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letzte Änderung:03.01.2011
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Wider Amerikanische Arroganz

Friedensgutachten 2003

EPD-Entwicklungspolitik
Gegenstand: Besprechung Friedensgutachten 2003 erschienen im LIT-Verlag
Datum: 01.08.2003

Der mit dem Irakkrieg endgültig dokumentierte Paradimenwechsel amerikanischer Politik, die sich gezielt dem Völkerrecht entzogen hat, hat die professionelle deutsche Friedensforschung inhaltlich enger zusammengeführt. Die eindringliche Botschaft lautet, auch die schwierigsten Probleme können mit den Instrumenten, die das Völkerrecht bietet, gelöst werden. Dazu gehören als ultima ratio auch militärische Mittel. Europäische Politik muß die Weiterentwicklung des Völkerrechts und vor allem die Ausschöpfung seiner Möglichkeiten mit intelligenter Politik mit größerem Nachdruck betreiben. In 25 Beiträgen auf fast 300 eng bedruckten Seiten demonstrieren die fünf federführenden Institute und das eigentlich auch dazu gehörende Bochumer Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht eine insgesamt beeindruckende Forschungskompetenz. Die Friedensforschung hat sich allem weitgehend ungerechtfertigtem Gejammere über zu geringe Förderung zum Trotz zu einer wichtigen Stimme in der demokratischen Streitkultur Deutschlands entwickelt, die es zu erhalten und auszubauen gilt. Das Deutsche Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP), die Regionalinstitute in Hamburg und die politischen Stiftungen der Parteien haben mit deutlich erhöhter Öffentlichkeitsarbeit und Publikation ihrer Arbeitsergebnisse auf diese Herausforderung reagiert. Hierbei handelt es sich um eine gegenüber anderen europäischen Nationen nachholende Entwicklung eines Diskurses über internationale Politik und Sicherheitspolitik, der in Deutschland bis zum Ende des Kalten Krieges ideologisch in einer normativen Polarisierung eingefroren war. In einer großen Koalition hatte man die militärische Dimension der Sicherheitspolitik vollständig an die NATO delegiert. So ist die Österreichische Militärzeitschrift bis heute das einzige deutschsprachige Periodikum, in dem militärische Fragestellungen auf erträglichem Niveau diskutiert werden.

Die Gliederung des Gutachtens suggeriert ein weltpolitisches Panorama, wobei in der Einleitung erläutert wird, daß man das Problemfeld osteuropäische Erweiterung der EU in diesem Jahr ausgespart habe. Als Leseorientierung empfehle ich mit dem Distanz zu aktuellen Aufgeregtheiten schaffenden Beitrag von Harald Müller zu beginnen. Er formuliert mit großer Umsicht Anforderungen an die Weltordnung im 21.Jahrhundert und macht Mut, sich nicht vom eingeschlagenen Weg hin zu einer konsensbasierten Weltordnung abbringen zu lassen. Thomas Fues und Dirk Messmer vermessen ebenfalls die Perspektiven kooperativer Weltpolitik anhand wichtiger thematischer UN-Konferenzen. Ihr Fazit, bei aller berechtigter Ungeduld ist es politisch-strategisch falsch, die vielen bescheidenen Fortschritte auf breiter Front klein zu reden.

Andreas Zumach, Journalist in Genf, hat ein lesenswertes Protokoll der internationalen Politik gegenüber dem Irak nach 1991 beigesteuert, das die Rolle der neokonservativen Clique in der Bushregierung als Kriegstreiber relativiert. Der Krieg wird als logischer Fluchtpunkt konzentrisch verlaufender längerfristiger Politiklinien sichtbar. Die erschreckende Nichtachtung oder Entwertung bestehender Rüstungskontrollabkommen im Nulearbereich durch die USA wird von Annette Schaper kenntnisreich nachgezeichnet. In einer weitgehend virtuellen Strategiediskussion werden in den USA Bedarfe an weiterentwickelten Atomwaffen formuliert und in der Regierung und im Kongreß abgenickt. Diese Entwicklung ist Ausdruck einer hegemonialen Position des amerikanischen Militärforschungskomplexes gegenüber dem Kongreß, denn es gibt bereits heute kein realistisches Szenario, das mit den verfügbaren militärischen Mitteln nicht gelöst werden könnte.

Ohne es auf den Begriff zu bringen, illustriert Ulrich Ratsch (vgl. epd-Entwicklungspolitik 13/2003 S.57-60) die kriegstreibende Dynamik der Schattenglobalisierung sehr anschaulich am Beispiel der bewaffneten Konflikte im Kongo. Erst die symbiotische Anbindung schattenökonomischer Aktivitäten an den regulären Weltmarkt erlaubt es den Gewaltunternehmern (war lords) die angeeigneten Waren in Wert zu setzen. Das empirische Material seiner Analyse stammt aus Untersuchungen, die von den Vereinten Nationen veranlaßt wurden, was wiederum auf die wichtige Rolle internationaler Zusammenarbeit bei der Bearbeitung von kriegerischer Gewalt verweist. Gleichzeitig aber zeigt Peter Kreuzer in seinem Beitrag zu Südostasien, daß gesellschaftliche Gewalt keineswegs automatisch Verbindungen zu internationalen Netzwerken haben muß. Häufig bedeutet eine solche Sichtweise nur, daß das Stichwörter Drogen oder Terrorismus genügen, um amerikanische Unterstützung zu mobilisieren, von der sich nicht selten lokale Eliten politische Vorteile versprechen.

Noch zwei Lesezeichen: Das Gutachten liefert eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der anlaufenden populistischen Debatte über den angestrebten Beitritt der Türkei zur EU, die in nächster Zeit weitere Blüten treiben dürfte. Der Stand der internationalen Diskussion über Sanktionen, die selten das geleistet haben, was man sich von ihnen, zumeist bequem und leichtfertig, versprochen hat, wird von Michael Brzoska referiert.

Über die schwächeren bzw. etwas willkürlichen Beiträge im Gutachten könnte man hinwegsehen, wären da nicht systematische Auslassungen. Sie betreffen wirtschaftliche und militärische Problemfelder, die ebenso wie die internationale Diplomatie zu analysieren sind, will man weltpolitisch die Perspektiven von Frieden diskutieren. Da sich in der Einleitung kein Hinweis auf eine begründete Auslassung dieser Problemfelder findet, ist sie wohl der dominant politikwissenschaftlichen Ausrichtung der institutionalisierten Friedensforschung geschuldet.

Wie erklärungsmächtig sind die Projektionen europäischer und amerikanischer Politik im Friedensgutachten, wenn an keiner Stelle versucht wird, die wirtschaftliche Dimension dieses Verhältnisses zu beleuchten? Die Frage, ob der militärischen Hegemonie der USA eine weltwirtschaftliche Steuerungskompetenz entspricht oder ob das global vagabundierende Finanzkapital sich nicht bereits der Steuerung durch die kapitalistische Führungsmacht entzogen hat, wird nicht gestellt, obwohl sich aus einer Beantwortung weitreichende Folgerungen für die politische Ausrichtung Europas ergeben würden. Sind die derzeitigen politischen Mehrheiten, die in den USA eher militärische und in Europa stärker kooperative Interessendurchsetzung tragen, im Falle durchaus möglicher, vielleicht sogar wahrscheinlicher wirtschaftlicher Krisen belastbar? Welche Szenarien sind denkbar? Welche Herausforderungen, vielleicht auch Chancen, für Friedens- und Entwicklungspolitik ergeben sich daraus? Wo liegt der "goldene Schnitt" zwischen Markt und Staat? Wie kann Staatlichkeit angesichts des Homogenisierungsdruckes neoliberaler Globalisierung so gestaltet und können öffentliche Güter so bereitgestellt werden, daß, jeweils auf die besonderen Umstände ausgerichtet, Wohlfahrtsgewinne optimiert werden?

Die meisten Vorschläge im Friedensgutachten laufen auf Leistungen heraus, die als Überschuß stabiler Staatlichkeit vor allem in Europa und anderen OECD-Ländern erbracht werden müssen. Die vorgeschlagene Institutionenbildung wird nicht darauf hinterfragt, ob mittelfristig eine realistische Chance besteht, diese Institutionen durch Steuererhebung auf wirtschaftliche Leistung, die im Land selbst erbracht wird, zu reproduzieren. Im gegenwärtigen Ausarbeitungsstand ist derartige Friedensprogrammatik vor allem Lobbyarbeit für die humanitären Dienstleistungsindustrien und sonstige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Helferpersonal vor allem aus den Geberländern.

Was aber nützen die umfassenden Aufzählungen der Maßnahmen im Friedensgutachten, die die internationale Gemeinschaft zur Bildung demokratischer Staatlichkeit in Afghanistan unterstützen und vor allem finanzieren soll, wenn derartige wohlmeinende, aber letztlich paternalistische oder vielleicht sogar kolonialistische Programmatik nicht von leistungsfähiger Staatlichkeit in wohlhabenden Industriestaaten langfristig getragen wird? Was nützt die Forderung nach einer Repolitisierung der Konfliktparteien in Kolumbien, wenn man die dynamische Einbindung der Akteure in globale Strukturen und schattenwirtschaftliche Netzwerke nicht untersucht, um zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Repolitisierung überhaupt noch vorliegen und nicht bereits das gewaltunternehmerische Kalkül überwiegt? Was bewirkt die Ausbildung von Zollbeamten, wenn Schattenglobalisierung die Überlebenswelt der großen Mehrheit der Bevölkerung bestimmt? Solange man sich bei der Drogenproblematik mit der Angebotsseite beschäftigt und das Problem nicht vorrangig auf der Nachfrageseite durch Legalisierung und staatliche Abgabe bearbeitet, wird sich die Anhängerschaft der Kabuler Staatlichkeit auf die Nutznießer internationaler Hilfsmaßnahmen beschränken und sich in Kolumbien von den USA alimentierte bewaffnete Gewalt auf höherem Niveau stabilisieren.

Am meisten überrascht, daß in dem Friedensgutachten militärische und rüstungsökonomische Fragen weitgehend ausgespart sind. Konfrontiert mit ständigen Spekulationen in den Medien über die nächsten Ziele militärischer Intervention sucht man vergeblich Analysen, die helfen könnten, diese Spekulationen ein wenig einzugrenzen. Man sucht ebenfalls vergeblich nach einer Durchleuchtung der verschiedenen miteinander konkurrierenden Akteure amerikanischer Machtprojektion, darunter die vier weitgehend autonomen Teilstreitkräfte, CIA, nationaler Aufklärungsdienst; nach einer Typologisierung amerikanischer Interventionen (Afghanistan indirekt durch Söldner, Irak direkt mit Bodentruppen usw.) und Einschätzung, welche Varianten in den nächsten Jahren Anwendung finden werden. Wenn das Friedensgutachten das Stigma politikwissenschaftlicher Sterilität überwinden will, dann muß im nächsten Jahr auch die unterschiedliche Dynamik des militärischen Instrumentariums der USA und anderer wichtiger Staaten aufgearbeitet werden. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn die deutsche Friedensforschung hierbei auf Arbeiten ihrer französischen KollegInnen zurückgriffe und u.a. die kritischen Analysen amerikanischer Strategie etwa in "Le débat stratégique" einbezöge.