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last updated:03.01.2011
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Privatisierung von Sicherheit: Ist der Irak unsere Zukunft?

Zur besonderen Lage im Irak

Private Militärfirmen im Irak liefern regelmäßig negative Schlagzeilen, weil ihren Mitarbeitern schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt werden. Sie operieren in einer rechtlichen Grauzone und werden nicht zur Rechenschaft gezogen. Folglich wurden nur niedrigrangige Angehörige der US-Streitkräfte wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen im amerikanischen Gefängnis von Abu Graib verurteilt. Es wird eine intensive Diskussion darüber geführt, inwieweit die im Irak sichtbar gewordene Rolle privater Sicherheitsunternehmen einen allgemeinen Trend abbildet. Dabei ist jedoch wegen der besonderen Lage im Irak Vorsicht geboten. Denn zur gegenwärtigen irakischen Situation sind erstens nur wenige belastbare Informationen verfügbar, und zweitens gibt es viele Gründe anzunehmen, daß die dortige Konstellation nicht repräsentativ für zukünftiges Konfliktgeschehen ist.

Die Publikationsflut zum Irak beruht eher auf Mutmaßungen als auf solider Beobachtung. Vorsichtige Schätzungen eines Experten mutieren in der Kette von Zitaten zu scheinbar gesicherten Sachverhalten, wie die von P. W. Singer angenommene Zahl von 25.000 Soldaten im Solde privater Unternehmen. Dafür gibt es viele Gründe. Unabhängige Berichterstattung durch ausländische Journalisten existiert nicht mehr. Die Arbeitsbedingungen haben sich seit Beginn der amerikanischen Besetzung dramatisch verschlechtert. Ein direkter Kontakt zur irakischen Bevölkerung ist nicht mehr möglich. Westliche Journalisten leben isoliert in bunkerartigen Behausungen. Irakische Mitarbeiter - die ebenfalls unter hohem Risiko arbeiten, über 70 Journalisten sind bislang umgebracht worden - liefern Bilder und Berichte, aus denen in den Bunkern "Korrespondentenberichte" werden. Häufig residieren die Korrespondenten sogar nur in der "Grünen Zone", jener zwölf Quadratkilometer großen quasi exterritorialen Zitadelle in Bagdad. (Die amerikanische Propaganda versucht seit langem vergeblich, die Bezeichnung "Grüne Zone" durch "Internationale Zone" zu ersetzen. Der Name "Grüne Zone" wird auf militärischen Jargon zurückgeführt. Ein automatisches Gewehr - M 16 - steht auf "grün", wenn das Magazin gelehrt ist, auf "rot", wenn es geladen und gesichert ist.) Die einzige Alternative zum Bunkerdasein ist das vom unabhängigen Journalismus zu Recht verschmähte "Eingebettetsein" in amerikanischen Militäreinheiten als Vertragsjournalist des Pentagon.

Im Chaos allseitig gesteuerter Meinungsbildung wissen selbst die amerikanischen Nachrichtendienste nicht mehr, was sie von aufgefundenen brisanten Dokumenten halten sollen. Denn die Auswerter können nie sicher ausschließen, daß diese Informationen nicht von einem der vielen amerikanischen Auslandsgeheimdienste mit dem Ziel der Desorientierung plaziert worden sind. Bereits vor der amerikanischen Invasion war der Irak von einem Propagandakrieg mit gezielten Falschenmeldungen zwischen dem Saddamregime und Exilgruppen im Bündnis mit amerikanischen Diensten geprägt. Die von der amerikanischen Besatzung lizensierte "freie" Presse ist inzwischen zu Kampforganen der militant konkurrierenden ethnischen, politischen und religiösen Blöcke mutiert. Daher bestimmen im gegenwärtigen Klima allseitiger Angst wegen des sich anbahnenden offenen Bürgerkrieges gezielte Falschmeldungen und das Entstehen hysterischer Gerüchte die Informations- und Nachrichtenflüsse.

Als wäre dies alles nicht schon genug, stehen PR-Agenturen im Sold des Pentagon und plazieren gegen Bezahlung positive Meldungen über die amerikanische Besatzung in irakischen Medien. Die internationalen Fernseh- und Radiosender, die sich in kleinen Golfstaaten wirtschaftlich sehr erfolgreich entwickelt haben, stellen sich nicht zuletzt aus kommerziellen Erwägungen als beliebige Verlautbarungssplattform für die gesamte arabische Welt, bis hin zu terroristischen Organisationen, zur Verfügung. Die amerikanische Regierung hat angesichts des großen Einflusses dieser Sender inzwischen Konkurrenzprodukte mit dem Ziel gestartet, das gegenüber den USA so überaus negative Meinungsklima zu verbessern.

Dies ist die Ausgangslage, wenn man versucht, Indizien zusammenzutragen, um sich ein Bild von der Situation im Irak nach drei Jahren amerikanischer Besatzung zu machen. Besondere Vorsicht ist beim Umgang mit Berichten seitens der amerikanischen Regierung geboten, die sich eher an der intendierten politischen Wirkung als an der wirklichen Lage im Irak orientieren.

Ein breites Spektrum von Nichtregierungsorganisationen ist zwar weltweit engagiert, in dieses "schwärzeste Loch" der Weltinformationsgesellschaft ein wenig hineinzuleuchten. Angesichts der oben skizzierten Situation jedoch nur mit sehr bescheidenem Erfolg. Dies kann man u. a. daran ablesen, daß es nach drei Jahren militärischer Besatzung so gut wie keine Informationen über Vergewaltigungen und Prostitution gibt. Information wäre jedoch eine unabdingbare Voraussetzung für konkretes Engagement zur Wahrung menschenrechtlicher Normen im Irak.

Besetztes Land ohne Staat

Obwohl es für kaum etwas im Irak wirklich verläßliche statistische Daten gibt, deutet vieles darauf hin, daß an keinem anderen Ort der Welt so viele Personen anteilig an der gesamten Bevölkerung ein Auskommen mit der Aufgabe, "Sicherheit zu produzieren", finden. Die internationale Berichterstattung wird zudem nicht müde, immer wieder auf eine große Zahl ausländischer Mitarbeiter von privaten Militärunternehmen hinzuweisen, die im Irak einen offensichtlich profitablen Markt vorfinden. Hinzukommt ein ständig wachsendes Spektrum privater Sicherheitsdienste, die sowohl mit einheimischem als auch mit ausländischem Personal arbeiten. Die Verdoppelung der Preise für automatische Gewehre, Pistolen und Munition, deren Besitz legal ist, seit der Sprengung der Moschee in Samara im Februar 2006 verweisen auf eine sich beschleunigende Selbstbewaffnung der gesamten Zivilbevölkerung.

Ein staatliches Monopol legitimer Gewalt existiert nicht. Statt dessen beschleunigt sich der Zerfall der irakischen Gesellschaft in ein unübersichtliches Geflecht von Identitätsgruppen, die ihre Sicherheit gegeneinander organisieren. Dies mündet zwangsläufig in einen "Sicherheitswettlauf". Er bietet jungen Männern, angesichts der darniederliegenden Wirtschaft weitgehend alternativlos, eine Beschäftigung und ein Selbstwertgefühl als "bewaffneter Verteidiger" der jeweiligen Identitätsgruppe. Denn aus Sicherheitsgründen werden selbst Kartoffeln in den amerikanischen Kantinen von Indern oder Phillippinos geschält, die eigens dafür kontraktiert werden, obwohl die Arbeitslosigkeit im Irak sehr groß ist. Dieser Teil der enormen Nachfrage nach privaten Sicherheitsdienstleistungen ist der Auflösung von Staatlichkeit im Gefolge der amerikanischen Besatzungspolitik geschuldet.

Die Organisation der Besatzung selbst hat eine Nachfrage nach militärischen und sonstigen Sicherheitsdienstleistungen auf dem internationalen Arbeitsmarkt in einer bislang nicht gekannten Größenordnung erzeugt. Der amerikanische Steuerzahler finanziert diese Nachfrage - Volumen sehr groß, aber unbekannt. Im Bereich militärische Dienste zielt sie auf ausgeschiedene Angehörige militärischer Spezialeinheiten, die von überwiegend amerikanischen und britischen Militärunternehmen angeheuert werden. Belegt ist die Herkunft dieser Gewaltakteure u.a. aus den USA, Großbritannien, Südafrika, Kolumbien, Peru, Philippinen und Chile. Diese Firmen übernehmen mittels Ausschreibung durch das Pentagon ausgelagerte Aufgaben im Rahmen des Besatzungsregimes. Auch das weitgehend gescheiterte 18-Milliarden-Dollar-Wiederaufbauprogramm wurde zu einem Viertel zur Absicherung der Durchführung für Sicherheitsdienstleistungen verausgabt.

Das von den USA und Großbritannien im Verbund mit einer "Koalition der Willigen" besetzte Land nähert sich einem diffusen internen kriegerischen Konflikt, dessen offensichtliche Eckpunkte von scheinbar unverträglichen kurdischen, schiitischen und sunnitischen Identitäten geprägt sind. Während zunächst die Interventionstruppen ansatzweise als Moderatoren eines neuen Gleichgewichtes zugunsten der vom Saddamregime unterdrückten Identitätsgruppen angetreten waren, werden sie inzwischen allseitig als eine Partei in einer wenig transparenten Konfliktlage wahrgenommen. Umfragen besagen, daß sich innerhalb eines Jahres bis Anfang 2006 die Zahl der Iraker auf nunmehr 80 Prozent erhöht hat, die einen kurzfristigen Abzug der amerikanischen Truppen befürworten.

Bei dieser Lage verwundert es nicht, daß die amerikanischen Truppen inzwischen täglich um die 90 Angriffe gewärtigen und die eigenen Verluste mittlerweile bei 20.000 liegen, davon etwa 2400 Tote. Die übrigen 17.000 häufig schwer Verwundeten sind zunächst überwiegend in das amerikanische Militärhospital in Ramstein (Pfalz) ausgeflogen worden. Andere Verluste, irakische oder ausländische Zivilisten, werden von amerikanischer Seite nicht registriert. Die provisorische Regierung im Irak hat verlautbart, daß bislang 86.000 Iraker getötet wurden. Unterstellt man die gleiche Relation zwischen Kriegstoten und Verwundeten, wie bei den amerikanischen Streitkräften, dann sind entsprechend dieser niedrigen Schätzung etwa 700.000 Iraker verwundet worden. Es ist nicht klar, wie diese Zahl ermittelt wurde, denn eine britische Studie ist auf der Grundlage von repräsentativen Haushaltsbefragungen zu einer deutlich höheren Opferzahl gelangt. Belastbare Opferzahlen für die Sicherheitsdienste und privaten Militärunternehmen gibt es nicht.

Die gegenüber dem amerikanischen Militärsold sehr hohen Gehälter, angeblich bis zu 1000 US-Dollar pro Tag für ehemalige Angehörige von Special Forces und Marines, enthalten offensichtlich eine sehr hohe Risikoprämie. Das Monatsgehalt für einen Angehörigen der neu im Aufbau befindlichen irakischen Streitkräfte beträgt 300 US-Dollar. Die Gehälter für Iraker im privaten Sicherheitsgewerbe sollen etwa bei der Hälfte liegen. Unbekannt ist, wie die zahlreichen Milizen entlohnt werden. Ein hochrangiger amerikanischer Diplomat, der von 2004 bis 2006 als Berater für das irakische Innenministerium an der amerikanischen Botschaft in Bagdad tätig war, berichtet, daß er 2004 mit neun verschiedenen, jeweils mehrere tausend Kämpfer umfassende Milizen verhandelt hat. 2006 sei die Lage jedoch dadurch gekennzeichnet, daß darüber hinaus die überwiegende Zahl der staatlichen Sicherheitsorgane von Milizen dominiert und für deren Zielsetzungen genutzt werden. Die Lynchtrupps, die gegenwärtig Bagdad täglich terrorisieren, tragen häufig Polizei- oder Armeeuniformen. Gleichzeitig unterlassen es die zuständigen staatlichen Sicherheitsorgane bei den meisten Morden, nach den Tätern zu fahnden. Bei dieser undurchsichtigen Gemengelage von unterschiedlichen, konfrontativ ausgerichteten Produzenten von Sicherheit, ist nahezu zwangsläufig ein Operationsraum für weitere organisierte Gewaltakteure entstanden, die als kriminelle Gewaltunternehmer eine Entführungsindustrie betreiben und Schutzgelder erpressen. Die Vermischung sehr unterschiedlicher Gewaltformen macht eine Zurechnung von Taten häufig unmöglich, verschärft aber zwangsläufig die allgemein vorherrschende Befindlichkeit von akuter Bedrohtheit.

Lediglich im rein kurdischen Norden, nicht jedoch im ethnisch durchmischten Kirkuk, gibt es regional-staatliche Strukturen auf ausschließender ethnischer Basis. Sie haben sich unter dem Schirm amerikanischer und britischer Luftangriffe nach dem Golfkrieg 1991 herausgebildet. Ökonomische Grundlage dieser leistungsfähigen Staatlichkeit in den kurdisch besiedelten Teilen des Landes war die alliierte Tolerierung eines umfangreichen Schmuggels von Erdöl über die Grenze in die Türkei. In der Auseinandersetzung um die Erhaltung eines irakischen Gesamtstaates geht es daher um den Zugriff auf die zukünftigen Öleinnahmen. Die leistungsfähigen Sicherheitskräfte (Peshmerga) der kurdischen Landesteile wurden von der Besatzungsmacht nicht angestastet und bilden ein Faustpfand der kurdischen Minderheit im politischen Poker.

In den arabischen Landesteilen hat das Besatzungsregime nach bestem Vermögen jede Staatlichkeit unterdrückt, die durch Hoheitsträger der Saddamregimes nach der Invasion noch aufrechterhalten wurde. Damit wurde eine Unsicherheitslage mit besonderen Merkmalen geschaffen. Ein sehr großer Teil der männlichen Bevölkerung hatte zum Zeitpunkt der amerikanischen Invasion eine militärische Grundausbildung oder sogar Kriegserfahrungen, u. a. aus dem langen Krieg mit dem Iran. Hierin dürfte der Irak nur von Israel überboten werden, während es in den meisten Ländern entweder eine Berufsarmee gibt oder aber aus wirtschaftlichen Gründen nur ein kleiner Teil junger Männer eine Wehrpflichtausbildung durchläuft. Dieses verbreitete, mit militärischen Kenntnissen ausgestattete Humankapital in Verbindung mit großen, nicht sichergestellten Waffenbeständen des Saddamregimes bildet den Pool, aus dem die Gewaltakteure oder Produzenten von Sicherheit, je nach Blickwinkel, schöpfen können. Da es den USA nicht gelungen ist, diese Kräfte in ein politisches Projekt der Bildung eines neuen Staates einzubinden, dürften nurmehr geringe Chancen bestehen, daß es unter amerikanischer Besatzung zu einer Konsolidierung im Irak kommen wird.

Auch wenn Wahlen und eine formale Übergabe der politischen Macht an irakische Politiker die Rekonstruktion von Staatlichkeit suggerieren, legen die täglichen Gewaltereignisse nahe, daß die Fassade staatlicher Rekonstruktion tatsächlich eine fraktionierte politische Usurpation staatlicher Kompetenz durch verfeindete Identitätsgruppen verdeckt. Diese Situation ist auch deshalb sowenig transparent, weil sich religiöse, ethnische und Klanidentitäten bei der konkurrierenden Aneignung der staatlicher Legitimität und eben auch Uniformen überschneiden. Solange diese Fraktionierungen sich auf der Leinwand imperialer Besatzung projizieren können, bleibt der Druck gering, nach politischen Kompromissen zu suchen, die eine Rekonstituierung eines irakischen Staates ermöglichen würden.

Der Markt für Gewalt

Auch wenn es nicht angemessen sein dürfte, die Flut an Informationen über die private Sicherheitsindustrie, die die Ereignisse im Irak generiert haben, als Ausdruck eines globalen Trends zu werten, so ist nicht zu leugnen, daß die Produktion von Sicherheit immer weniger eine hoheitliche Aufgabe sein wird. Vielmehr wird zahlungsfähige Nachfrage den Erwerb von Sicherheit bestimmen, weil Staaten entweder nicht willens oder aus strukturellen Gründen nicht fähig sind, Sicherheit als öffentliches Gut bereitzustellen. Das bedeutet angesichts der wirtschaftlichen Machtverhältnisse sowohl auf Seiten von Staaten als auch auf Seiten der Wirtschaft, daß Finanzierung von Gewalt für Sicherheit durch transnationale Akteure weiter zunehmen und die Autorität und damit auch Legitimität von vielen Staaten unterlaufen wird. Fähigkeit und Bereitschaft der amerikanischen Regierung und transnationaler Konzerne, ihre Interessen im Ausland durch den Kauf von Gewalt für die Sicherung ihrer Interessen auf einem dynamischen internationalen Markt zu erwerben, ist auf funktionale Kontrolle sozial und politisch konfliktiver Situationen ausgerichtet. Freilich ist schon jetzt in vielen Fällen erkennbar, daß diese Interventionen zwar kurzfristig sehr erfolgreich sein können. Es fehlt ihnen aber an der für Nachhaltigkeit notwendigen Legitimität. Ironischerweise trifft all dies auch auf die humanitäre Hilfeindustrie zu, die ebenfalls regelmäßig versucht ist, Gewalt für Sicherheit ihrer intendierten Hilfeleistung auf dem Markt für Sicherheit zu erwerben.

Gegenwärtig sind weltweit die amerikanische Regierung und Rohstoffkonzerne die größten Käufer von Gewalt für interessenbestimmte Sicherheit jenseits demokratischer, sozialer Kontrolle dieser Gewalt. Im Windschatten der damit verbundenen Delegitimierung von Staatlichkeit entfalten sich Chancen für diverse nichtstaatliche Akteure, substaatliche und transnationale, sich konkurrierend an der Produktion von Gewalt bzw. Sicherheit zu beteiligen. Hierzu gehören Milizen unterschiedlicher Couleur, Paramilitärs, verdeckte Todesschwadronen, lokale und transnationale organisierte Kriminalität sowie staatliche Hoheitsträger als illegale Anbieter auf dem Sicherheitsmarkt. Für zahlreiche Länder ist belegt, daß dort tätige Konzerne sich lokale Militär- und Polizeieinheiten durch Zahlungen als betriebliche Schutztruppen aneignen.

Auf den allgemeinen Rückzug des Staates vom idealtypischen Monopol, Sicherheit als öffentliches Gut vorzuhalten, reagieren die Menschen, je nach wirtschaftlichem Vermögen, mit zunehmend umfassender Kommodifierung der Sicherheit der eigenen Lebenssphäre. Dies bedeutet Ungleichheit von Sicherheit entsprechend der individuellen Einkommensposition. Die Lebensquartiere der Wohlhabenden werden im Hinblick auf ihre Sicherheit autark. Gated communities sind der sich ausbreitende architektonische Ausdruck derartig fragmentierter Sozialstrukturen. Die Kriminalitätsrisiken entsprechen der sozialen Stellung.

Tatsächlich durchdringen bereits privatisierte Exklaven oder Patchworkstrukturen privater Sicherheit moderne Gesellschaften und zerfallende Staaten gleichermaßen. Ohne politische Gegensteuerung entwickelt dieser Prozeß eine gefährliche Eigendynamik. Im Irak der Gegenwart bedeutet dies eine rasante Entmischung von Identitätsgruppen in gewachsenen Wohnquartieren. Das öffentliche Gut Sicherheit droht allseitig zu verschwinden und durch den Imperativ selektiver privater Sicherheitsvorsorge ersetzt zu werden.

Im Sinne neoliberaler Regulation erscheint es kostengünstiger, Sicherheit insgesamt zu privatisieren, d. h. nicht nur staatliche Aufgaben an private Unternehmen zu vergeben, sondern Sicherheit insgesamt zu einem Problem der individuellen Lebensvorsorge und des unternehmerischen Risikos zu machen. Der Staat wird dabei aus der Haftung entlassen. Sicherheit wird eine Ware, Unsicherheit zum persönlichen Makel. Auf einem solchen Entwicklungspfad wird die private Sicherheitsindustrie in allen ihren Ausprägungen noch viel stärker expandieren, als es sich jetzt schon abzeichnet, und dies nicht nur in zerfallenden Staaten. Der Staat verabschiedet sich bei einer solchen Entwicklung als Rahmen sozialer und politischer Legitimation bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse.

Die schwersten Menschenrechtsverletzungen durch private "Gewalt für Sicherheit" sind für Militärunternehmen dokumentiert. Die zu einem Interessenverband zusammengeschlossenen privaten Militärunternehmen argumentieren, daß sie nur im Rahmen bestehender Gesetze tätig werden. Existierende Probleme sollten umgehend durch ein international anerkanntes Regelwerk ausgeräumt werden. Auch den Vereinten Nationen stünde so eine leistungsfähige Option für mandatierte Interventionen zur Verfügung.

Bei genauerem Hinsehen verliert diese Option ihre scheinbare Attraktivität. Bisher wurde die neue Nachfrage nach ausgebildetem militärischem Personal durch Freisetzung nach Kriegen, Reduzierung von Streitkräften oder Abwerbung bedient. Der kalkulatorische Wettbewerbsvorteil privater Militärfirmen gegenüber staatlich verfaßten Leistungserbringern sich ergibt sich daraus, daß sich Zeitkontrakt- und Lebenszeitarbeitsverhältnisse gegenüberstehen und die derzeitigen Anbieter von militärischen Dienstleistungen keine Ausbildungskosten haben. Für Kampftruppen wie die amerikanischen Marines, die überwiegend am unteren, ökonomisch chancenlosen Rand der Gesellschaft rekrutiert werden, gibt es nach Beendigung der befristeten Karriere als Berufssoldat nur eine Chance auf dem Arbeitsmarkt als "Gewaltakteur" in der privaten Sicherheitsindustrie. Die Grundlage dieser Unternehmen ist mit Steuergeldern gebildetes Humankapital.

In dem Maße, wie die nur zeitlich begrenzt einsetzbaren freigesetzten Reserven aus den Industriestaaten ausgeschöpft sind, wirbt man oft unterbezahltes militärisches Personal in zerfallenden und schwachen Staaten ab. Das trägt zu deren weiterer Destabilisierung bei. Denn die Abwerbung von militärischem Personal durch private militärische Unternehmen, die vor allem auf die wahrscheinlich wachsende Nachfrage im Bereich internationales Peacekeeping reagieren, würde die Leistungsfähigkeit weiterer Staaten beeinträchtigen, Sicherheit als öffentliches Gut zu gewährleisten. Zusätzliche Problemzonen entstünden und würden die Märkte für die Anbieter privater militärischer Dienstleistungen erweitern.

Allein diese Überlegungen machen deutlich, daß die nun auch den Bereich Sicherheit erfassende neoliberale Marktideologie weit davon entfernt ist, eine optimale Allokation insgesamt verfügbarer Ressourcen zu generieren. Es ist daher eine Illusion, daß die vorgebliche Effizienz des Marktes das weltweit zunehmend defizitäre öffentliche Gut Sicherheit besser organisieren könnte als staatliche Institutionen. Vielmehr gilt es, die staatlichen Akteure und ihre verläßliche Einbindung in bestehende Rechtsordnungen zu fördern.

Derzeit bleiben im Irak Menschenrechte ohne erkennbare Wirkung. Absolute Voraussetzung für wirkungsvolle politische Strategien zur Durchsetzung von Menschenrechten sind umfassende Informationen. Sowohl die Besatzungstruppen als auch die unzähligen privaten Anbieter von "Gewalt für Sicherheit" widersetzen sich aktiv der verläßlichen Beobachtung des Gewaltgeschehens. Das Monitoring von Menschenrechten ist zudem in der arabischen Welt weit weniger entwickelt als in anderen Regionen. Für Nichtregierungsorganisationen gibt es im Irak nach Saddam Hussein keine Ansprechpartner. Außerdem ist die Sprachbarriere groß.

Das durch die militärische Besetzung künstlich erzeugte Inferno im Irak markiert die vollständige Entstaatlichung von Sicherheit. Eine schleichende Entstaatlichung von Sicherheit kennzeichnet den gegenwärtigen Globalisierungsprozeß. Ihre Eigendynamik droht ständig politischer Kontrolle zu entgleiten. Das Menetekel Irak sollte uns gemahnen, den Staat als legitimen Produzenten von Sicherheit für alle gegen den aktuellen Privatisierungsdruck zu verteidigen.

Literaturhinweise

D. D. Avant: The Market of Force. The Consequences of Privatizing Security, Cambridge 2005

P. Lock: Notiz zur Rolle privater Militärfirmen in gewaltsamen Konflikten, verfügbar unter http://www.peter-lock.de/txt/auswertamt.html

St. Negus: Far-flung deployment saps the morale of Iraqi soldiers, in: Financial Times vom 29. März 2006

M. O’Hanlon/N. Kamp: The State of Iraq, verfügbar unter http://www.brookings.edu/Iraqindex

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M. Sherman: Iraq’s Little Armies, in: New York Times vom 8. März 2006;

St. Soldz: The Sex Lives and Sexual Frustrations of US troops in Iraq: An Ocean of Ignorance, verfügbar unter http://www.zmag.org/content/print_article.cfm?itemID=9443&sectionID=1