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letzte Änderung:03.01.2011
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Exzerpt und Vorschlag zur Übersetzung

ALAIN JOXE "L'EMPIRE DU CHAOS
LES REPUBLIQUES FACE A LA DOMINATION AMERICAINE DANS L'APRES-GUERRE FROIDE, PARIS (LA DECOUVERTE) 2002, ¤ 17, 189 SEITEN (220 x 130 mm)

19.10.2002

Zur Person des Autors: Alain Joxe ist Hochschulehrer an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) in Paris. Gleichzeitig ist er Leiter des Centre interdisciplinaire de recherches sur la paix et d'études stratégiques (CIRPES), das mit einer eigenen Buchreihe und dem Periodikum Débat stratégique wichtige Beiträge zur strategischen Diskussion in Frankreich liefert. Seit Ende der sechziger Jahre hat er zahlreiche Monographien zum Verhältnis von Militär und Gesellschaft einerseits und Politik und (militärische) Strategie andererseits veröffentlicht. Dabei stand die Entwicklung der amerikanischen Doktrin häufig im Mittelpunkt.

Stellenwert des Buches: Es handelt sich um einen brillianten, zuweilen polemischen Essay, in dem ein souveräner Umgang mit den klassischen politischen Theorien zu Staat und Krieg und kenntnisreiche Kritik aktueller weltpolitischer und weltwirtschaftlicher Entwicklungen zu einer Einheit verschmolzen sind. Es analysiert die aktuelle Bewegungsrichtung amerikanischer Politik als Ausdruck von komplexer Kontinuität und deren zutiefst negativen Auswirkungen auf die Weltgesellschaft, die bereits im Titel auf die Formel "Imperium des Chaos" gebracht werden. Seine für deutsche Diskurse ungewöhnliche Schärfe der Kritik an amerikanischen Positionen und Schonungslosigkeit bei der Darstellung globaler Mißstände wird in der konkreten Vision eines alternativen zivilisatorischen Pfades, der sich aus der republikanischen Tradition in der europäischen Geschichte ableitet, konstruktiv gewendet.

Das Buch fordert seine Leser dort, wo es die historischen Wurzeln der vielfältigen dramatischen Zuspitzungen in der Gegenwart verfolgt. Zugleich belohnt es seine Leser aber auch dadurch, daß es dem Autor immer wieder gelingt, komplexe Zusammenhänge mit Hilfe verblüffend präziser Analogien verständlich zu machen. Wenn die zentrale These des Buches zutrifft, die überzeugend vorgetragen wird, daß den Herausforderungen der globalen Entwicklungen in der Folge des dominanten neoliberalen Paradigma nur begegnet werden kann, wenn es in Europa gelingt, nationalistische Reflexe auszuschalten und eine gemeinsame Strategie zur Verteidigung demokratischer d.h. republikanischer Werte zu entwickeln, dann ist eine breite Rezeption dieses europäischen Essays aus französischer Feder in Deutschland wünschenswert.

Skizze des Inhaltes: Angesichts der assoziativen Sprachmächtigkeit des Textes muß sich diese Skizze auf die Kernlinien der Argumentation beschränken. Gleichwohl liegt der besondere Reiz dieses Textes in der breiten Streuung von Anregungen zur Reflexion zeitgeschichtlicher Zusammenhänge, die bei der Lektüre ausgelöst werden.

Vorrede (avant-propos): Obwohl das Buch natürlich die Folgen des 11.September verarbeitet, ist es als Analyse der Entwicklungen seit dem Golfkrieg angelegt. Es untersucht die politischen und soziologischen Ursachen gegenwärtiger Kriege, die in der Modernität liegen und nicht kulturellen Zuschreibungen. Es wird der Frage nachgegangen, welchen Voraussetzungen gewalttechnischer und politisch systemischer Art asymmetrische politische Gewalt als absolutes globales Strukturprinzip unterliegen würde, unter denen imperiale Schreckenszenarien denkbar werden. Die Beobachtung, daß sich unter dem Druck der herrschenden neoliberalen Doktrin unter der alleinigen Führung der Vereinigten Staaten eher so etwas wie ein globales Chaos entwickelt, verweist jedoch auf vielfältige politische Handlungsspielräume, sich derartigen Szenarien entgegenzustellen. In diesem Imperium sind die Unterworfenen nicht länger Schutzbefohlene. Es beschränkt sich auf die Regulierung der Unordnung durch Setzung finanzieller Normen und auf militärische Expeditionen zur Unterdrückung der Symptome von Verzweiflung. Unter Clinton war die imperiale Offensive überwiegend wirtschaftlicher Natur, während sie unter Bush Jr. in Gestalt militärischer Expeditionen in Erscheinung tritt. Der Terrorismus als Form politischer Gewalt geht einher mit der Auflösung der Unterscheidung äußerer und interner Kriege. Er provoziert aktuell eskalierende Zyklen von Gewalt und Gegengewalt, die mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen, ohne daß Ursachen bearbeitet werden. Dieser Zustandsbeschreibung stellt Joxe eine geradezu optimistische Option entgegen: Die soziale Republik als die nationalstaatliche Beschränkungen aufhebende Perspektive Europas wird in diesem Buch als Gegenentwurf zum amerikanischen Imperium der Unordnung entwickelt.

Kap.1: Die Republik und die Hoffnung: Die Welt ist heute in einer neuen Form des Chaos vereint. Es wird von den Vereinigten Staaten dominiert, aber keinesfalls umfassend kontrolliert. Es ist nach alternativen Perspektiven zu fragen, die nicht auf eine Restaurierung eines neuen (Finanz-)Adels hinauslaufen, der seine Macht auf die Steigerung von Elend, Ungleichheit und Gewalt stützt. 1990 schien die Situation im Hinblick auf den Charakter der Ordnung, die die Bipolarität ablösen würde, noch ergebnisoffen. Innerhalb der folgenden zehn Jahre jedoch haben die USA die Welt nach ihrem Gutdünken geformt und heute können die Vereinten Nationen nur im Sinne der Führungsmacht agieren. An die Stelle der fixierten Ordnung des Kalten Krieges ist ein Modell des strukturierten Chaos voller Bruchlinien auf allen Ebenen entstanden. Der Niedergang Argentiniens ist hierfür exemplarisch, er ist nicht die Folge einer strategischen politischen Entscheidung in den USA oder in Europa, vielmehr ist er von transnationalen privaten Unternehmen, die nach finanzkapitalistischen Kriterien handeln, bewirkt worden. Die argentinische Oligarchie hat in diesem Prozeß des Niedergangs ihr Vermögen ins Ausland verbracht, wirtschaftliche Macht ist deterritorialisiert worden. Die transnationalen Institutionen der liberalen Ordnung mit geöffneten Märkten und bei Bedarf Demokratie machen die Nationalstaaten zu rationalen Akteuren der Zerstörung ihrer eigenen wirtschaftlichen und sozialen Souveränität, z.B. durch den Zwang private Rentenfonds zu schaffen. Die politischer Kontrolle entzogene deterritorialisierte wirtschaftliche Macht wird von einer kleinen Schicht beinahe geheimbündlerisch ausgeübt. Das Volk als vorgestellter demokratischer Souverän ist machtlos. Aber für den Zorn des entmündigten Weltvolkes ob der chaotischen Zustände gibt es keine Handlungsebene. Das Weltvolk bleibt eine virtuelle Größe, noch weniger real als das einstige "internationale Proletariat".

Daher gilt es Ansätze politischer Organisation auf verschiedenen Ebenen zu identifizieren. Dabei gilt es, die Mythen der "Wohlfahrt durch allgemeine Konkurrenz" zu hinterfragen. Daß die neoliberale Ideologie gegenüber den totalitären Entwürfen à la Stalin und Hitler die friedlichste Variante sei, wird vielerorts widerlegt, wo die zur Ausbeutung unbrauchbaren Menschen massakriert und "liberale Konzentrationslager" ähnlich den "maquiladoras" Realität sind. Die Entwicklung von Brüderlichkeit (fraternité im Sinne der Republik) manifestiert sich angesichts der verbreiteten Barbarei in internationalen Nichtregierungsorganisationen, die nicht selten der Einmischung beschuldigt werden. Aber es handelt sich meist um "republikanische Solidarität" mit Bürgern ohne Staat. Zur Repression kommen neue Waffen "ohne Soldaten" und private Armeen von Söldnern zum Einsatz, die ihrerseits zu vielfältiger Gewalteskalation führen.

Die Rekonstruktion sozialer Republiken bildet die einzige Ebene, auf der dem Imperium des Chaos durch den demokratischen Souverän Einhalt geboten werden kann. Als Kern politischer Mobilisierung erweisen sich dabei jene Sektoren, die nicht beliebig verlagert werden können. Im Rückgriff auf die französische Revolution läßt sich Hilfe als Schuld der Reichen definieren. Die Widerstandsbewegungen erheben entsprechend eine Mischung von territorialisierten Forderungen und makroökonomischen Schritten, wie die Tobinsteuer und Schuldenerlaß. Angesichts der Republik als Folie jeder politischen Legitimation in Frankreich ist der Rückbezug auf die dort formulierten Werte und ihre zeitgerechte Interpretation ein wichtiger Ausgangspunkt in der Debatte über die Bewahrung und Weiterentwicklung der "sozialen Republik". Um ein politisches Gegengewicht zum strukturierten Chaos des amerikanischen Imperiums zu entwickeln, muß sie auf europäischer Ebene konzipiert werden. In vielen Spuren der europäischen Geistesgeschichte und christlicher Tradition finden sich Elemente, die Anlaß zu Optimismus hinsichtlich der Rekonstruktion republikanischer Souveränität geben.

Kap.2: Hobbes, die Geburt der schützenden Republik: Léviathan gegen Béhémoth: Während in der Geschichte die Auflösung einer Ordnung immer ein Element einer neuen folgenden Ordnung enthält, "ist das große Problem des gegenwärtigen Chaos, daß die Menschheit, vielleicht zum ersten Male in der Geschichte, sich auf einen Ozean der Unordnung ohne Ziel einer impliziten Ordnung zubewegt. ...wir sind dazu verdammt -...- dem großen Imperium des Chaos zu gehorchen. Nicht dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, einem Monarchen fast ohne Macht, sondern der azephalen neoliberalen Macht, die vorgibt, alles durch die Unordnung zu ordnen, die man mit religiösem Pathos als "den Markt" bezeichnet."(S.43)

Das Gewissen der modernen Republik geht auf Hobbes zurück, indem er den Schutz als die einzige legitime Funktion der Souveränität identifiziert. Die Freiheit, unter verschiedenen Souveränen zu wählen, ist eine strategische Kompetenz des Volkes. Dort wo sich die Idee der Republik jakobisch verengt, endet sie als Imperium. Joxe kritisiert die Interpretation Hobbes' bei Foucault, der mikrosoziologische Strukturen und regionale Macht für das konstitutive Moment hält. Rechtordnungen sind an den jeweiligen Souverän gebunden, daher ist richtig und logisch, daß Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die einzigen sind, die nicht verjähren, denn die Menschheit bleibt als kollektiver Akteur immer präsent.

In diesem Kapitel vermißt Joxe die Gegenwart und dreihundert Jahre vor allem europäischer Geschichte anhand Hobbesscher Theoreme, um die Modernität dieses Denkens zu zeigen. Er untersucht viele Entwicklungen in der europäischen Geschichte im Hinblick auf ihre Nähe bzw. Distanz zur Republik, die ihre Legitimität allein durch ihre Schutzfunktion gewinnt. Daß der Krieg die Fortsetzung der Politik ist, impliziert einen Souverän. Aber die Formel des clausewitzschen Denkens greift in der Gegenwart nicht mehr, denn "... die Unterscheidung zwischen Ziel und Zweck wird gegenwärtig im globalen Imperium unmöglich, weil es keine globale politische Macht gibt, sondern nur eine globale militärische Macht (die amerikanischen Streitkräfte) und eine globale ökonomische Macht (die Unternehmungen, der Markt)." Gleichwohl ist die informatisierte imperiale Gewalt durch die Fähigkeit, in kurzer Zeit gezielt zu drohen und zwar sowohl finanziell als sie auch militärisch, sowohl gegenüber Staaten als auch kleineren Einheiten absolut überlegen. Man kann mit Hilfe der multinationalen Unternehmen gegeneinander ausspielen. "Den Besiegten bleibt die Waffe der Entführung, der Kriminalität oder der barbarischen Gewalt. Daraus folgt die Notwendigkeit eines weltweiten Krieges gegen den Terrorismus."

"Tatsächlich scheint die clausewitzsche Welt zerstört. Der Kompromiß zwischen den Klassen auf nationaler Ebene, der die Unterscheidung zwischen Frieden und Krieg erlaubt und deren Fortsetzung nach außen, der Politik des Nationalstaates," setzt lokalen Interessenausgleich als Grundlage des Staates voraus. Der neoliberale Globalismus läßt hierfür keinen, zumindest aber immer weniger Raum.

Kap.3: Gewalt und Globalismus: Weder schützt die zentrale Macht des "Imperiums des Chaos" die Menschenrechte noch verletzt es sie ausdrücklich, aber sie sabotiert die Interventionen der Vereinten Nationen und zahlreiche Konventionen zu ihrer Durchsetzung. Internationale Institutionen zum Schutz der Menschenrechte sind machtlos, während z.B. paramilitärische Mörder und entwurzelte global operierende Mafiabanden nach Belieben schalten und walten können. Die Vorgänge in Israel, Tschetschenien oder Kolumbien stellen den befremdlichen Versuch dar, unter dem Mantel des Kampfes gegen den Terrorismus die Verletzung der Menschenrechte zu "normalisieren". Daher wird es Zeit, daß sich die Intellektuellen artikulieren müssen und die Überlegenheit von Aufklärung gegenüber diesen Bestialitäten zu manifestieren.

Die Geschichte kennt zwei Typen von Imperien, der logistische Typ, bei dem die Ökonomie die Gewalt bestimmt und der räuberische Typ, bei dem die Gewalt die Ökonomie dominiert. Das Neue am amerikanischen Imperium ist, daß es keinen glaubwürdigen Gegner hat und daher im Jahre 2000 China zum langfristigen Konkurrenten, den islamischen Terrorismus im Jahre 2001 zum globalen Feind und Nordkorea, Irak und Iran zu kriminellen Staaten erklärt hat. Dieses Imperium verzichtet auf die universelle Durchsetzung und kann so wie ein Raubimperium agieren. Dabei steht es in der Gefahr, eine monströse Überentwicklung seiner destruktiven Kapazitäten zu entfalten, die in traditioneller Weise zur Implosion des Imperiums führt, weil ein solcher Staat langfristig die Loyalität seiner eigenen Schutzbefohlenen verliert.

Der Rückgriff auf Max Weber und seine Analysen zu Sklavenarbeit und freien Lohnarbeitern, an die sich die Frage anschließt, ob die Gewalt die Ökonomie oder die Ökonomie die Gewalt bestimmt, gibt den Blick frei auf die polarisierten Strukturen der Weltgesellschaft, in denen Lohnarbeit in vielen Ländern der Sklavenarbeit entspricht. Für die Aneignung dieser Arbeit bedarf es aber heute keiner Kriegszüge, die Entwertung der bäuerlichen Arbeit zwingt die Menschen in die industrielle "Sklaverei". Jedoch hat das neoliberale System bislang nicht das von Fukuyama proklamierte Gleichgewicht zwischen der politisch-militärischen Organisation und dem Finanzsystem gefunden.

Im neoliberalen Diskurs tritt neben die Souveränität der Staaten konkurrierend die Souveränität des Unternehmers. Der Souveränität von Staaten stehen zunehmend transnationale Mafianetzwerke und transnational operierende Unternehmen gegenüber, die ständig aggressiv alle Normen staatlicher Regulierung attackieren. Dabei ist es sehr schwierig die reale "finanzielle" Grenze zwischen der kriminellen Ökonomie und den transnationalen Unternehmen zu ziehen.

Für Staatsapparate in weniger entwickelten Ländern gibt es nur zwei Optionen. Entweder sie machen sich zu folgsamen Provinzgouverneuren, die allen Rezepturen des IWF folgen oder sie erklären sich zu lokalen Kriegsherren, die sich einen isolierten autonomen Raum schaffen, indem sie gegen Nachbarn und Minoritäten vorgehen. Wenn dies auf der Grundlage von Identitätsideologien geschieht, entwickelt sich das Muster der Balkankriege. Mafieuse Netzwerke bilden die unverzichtbare Brücke zwischen derartigen, häufig genozidären Herrschaftsräumen zur globalen Ökonomie. Gegenwärtig gibt es keine klare Trennlinie zwischen sauberem und schmutzigem Geld. Jede engagierte Friedenspolitik muß damit beginnen, durch Regulierung die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß gegen kriminelle Akteure und Kriegsherren vorgegangen werden kann. Dabei würde deutlich, daß die aktuellen Zuordnungen zum Terrorismus fahrlässig unscharf sind. Denn bei einem wirklichen Krieg der Religionen wäre die symbiotische Integration der kriminellen und regulären Finanzmärkte keineswegs garantiert.

Drei Schlußfolgerungen, erstens muß man sich von der Politologie des Disneylandes verabschieden und sich der Tatsache stellen, daß sich die überall manifestierende Gewalt auf kohärente Weise mit der friedlichen Expansion der Marktwirschaft verbindet; zweitens muß man sich für eine Gewalt entscheiden, auch wenn man den Frieden will; drittens muß man sich der ungeregelten Macht des Finanzkapitals entgegenstellen, denn sie führt die Menschheit unausweichlich in die Katastrophe. Für Europa muß dies heißen, sich zu einer Demokratie und einer Konföderation von sozialen Republiken zu entwickeln.

Gewalt war in allen Epochen ein normales Mittel der Regulierung und zwar Gewalt des Staates, paramilitärische Gewalt und private soziale Gewalt. Angesichts überschüssiger Menschen kommt es in den Armutszonen der Weltgesellschaft zu inszenierten Massakern, bei denen diese drei Gewaltformen zusammenwirken. Die Clausewitzssche Staatenwelt ist heute fast ihrer gesamten eigenen Macht beraubt. Dennoch repräsentiert Europa heute den einzigen wirtschaftsgeographischen Ausgangspunkt des wirtschaftlichen, kulturellen und politisch-militärischen Widerstandes gegen die wilde Globalisierung. Seit dem Golfkrieg gewinnt die europäische Identität an Tiefe.

Kap.4: Der Globalismus Clintons, eine strategische Annäherung an die Unordnung: Die Welt ist weit davon entfernt "globalisiert" zu sein. Lediglich in drei, allerdings bedeutenden Bereichen ist sie weit vorangeschritten: in den Bereichen der Finanzen, des Militärischen und der elektromagnetischen Kommunikation. In der ersten Amtszeit Clintons wurde sich Amerika seiner absoluten globalen Führungsrolle bewußt und hat daraus abgeleitet, daß es vor allem im militärischen Bereich dieser Rolle durch umfassende Modernisierung und Neuausrichtung der Doktrin gerecht werden sollte. Huntington und die Töfflers liefern komplementäre Ideologien, die eine globale imperiale Rolle für Amerika um den Preis des Untergangs geradezu imperativ machen. Bei Huntington verbietet die Rolle antagonistischer Kulturen den Rückzug auf den Nationalstaat, während bei den Töfflers die Informatisierung als notwendig überlegene neue Phase der Weltgeschichte begriffen wird. "Enlargement" (Lake) ersetzt "containment". Fukuyama und Luttwak begründen die absolute Dominanz des Ökonomischen, das sich am amerikanischen Paradigma orientiert. Der strategische Diskurs in den USA wird damit autistisch, die absolute Führungsrolle nicht mehr hinterfragt, man sucht, militärische Expeditionen zu minimieren und zu delegieren, während politische oder militärische Eingriffe in den Markt als Tyrannei denunziert werden.

Das Verschwinden des kommunistischen Feindes hat die Allianzen aufgelöst. Die RMA (revolution of military affairs) war das Mittel für die imperiale Neuausrichtung der Doktrin und nicht die Ursache für die Umsetzung. Während des Krieges in Bosnien war Europa nicht in der Lage einheitlich zu handeln. Dies hat mit amerikanischer Duldung zu ethnisch-krimineller Organisation des Raumes geführt, die im Daytonabkommen sanktioniert wurde. Amerika beansprucht das Privileg der Strukturbestimmung, verweigert sich aber in den allermeisten Fällen, wenn es darum geht, die Voraussetzungen für eine friedliche Konsolidierung zu schaffen. Im Falle Bosniens haben sich zwei Elemente der amerikanischen Ideologie gegenseitig blockiert. Sowohl die Doktrin des "enlargement" als auch die Doktrin des "clash of civilizations" haben das widersprüchliche amerikanische Handeln bestimmt.

Kap.5: Die Militarisierung des Imperiums, von Clinton zu Bush Jr.: Der zentrale Arbeitsbegriff der Clinton Regierung für die Entwicklung des Imperiums war "enlargement"(Lake). Dies beinhaltete eine territoriale Entgrenzung der Allianzen und eine Überwindung des starren Defensivcharakters der Bündnisse, allen voran der NATO. Sie wurde von einem graduellen Verschwinden jeglichen vorab markierten Feindes und dem Aufheben der Bedeutung von Grenzen im stilisierten Raum der globalisierten Ökonomie begleitet. In Abwesenheit einer Politik, Konflikte durch eine Politik sozialer Gerechtigkeit zu lösen, war man so gezwungen, die Allianzen so zu gestalten, daß sie zu jederzeit überall dauerhaft einschreiten können. Aus dieser strategischen Figur, verdeckt durch die idealistische Rhetorik der Clintonregierung, hat sich der repressive, militaristische Realismus der gegenwärtigen Doktrinen entwickelt.

1996 wird die neue Ausrichtung offen formuliert. Amerika ist die globale Führungsmacht, seine Interessen sind global und ihre Durchsetzung legitim. Daraus leitet sich ein absoluter Anspruch auf ständige Kontrolle und präventive Intervention ab. An die Stelle des Begriffes Allianz, der gemeinsame Werte reflektiert, treten die Begriffe Koalition und Partnerschaft, in denen sich nurmehr asymmetrische, konjunkturelle Gemeinsamkeiten artikulieren. Das Vietnamsyndrom hat die Form militärischen Handelns zur Durchsetzung von Interessen bestimmt, militärische Strafmissionen unter Einsatz von Hochtechnologie ohne Risiko für amerikanische Soldaten. Die Auswahl der Partner zum "Kampf vor Ort" wird diesem Ziel absolut untergeordnet. Die entscheidende Weiterentwicklung erfährt diese Ausrichtung in dem Moment, in dem Präsident Bush den Terrorismus zum globalen Feind erklärt. Per definitionem gibt es keine politische oder militärische Strategie der Prävention. Einzig Strafaktionen, wie in Afghanistan, bleiben dem Imperium und seinen Koalitionen als Reaktion. Diese Reduzierung der Optionen bedeutet eine Militarisierung der Globalisierung, deren technologische Formel RMA (revolution of military affairs) lautet. Die Erweiterung des marktwirtschaftlichen Raumes und demokratischer Herrschaft, solange letztere sich den Regeln des IWF und damit US-Interessen unterordnet, in einer ansonsten segmentierten (libanisierten, balkanisierten) Welt sind das Ziel amerikanischer Interventionen.

All dies macht einen Bruch zwischen Europa und den USA wahrscheinlich. Denn die Bewältigung der Krisen des Balkans ist für Europa die "Wiedervereinigung von Identitäten, die ihre Souveränität im Imperium des Marktes verloren haben. ... die europäische Entbalkanisierung ist vor allem politischer Natur, denn es handelt sich um das Zusammengehen von Nationalstaaten zu einem politischen Europa, nicht nur um die Vereinigung zu einem Markt." Europa ist bislang nur wirtschaftlich ansatzweise ein Gegengewicht, politisch-militärisch ist es ohne die NATO-Strukturen, die technisch von den USA dominiert werden, noch nicht existent. Daher kommt es aus gegensätzlichen Interessenlagen einer Transformation der NATO. Die Auflösung der alten NATO in ein erweitertes, modulisierbares Instrument für Friedensmissionen erlaubt den USA eine strategische Annäherung an die "neue" Interessensphäre Zentralasien. Diese Entwicklungen waren sämtlich vor dem Amtsantritt des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten angelegt.

Kap.6: Beherrschen der Krisen in Eurasien mit Hilfe von Zentralasien: Herzstück der neuen Strategie ist der NATO-Russland (und NATO-Ukraine) Pakt (1997). Mit dieser Reorientierung der NATO hat Eurasien begonnen, zu einem Raum unter amerikanischer Hegemonie zu werden. Joxe bezeichnet diesen Paradigmenwechsel von der defensiven Schutzfunktion der NATO zur offensiven Schutz- bzw. Interventionsfunktion als den Wechsel vom Kalten Krieg zum heissen Frieden. Der neue Feind ist Instabilität, vor allem in Russland und an dessen Grenzen, die bis an China und Südasien heranreichen, deren Kontrolle mit dem Pakt zum Aufgabenfeld der NATO geworden ist. Die Taliban waren ein Gemeinschaftsprodukt von CIA, Pakistan und Saudi Arabien. Zunächst schienen sie durch ihre Machtübernahme jene Stabilität zu garantieren, die den Transport der zentralasiatischen Ressourcen vorbei an Russland ermöglicht. Ihr Islamismus sunnitscher Prägung entpuppte sich jedoch schnell als eine unmittelbare Gefährdung der autoritären post-sowjetischen Regime an der russischen Peripherie. Die strategische Zuordnung des gesamten zentralasiatischen Raumes zum zentralen Kommando (Centkom), einschliesslich der vorgelagerten Dislozierung von eines Viertels des aktiven Personals der Luftwaffe in 172 ausländischen Stützpunkten war bereits im Jahre 2000 abgeschlossen. Der 11. September löste somit ein vorbereitetes militärisches Szenario aus. Mit der State of the Union Erklärung 2002 hat der amerikanische Präsident die militärische Drohung "tous azimuts" zur Doktrin erklärt, die über allen internationalen Vereinbarungen steht und als Tod der Vereinten Nationen verstanden werden muss. Diese "Israelisierung" der amerikanischen öffentlichen Meinung im Gefolge des 11. September hat alle Krisensymptome der amerikanischen Politik zunächst übertünscht. Wenn aber Europa das militärisch beherrschte Chaos und den Abbau internationaler Ordnung in Form der Sharon'sche Politik ohne Gegenreaktion beläßt, bedeutet dies ein Vordringen des Imperiums des Chaos in unmittelbare geographische und kulturelle Nähe Europas.

Schlussfolgerung: Politische und soziale Nachteile der Anforderungen des Imperiums des Chaos: Die gegenseitige nukleare Abschreckung hatte jeden Diskurs zwischen den USA und der UdSSR unterbunden. Lediglich in der Dritten Welt und Europa gab es Diskursebenen mit der UdSSR. Nach dem Verschwinden des bequemen Ost-West Gegensatzes stellen sich die Amerikaner Staaten die Welt zunehmend als ein Chaos vor, in dem sie ihre Identität einrichten und durch Strafakte gegen Abweichler und Verstärkung ihrer Grenzen ihr Überleben sichern müssen. Daraus lassen sich einige Feststellungen ableiten, die als offene Forschungsfragen zu verstehen sind.

  1. Der Rüstungswettlauf reagiert heute auf den Wettlauf sozialer Explosionen.
  2. Der Militarismus des Imperiums stellt die Welt unter eine Todesdrohung.
  3. Globaler liberaler Frieden und die Vermehrung kleiner Kriege: Ein vernachlässigtes interdisziplinäres Forschungsfeld.
  4. Das Imperium des Chaos vernichtet die Schwachen.
  5. Zertrümmerung des Widerstandes und individuelle elektronische Rasterfahndung.
  6. Mindestens zwei imperiale Schulen:
    a) das Imperium der Erweiterung des freien Marktes;
    b) das Imperium durch die Beherrschung des Schocks der Zivilisationen.
  7. Der Militarismus des Imperiums.
  8. Der kulturelle Rassismus des Imperiums.
  9. Das Fehlen eines politik-ökonomischen Projektes der Vereinigten Staaten leitet sich aus der Strategie des Imperiums ab,
  10. Der Bürgerkrieg oder der äußere Krieg ist das einzige imperiale Medium der Regulierung.
  11. Die biologische Heteronomie ist die Ideologie des Imperiums.
  12. Nur die soziale Autonomie bedeutet Öffnung und ein Ende der Fatwas, der Ukase (Befehle) und der (orthodoxen) Gesetzestafeln.
  13. Der praktizierte Scientifizismus bewirkt den Ausschluß von Informationen wie eine aristokratische Utopie.,
  14. Nostalgie des Kalten Krieges
  15. Das Ende der Vereinten Nationen.
  16. Die Verneinung des Rechtes gegenüber den Schwächsten.

Anhang: In der französischen Ausgabe gibt es einen Anhang, in dem sich auf vier Seiten die Grundthesen des Buches finden. Dieser Text wurde für eine Podiumsdiskussion im Jahre 1998 geschrieben. Er ist für eine deutsche Ausgabe entbehrlich.