um jeden Preis aus der Dynamik transnationaler Verschränkung von Industrien im Hochtechnologiebereich herausgehalten werden, um Abhängigkeiten zu vermeiden. Seit langem sind Auftragnehmer des Pentagon gezwungen, innerbetrieblich sogenannte chinesische Wände zu errichten und die Rüstungsproduktion[8] von der Fertigung für zivile Märkte abzuschotten. Tochterunternehmen europäischer Konzerne müssen von amerikanischem Management geführt werden, um sich für Aufträge des Pentagon zu qualifizieren. Wissenschaftliche Tagungen, die sich mit militärisch relevanten Themen beschäftigen, sind zunehmend amerikanischen Staatsbürgern vorbehalten. In den letzten Monaten hat das Pentagon sogar versucht, ein Vetorecht über alle ausländischen industriellen Investitionen in den USA zu erlangen.
Die Tradition geheimer milliardenteurer Entwicklungsprogramme aus dem Kalten Krieg, wie der B-2 Bomber (Stückpreis 2 Mrd. US Dollar), wird allem Anschein zufolge fortgesetzt. Die Verabschiedung des öffentlichen Teils des amerikanischen Militärhaushalts trägt Züge einer Tauschbörse politischer Gefälligkeiten und ist nicht an tatsächlichen militärischen Erfordernissen orientiert. So kommt es, daß in den letzten Jahren jeweils Haushalte beschlossen wurden, die das vom militärbürokratischen Komplex beantragte Volumen um mehrere Milliarden Dollar überschreiten, weil Abgeordnete und Senatoren in ihrem jeweiligen Einzugsbereich ansässigen Firmen zusätzliche Aufträge zuschanzen.
Noch gravierender ist aber das Beharrungsvermögen der vier eigenständigen Teilstreitkräfte, Heer, Luftwaffe, Marine und Marinelandetruppen, die sämtlich an ihren noch im Kalten Krieg konzipierten Beschaffungsplänen festhalten. Es handelt sich um ein knappes Dutzend Fluggeräte verschiedener Baumuster, die in den nächsten Jahren in die Massenproduktion gehen sollen und die Beschaffungsetats vollständig absorbieren werden. Dies steht in scharfem Widerspruch zur Modernisierungsrhetorik der RMA. Denn entgegen der offensichtlichen Schlußfolgerungen aus den Luftkriegsoperationen während der letzten zehn Jahre, in denen sich unbemannte Flugkörper[9] als sehr leistungsfähig erwiesen haben, werden in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren tausende bemannte Kampfflugzeuge beschafft. Von einigen kleinen Programmen abgesehen orientiert sich die Beschaffung der US-Streitkräfte an Kriegsszenarien, in denen sich schwer bewaffnete Streitkräfte gegenüberstehen und es darauf ankommt, Industrie und Infrastrukturen des Gegners auszuschalten. Es ist im wesentlichen eine lineare Fortschreibung der Industrialisierung von Kriegführung, die den 2.Weltkrieg und den anschließenden Kalten Krieg geprägt hat.
Die Ursache dieser offensichtlichen Fehlsteuerung militärischer Investitionen, die die veränderte politisch-strategische Lage ausblendet, ist in der Isolation des militärbürokratischen Komplexes zu suchen. Nirgends sind Besitzstände so gegen Veränderung abgesichert, wie in dieser intransparenten Organisation, in der einerseits Seniorität die Hierarchien bestimmt und andererseits Lobbyismus auf höchster Ebene und Korruption Entscheidungen beeinflussen. So wurde für das Jahr 1999 ermittelt, daß 43 Firmen Aufträge von insgesamt 185 Mrd. Dollar erhielten. Im gleichen Jahr mußten 30 Unternehmen 3,4 Mrd. Dollar für Strafen, Erstattungen und Vergleiche an das Pentagon überweisen. In 16 Fällen waren es kriminelle Vergehen, die zu Schadensersatzforderungen führten. Vier unter den zehn größten Auftragnehmern hatten jeweils zwei Verurteilungen. Trotz dieser Zustände ist noch kein amerikanischer Anbieter ernsthaft von der Auftragsvergabe ausgeschlossen worden[10].
Eine Verbindung von exzessiver militärischer Geheimhaltung mit der Illusion der amerikanischen Wähler, sie könnten sich mit überlegener Militärtechnologie gegen alle Risiken schützen, ermöglicht es, militärisch überholte Besitzstände erfolgreich zu verteidigen und zugleich den Eindruck radikaler Modernisierung zu vermitteln. Die Delegation der Sicherheitspolitik an militärische Hochtechnologie schafft einstweilen erweiterte, politisch nicht hinterfragte Handlungsspielräume für den Einsatz des Militärs. Der andauernde Luftkrieg gegen den Irak findet weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichtkeit statt und kann von der Exekutive nach Belieben gehandhabt werden. Aus Sicht der Luftwaffe ist der Irak unter der Hand zu einem permanenten Truppenübungsplatz umfunktioniert worden, der es ermöglicht Luftkriegseinsätze in verschiedenen Varianten zu testen und die Munitionsbestände[11] zu modernisieren. Für die amerikanische Öffentlichkeit ist diese militärische Gewalt zu delegierter Alltäglichkeit geworden.
Mit Fragen nach dem Mittelaufwand im Verhältnis zum Ergebnis wird das Militär nicht konfrontiert. Wenn ein B-2 Bomber 20 000 kg Präzisionsmunition über Serbien nach einem Interkontinentalflug und mehrfachem Auftanken abwarf, wurde dies als Triumph militärischer Hochtechnologie gefeiert. Niemand fragt danach, ob dieses Ziel nicht auch mit einem Bruchteil des Mitteleinsatzes erreichbar war. Bei Bombereinsätzen wurden häufig zwei Flugzeuge für eine Mission auf den Weg gebracht, um die Mission auch bei einem Defekt in jedem Falle durchführen zu können. Alles in allem dürfte pro B-2-Einsatz jeweils Fluggerät mit einem Beschaffungswert von mindestens fünf Milliarden Dollar im Einsatz gewesen sein.
Es gibt Parallelen zwischen dem heutigen militärbürokratischen Komplex in den USA und dem politisch verselbständigten militärisch-industriellen Komplex in der ehemaligen Sowjetunion. In der Sowjetunion war Rüstungsbeschaffung das Ergebnis des jeweiligen politischen Einflusses der mächtigen Direktoren der Rüstungsindustrie, militärische Anforderungen waren nachrangig. In den USA kontrollieren die Teilstreitkräfte eigenständig und eifersüchtig die Rüstungsbeschaffung, die traditionell eher auf das technisch Mögliche und weniger an konkreten militärischen Aufgabenstellungen ausgerichtet ist. Entsprechend schlecht ist in beiden Fällen das Verhältnis von aufgewendeten Ressourcen und der erreichten militärischen Leistungsfähigkeit. Es gibt im Falle der USA heute keinen Vergleichsmaßstab für effizienten Mitteleinsatz im militärischen Bereich. Aber es lassen sich eine Reihe von Indikatoren heranziehen, die darauf hindeuten, daß es sich beim amerikanischen militärbürokratischen Komplex um einen "systemischen Dinosaurier" handelt, der sich, ähnlich dem MIK in der Sowjetunion, politischen Kontrollen erfolgreich zu entziehen weiß.
Der Innovationsfluß zwischen militärischer und ziviler Technologie verläuft heute überwiegend aus der zivilen Industrie in die Rüstungsfertigung. Das von globalen zivilen Märkten bestimmte technologische Innovationstempo überfordert typische Entwicklungs- und Lebenszyklen von Waffensystemen, die an spezifischer Optimierung orientiert sind und daher nur beschränkt verfügbar werdende Innovationen absorbieren können. Im Ergebnis ist im Einsatz befindliches militärisches Gerät technologisch häufig nicht auf dem Niveau verfügbarer Technologie. Das geschlossene System des militärischen Beschaffungswesens verdeckt diese barocke Ineffizienz, die nur dann offenkundig wird, wenn das Militär in bestimmten Situationen auf leistungsfähigere zivile Geräte[12] zurückgreifen muß. Markt und Wettbewerb als Regulativ unternehmerischer Leistungsfähigkeit sind im Bereich der Rüstungsfertigung weitgehend ausgeschaltet. Die gesetzten finanziellen und zeitlichen Eckdaten militärischer Beschaffungen werden regelhaft massiv überzogen. Die enge Verzahnung von Industrie und Militärbürokratie durch ständige staatliche Überwachung des Produktionsprozesses führt dazu, daß dies ohne Folgen für die Auftragnehmer bleibt und eine Veränderung dieses Zustandes nicht zu erwarten ist.
Nach Jahren der Konsolidierung der in den achtziger Jahren unter Reagan aufgeblähten Rüstungsindustrie haben sich einige wenige Unternehmen wieder voll auf den Rüstungsbereich konzentriert und versuchen gemessen an den Börsenkursen offensichtlich mit Erfolg, von den steigenden Beschaffungsvolumen zu profitieren. Dabei hat sich die Verhandlungsmacht zugunsten der Rüstungsindustrie verschoben, denn von Wettbewerb um Aufträge kann man angesichts der drastisch gesunkenen Zahl der in diesem Bereich tätigen Unternehmen nicht mehr sprechen, zumal die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß bei der Haushaltsverabschiedung die Repräsentanten aus der Region eines unterlegenen Anbieters umfassende Kompensationen durchsetzen.
Schließlich kann der militärbürokratische Komplex in den USA darauf bauen, daß Rüstungskensianismus, der das Land endgültig aus der Depression geführt hat, im Gegensatz zu Europa positiv besetzt ist. Daher sei die Prognose gewagt, daß die gegenwärtige Rüstungspolitik der USA unbeachtlich aller Widersprüche und Ineffizienz expansiv fortgesetzt wird, zumal bei entsprechender ideologischer Konditionierung das gegenwärtige Haushaltsvolumen noch erheblich gesteigert werden kann, ohne innenpolitische Instabilität auszulösen.

Hypothesen zur amerikanischen Strategie

Das politische Projekt der USA heißt radikale liberale Globalisierung, Öffnung der Märkte, Privatisierung des Staatssektors und völlige Liberalisierung der Finanzströme, vorzugsweise, aber keineswegs notwendig in transparente demokratische Strukturen eingebunden. Dieser liberale Globalismus unter amerikanischer Hegemonie unterscheidet sich von kolonialen Imperien dadurch, daß lokale Eliten unter Ausübung strukturellen Druckes durch IMF, Weltbank und WTO, die ihrerseits von den USA weitgehend beherrscht werden, dazu gebracht werden sollen, das Geschäft der Eingliederung eigenständig betreiben. Im Idealfall ist das Militär des Hegemon auf die Rolle eines gelegentlichen imperialen Polizisten beschränkt. Gegner dieser Ordnung sollen mit zivilen und gegebenenfalls militärischen Sanktionen zur "Vernunft" gebracht werden. Daraus ergibt sich, daß militärische Interventionen nicht auf territoriale Eroberung oder bedingungslose Kapitulation des Gegners zielen. Vielmehr soll die Ausbreitung des liberalen Globalismus durchgesetzt werden. Im Rahmen dieser Mission haben die USA bereits gegen insgesamt 75 Staaten Sanktionen unterschiedlicher Art verhängt[13] und zahlreiche Staaten mit begrenzten Militäraktionen abgemahnt, sich in diese neue globale Ordnung zu integrieren. Da sich der liberale Globalismus als naturwüchsige und damit einzig legitime Ordnung darstellt, bedeutet hartnäckige Verweigerung der Einordnung eine latente Gefährdung, die nicht toleriert werden darf. Die Logik des liberalen Globalismus zwingt zum Eingreifen, wo immer sich signifikante Störungen ergeben. Trotz gegenteiliger politischer Rhetorik machen selbst schwerste Menschenrechtsverletzungen für sich alleine noch keine Störung aus. Das tolerierte Massenmorden in Ruanda belegt dies.
Das Besondere an dieser imperialen Strategie ist, daß sie nicht auf einer imperialen Kultur beruht, in der die Bevölkerung sich mit den eingesetzten militärischen Mitteln identifiziert. Vielmehr gründet diese imperiale Strategie auf der Indifferenz der amerikanischen Bevölkerung gegenüber diesem Imperium und seinem Management. Hierzu war die Abschaffung der Wehrpflicht in der Folge des Vietnamkrieges notwendig, denn die gespannten zivil-militärischen Beziehungen während dieses Krieges hatten die Instrumentalität des Militärs für die Absicherung der amerikanischen Hegemonie stark eingeschränkt. Die bereits angesprochene Delegation von Sicherheit an überlegene Hochtechnologie fördert diese Indifferenz.
Renegate Staaten, die dem liberalen Globalismus mit anderen Gesellschaftsentwürfen begegnen und hartnäckig Widerstand leisten, werden als Schurkenstaaten klassifiziert und entsprechend behandelt, wozu u.a. die Androhung militärischer Intervention gehört. Eine imperiale Strategie, die sich als universelle Ordnung verkauft, benötigt immer Koalitionspartner, um glaubwürdig handeln zu können. Daher sind die USA gerade wegen ihrer absoluten militärischen Überlegenheit darauf angewiesen, ihre Interessen immer in zumeist sehr ungleichen Koalitionen zu organisieren. Sie müssen kurzfristig abrufbar sein, um Krisen bearbeiten zu können, die wesentliche amerikanische Interessen gefährden.
In dieser Feststellung ist das zentrale Motiv der USA zu suchen, den Konflikt mit dem Milosevich-Regime so zu verschärfen, daß die NATO diesen ersten großen Out-of-Area Einsatz aus vergleichsweise nichtigem Anlaß durchführen würde. Direkte wirtschaftliche oder sicherheitspolitische Interessen waren im Kosovo nicht berührt. Die "humanitäre Intervention" war lediglich ein Vorwand, der einen Präzendenzfall gemeinsamer militärischer Intervention ohne UNO-Mandat provozieren sollte. Die NATO hatte im Hinblick auf die ursprünglichen Zielsetzungen ihre Bedeutung verloren und war eigentlich für die USA uninteressant geworden. Die gefährlichen Problemlagen, vor allem im Nahen und Mittleren Osten, erfordern aus amerikanischer Sicht die Verfügbarkeit einer jederzeit abrufbaren militärischen Option. Aus politischen und nicht aus militärischen Gründen ist ein militärischer Eingriff, der nicht auf einer breiten Koalition gründet, für die USA in dieser Region konterproduktiv. Daher galt es, das Dogma der geographischen Beschränkung der NATO zu überwinden und sie "out-of-area" in der Region einsetzbar zu machen.
Die amerikanische Ausgangshypothese im Kosovokrieg lief darauf hinaus, daß das Milosevichregime nach 2-3 Tagen kapitulieren und damit gegenüber Europa überzeugend demonstriert werden würde, daß es dank der überlegenen Luftkriegsfähigkeiten der USA u.a. gegen Lybien, Syrien und Irak militärische Optionen zur politischen Disziplinierung gibt. Die Umsetzung dieser amerikanischen Arbeitshypothese scheiterte jedoch bereits bei der militärischen Planung durch die an Einstimmigkeit gebundenen Gremien der NATO. Denn zahlreiche europäische Regierungen hatten Zweifel an der Legitimität und Wirksamkeit der von amerikanischen Planern vorgesehen massiven Luftschläge an den ersten Tagen des Krieges. Es gibt ein ganzes Bündel von Gründen, auf die hier nicht im einzelnen eingegangen werden kann, weshalb die Pläne nicht aufgingen. Letztlich aber hat der Luftkrieg erst Wirkung gezeigt, als er in zunehmendem Maße direkt und indirekt die serbische Zivilbevölkerung traf. Die gut ausgebildete jugoslawische Armee im Kosovo wurde trotz massiver Bombenabwürfe nur geringfügig geschwächt. Mit anderen Worten, der Luftkrieg als "saubere Erzwingungsstrategie" war ein Fehlschlag.
Im Rückblick stellt sich die amerikanische Strategie bei den Verhandlungen in Rambouillet als gezielte Provokation dar, um eine Ablehnung durch Milosevich zu bewirken. Die Forderung, das gesamte serbische Territorium für NATO-Streitkräfte zugänglich zu machen, war in dem Moment vom Tisch, an dem die Kampfhandlungen von der NATO aufgenommen wurden. Das Abkommen zur Beendigung der Kampfhandlungen respektierte die volle territoriale Souveränität des Milosevich-Regimes über das restjugoslawische Staatsgebiet mit Ausnahme der Provinz Kosovo. Dem imperialen Ziel der Disziplinierung im Hinblick auf die spätere Einordnung in das Regime des liberalen Globalismus war Genüge getan.
In der gegenwärtigen Militärstrategie kristallisieren sich vor allem zwei Elemente heraus. Zum einen der Luftkrieg mit Hochtechnologie aus sicherer Entfernung, die Vision von ferngesteuerten, fein kalibrierten Interventionen ohne Risiko für die amerikanischen Streitkräfte und zum anderen die Unterstützung von fremden Truppen durch Ausbildung, Ausrüstung und gegebenenfalls auch taktische Führung mit dem Ziel, das Projekt des liberalen Globalismus, wo immer notwendig, mit bewaffneter Gewalt abzusichern bzw. durchzusetzen. Bei der Wahl der militärischen Partner verfährt man nicht zimperlich. So haben, wie in Afghanistan, Warlords durchaus Chancen sich als gutbezahlte Söldner an Feldzügen für den liberalen Globalismus zu beteiligen. Dabei muß es sich nicht immer um nationale Streitkräfte handeln. Vielmehr ist es vorstellbar, daß zunehmend international operierende Firmen mit dem Angebot militärischer Dienstleistungen an den gefährdeten "Flanken" des liberalen Globalismus zum Einsatz kommen.
Die absolute Konzentration der amerikanischen Streitkräfte auf "Kriegführung mit Fernbedienung" vernachlässigt den dramatischen sozialen Wandel, den das Projekt des liberalen Globalismus ungeheuer beschleunigt. Um politische Wirkung zu zeigen, setzt diese Strategie einen Gegner voraus, der staatlich verfaßt ist und über Infrastrukturen verfügt, die man angreifen und zerstören und damit politischen Druck auf eine politische Führung ausüben kann, die tatsächlich über Autorität verfügt. Folgt man jedoch allgemeinen Prognosen zur weltweiten Entwicklung[14], dann wird die amerikanische Militärstrategie schon in den nächsten Jahren mit einer Welt konfrontiert sein, in der die Bedingungen für den wirkungsvollen Einsatz der Luftkriegsoption nur noch in wenigen Staaten gegeben sind.
Die wohl richtige Erwartung, daß weite Teile der Welt davon gekennzeichnet sein werden, daß nicht-staatliche Akteure in fragmentierten Gesellschaften den liberalen Globalismus mit bewaffneter Gewalt in Frage stellen, bedeutet, daß die amerikanische Militärstrategie ins Leere läuft. Gegen einen amorphen Gegner im Kontext zur politischen Anarchie tendierenden anomischen Staatlichkeit[15] ist auch eine massive Weiterentwicklung des amerikanischen Hochtechnologiearsenals machtlos. Schauplatz bewaffneter Auseinandersetzungen werden die wahrscheinlich über einhundert sozial fragmentierten Megastädte sein, die sich unter der Ägide des liberalen Globalismus beschleunigt herausbilden. Die Gewaltstatistik des Großraumes São Paulo gibt einen Vorgeschmack auf die diffusen Gewaltordnungen, die sich in solchen Räumen entwickeln. Etwa 20 000 mit Schußwaffen getötete Menschen werden jährlich im Großraum São Paulo registriert.
An der Konfliktlage in Kolumbien wird deutlich, daß es dort keine Einsatzoptionen der amerikanischen Hochtechnologie à la Kosovo gibt. Vielmehr sind die amerikanischen Streitkräfte auf dem Weg nach dem Muster Vietnams, sich in einen diffusen Bodenkrieg zu verwickeln. Die Vorstellung, man könne mit militärischen Strafaktionen, vorzugsweise "ferngesteuert", Störungen der Hegemonie des liberalen Globalismus korrigieren, erweist sich zunehmend als Illusion, an der aber das konservative Establishment und der militärbürokratische Komplex in den USA unbeirrt festhalten. Der von Clinton initiierten und von der Bush-Administration vorangetriebenen Idee einer imperialen Ordnung ohne Tränen[16], d.h. ohne amerikanische Opfer sind aber klare Grenzen gesetzt.
Für die amerikanische Hegemonie unter der Flagge des liberalen Globalismus stellt sich die Alternative deutliche ordnungspolitische Kompromisse zu akzeptieren oder größer werdende Sphären der globalen Ökonomie aufzugeben. Dieser erzwungene Rückzug manifestiert sich in sehr unterschiedlicher Weise, vor allem aber in Form dynamischer konkurrierender Globalisierungsprozesse, die sich in einem zugleich antagonistischen und symbiotischen Verhältnis zum liberalen Globalismus[17] entwickeln. Einerseits führen innergesellschaftliche Fragmentierung und Polarisierung zu diffusen Gewaltordnungen, die mit Mitteln amerikanischer militärischer Intervention nicht diszipliniert werden können. Andererseits ergibt sich aus der Dynamik konkurrierender Globalisierungsprozesse, die man grob in informelle und kriminelle Globalisierung[18] unterscheiden kann, daß die "Störer" des liberalen Globalismus als transnationale Netzwerke verfaßt sind und somit nicht durch militärische Interventionen diszipliniert werden können. Diesen Störungen mangelt es an eingrenzbarer Territoriatät, die für die Durchführung militärischer Aktionen aber Voraussetzung ist.
Dies wird wiederum am Beispiel der Wahrnehmung amerikanischer Interessen in Kolumbien deutlich. Die Bekämpfung der kriminellen Drogennetzwerke kann nur Erfolg haben, wenn sich die Intervention nicht auf das kolumbianische Territorium beschränkt. Ein stellvertretender Verteidigungsminister der Clinton Regierung hat dies auf folgenden sehr präzisen Nenner gebracht, ohne daß freilich wirklich Konsequenzen daraus gezogen worden wären. "I am not sure whether there is a thing as a foreign war anymore" [19].
Für die sicherheitspolitische Diskussion in Europa ergibt sich daraus, daß es keinen Sinn macht, das militärische Profil der USA zu imitieren. Vielmehr liegt es im europäischen Interesse, sich bei der Sicherung und Rekonstruktion des staatlichen Gewaltmonopols international zu engagieren und die hierzu notwendigen Instrumente zu entwickeln. Dabei kann es sich nicht darum handeln, die konstitutionell-wohlfahrtstaatliche Ordnung der Gewalt europäischer Prägung zu exportieren. Vielmehr wird die Aufgabe darin bestehen, den Antagonismus der konkurrierenden Globalisierungsprozesse durch notwendig radikale ordnungspolitische Innovation, d.h. Modifikation des liberalen Globalismus zu überwinden.

Fußnoten

[1] Die Ausbildung der kroatischen Armee durch MPRI, während ein Waffenembargo über das Land verhängt war, ist ein Beispiel. MPRI ist ein Unternehmen für militärische Dienstleistungen, das von Generälen und hohen Militärbürokraten im Ruhestand betrieben wird.

[2] In heutigen Dollars ausgedrückt beliefen sich die Militärausgaben 1953 auf 389 Mrd. US $; 1968 auf 434 Mrd. US $; 1987 auf 425 Mrd. US $; 1989 auf 425 Mrd. US $. Quelle: Institute for Defense Studies, Washington D.C.

[3] Eine Gesellschaft, die ihren SoldatInnen den direkten Kontakt zum Kampfgeschehen nicht mehr zumuten will, kann schlechterdings davon ausgehen, daß sich Journalisten dort aufhalten. Daher wird im Zusammenhang mit RMA über Gefechtsfeldroboter nachgedacht, die die Berichterstattung übernehmen sollen.

[4] Zu den Technologien, über die nachgedacht und geforscht wird, gehören Schock und zeitweilige Lähmung erzeugende Mittel, aber auch Klebstoffe, die Menschen daran hindern sollen, sich zu versammeln.

[5] Siehe: Vickers, Michael C., Revolution Deferred: Kosovo and the Transformation of War, in: Bacevich, Andrew J., Cohen, Eliot A. Hg., War over Kososvo, Politics and Strategy in a Global Age, New York (Colombia University Press) 2001, S.189-209.

[6] Siehe: Arkin, William M., Operation Allied Force: "The Most Precise Application of Air Power in History", in: Bacevich/Cohen 2001 a.a.O., S.1-37.

[7] Siehe: Lock, Peter, Annäherungen an den langen Nachkrieg in Südosteuropa, in : Berliner Debatte INITIAL, Vol.10 (1999) Nr. 4/5, S123-134.

[8] Hierdurch werden die Unternehmen daran gehindert, zivil-militärische Synergien zu realisieren. Potentiell innovationsrelevante Informationsflüsse werden unterbunden.

[9] Es ist bezeichnend, daß Global Hawk, ein unbemanntes Flugzeuge von einem jungen Unternehmen entwickelt und dem Pentagon angeboten wurde, das bislang noch keine Verbindungen zum militärbürokratischen Komplex hatte.

[10] Hierzu: CDI Defense Monitor, No.13/2002.

[11] Im Golfkrieg wurden zudem die Kosten der Munitionserneuerung der amerikanischen Luftstreitkräfte von Deutschland (ca. 6 Mrd. DM) und Japan finanziert.

[12] Hierfür gibt es besonders im Bereich von Informationstechnologien zahlreiche Beispiele.

[13] Alberto R.Coll, The Moral Burdens of Power, in: Bacevich/Cohen a.a.O., S.126.

[14] Hierzu: National Intelligence Council, Global Trends 2015, Washington D.C. (NIC 2000-02), December 2000.

[15] Zu diesem Begriff: Waldmann, Peter, Der anomische Staat, Opladen 2002.

[16] Andrew J. Bacevich, Neglected Trinity: Kosovo and the Crisis in U.S. Civil-Military Relations, in: Bacevich/Cohen a.a.O. S.175

[17] Hierzu; Duffield, Mark, Global Governance and the New Wars, The Merging of Development and Security, London (ZED Books) 2001.

[18] Zu diesen Unterscheidungen: Peter Lock, Ökonomien des Krieges, in: Neues Jahrbuch Dritte, Joachim Betz, Stefan Brüne Hg., Opladen (Leske+ Budrich) 2001, S. 173-186,

[19] Zitiert nach Bacevich a.a.O. S.176.