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letzte Änderung:03.01.2011
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Frankfurter Rundschau 2003
Erscheinungsdatum: 16.04.2003

Wer gibt dem Kindersoldaten sein mörderisches Handwerkszeug?

Gewalt ist der böse Schatten der neoliberalen Globalisierung
Der Sozialwissenschaftler Peter Lock analysiert die Ökonomie bewaffneter Konflikte

Bei Berichten und Bildern von Kindersoldaten und deren offensichtlicher Bestialität vermuten wir spontan einen Zustand vollständiger Anarchie. Die Gewalt erscheint willkürlich und sinnlos. Eine Sozialisation, die Gewalthemmung vermittelt, scheint nicht mehr zu existieren. Unser zivilisatorischer Anspruch, den Menschenrechten universell Geltung zu verschaffen, schlägt in resignative Verzweiflung um. Wir verorten die Bestialitäten als atavistische Regression dort unten. Jedoch ebenso wie wir die sich beschleunigende weltweite soziale Ungleichheit als Armut wahrnehmen und damit aus dem Kontext systemischer und damit konkret neoliberaler Verursachung herauslösen, übersehen wir die systemische Rationalität der zynischen Instrumentalisierung von Kindern als Gewaltakteure. Kindersoldaten gibt es nicht nur in zerfallenden Staaten Schwarzafrikas. Weltweit in unmittelbarer Nachbarschaft der Wohlstandsexklaven in den Megastädten, deren chaotische, scheinbar unaufhaltsame, ans infernalische grenzende Expansion ein Strukturmerkmal des neoliberalen Globalismus ist, werden minderjährige Jungs als Gewaltakteure rekrutiert. In einer Situation allgemeiner Perspektivlosigkeit bietet sich ihnen die Chance, eine erwerbstätige Rolle in der Gesellschaft einzunehmen, indem sie sich als Produzenten von Gewalt zu verdingen. Gut belegt ist dies am Beispiel der bewaffneten Konflikte um die territoriale Kontrolle der Drogenmärkte in Rio de Janeiro. Dort rekrutieren die kriminellen Netzwerke Jungs im Kinderalter als gefürchtete, mordbereite Grenzschutztruppen . Die Opferzahlen entsprechen den Kriegen in Westafrika. Bei der Analyse gesellschaftlicher Gewalt sind wir jedoch der Dichotomie von Krieg und Frieden verhaftet. Dabei käme es angesichts der sichtbar immer dominanteren neoliberalen Regulation weltwirtschaftlicher Zirkulation darauf an, Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Gewaltformen in den Blick zu nehmen. Dieser Text versteht sich als Suche nach den Verbindungslinien von Gewalterscheinungen im Kontext von Globalisierung oder genauer neoliberaler Deregulierung.
Vor der Transformation eines Jungen zum Kindersoldaten steht eine lange Kette von wirtschaftlichen Transaktionen sowie gewaltunternehmerischer Entscheidungen, die zur Bewaffnung von Kindern und schließlich deren Instrumentalisierung als Gewaltakteure führen. Man muß sich zunächst veranschaulichen, daß der Wert der Ausrüstung eines Kindersoldaten, also automatisches Gewehr, Munition und nicht selten Drogen, in etwa dem jährlichen Pro-Kopf Einkommen der jeweiligen Bevölkerung entspricht und nicht aus einem Arbeitseinkommen der Kinder oder deren Familien herrührt. Daher muß es immer einen Unternehmer geben, der das Arbeitsgerät bereitstellt und sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine höhere Rendite im Vergleich zu anderen Allokationsmöglichkeiten seines Kapitals erhofft. Ferner gilt, daß die in Frage stehende Verfügbarkeit von Kapital eine vorgelagerte devisenbringende Transaktion voraussetzt, denn auf den legalen und illegalen Märkten für Waffen sind Dollars das unabdingbare Tauschmedium. Wirtschaftliche Einbindung in Weltmarktprozesse sind in der Gegenwart somit ebenso eine Voraussetzung für das Phänomen Kindersoldaten wie für jeglichen innergesellschaftlichen bewaffneten Konflikt. Denn seit dem Verschwinden der Machtrivalität des Kalten Krieges, die innergesellschaftlichen Kriegsparteien in der Regel eine politische Rente garantierte, müssen sich Kriege weitgehend selbst alimentieren.
Daraus folgt, daß der Analyse der Ökonomien bewaffneter Konflikte große Aufmerksamkeit geschenkt werden muß, will man wirksame Strategien der Einhegung entwickeln. Zu den zentralen und nicht gerade neuen Befunden dieser Debatte gehört in der Tat, daß legale und vor allem illegale Tauschprozesse mit weltwirtschaftlicher Dimension den dynamischen Kern der jeweiligen Kriegsökonomien ausmachen . Folgerichtig basiert die Serie von Embargobeschlüssen der Vereinten Nationen, zumeist in Reaktion auf kriegerische Gewalt, auf der Annahme, daß es möglich ist, den kriegerischen Auseinandersetzungen durch Entzug ihrer wirtschaftlichen Grundlagen Einhalt zu bieten. Die Ergebnisse derartiger Maßnahmen sind bescheiden und haben sich häufig als konterproduktiv erwiesen. Dies liegt vor allem an den Ausweichmöglichkeiten, die sich entschlossenen Kriegs- bzw. Gewaltunternehmern bieten, sich in transnationale schattenökonomische Netzwerke zu integrieren, die es leisten, die zu tauschenden Produkte in die reguläre Zirkulation auf den Weltmärkten zu schleusen.

Illegale Netzwerke und Schattenglobalisierung

Längst wird nicht mehr bestritten, daß der neoliberale Globalismus die soziale Polarisierung innerhalb von Staaten und zwischen armen und reichen Staaten verschärft. Das schlägt sich nieder im Ausschluß von mindestens der Hälfte der Weltbevölkerung aus der regulären Ökonomie, definiert als die Lebenswelten, in denen Tausch in einem rechtsstaatlichen Rahmen erfolgt und der Staat das Monopol legitimer Gewalt innehat. Beschäftigungspolitisch sind die ausgelobten und meist ausbleibenden hohen Wachstumsraten aufgrund umfassender Marktöffnung neoliberalen Zuschnitts nur Tropfen auf heißen Steinen, die an sich verschärfender sozialer Apartheid im Zeitalter des neoliberalen Globalismus nichts ändern. Versuche, bei geschützten nationalen Märkten nachholende Entwicklung im Stile der asiatischen Tigerökonomien in einem Lande zu wiederholen, stoßen heute auf hartnäckige Sanktionen des IWF und der internationalen Finanzmärkte.
Der Modernisierungsschub, den die herrschende neoliberale (De-)Regulierung weltweit erzwingt, entwertet traditionale ländliche Strukturen und führt zu räumlich konzentrierter sozialer Segmentierung der Gesellschaften in Megastädten. So wird die gesellschaftliche Wirklichkeit in sehr vielen Ländern von massenhafter Ausgeschlossenheit der zahlreich nachwachsenden Generationen von der regulären Ökonomie geprägt bleiben. Sie müssen ihr Überleben im Dickicht der Armutsgürtel der Städte organisieren, die zur Herrschaftssphäre, mindestens aber zur Einflußsphäre von Gewaltunternehmern jenseits staatlicher Ordnungsstrukturen gehören. Diese zunehmende, vor allem auch intergenerationelle Apartheid erweist sich soziologisch betrachtet als ein verdrängtes, gleichwohl aber systemisches Merkmal des neoliberalen Globalismus. Sie ist zunehmend von sozialer Bitterkeit geprägt und offen für individuelle alternative Lebensentwürfe (vgl. z.B. Texte in Hiphop und Rap), die sich auf Gewaltanwendung zur Durchsetzung gründen. Diese Massen junger Menschen haben keine politische Repräsentation. Öffentlich wahrgenommen werden sie meist nur als Kriminalitätsrisiko.
Für das Überleben weitgehend außerhalb ordnungsstaatlicher Regulierung ist Sicherheit ein zentrales Problem. Vertrauen und Gewalt sind konkurrierende, manchmal symbiotische Instrumente, mit denen in der sozialen Apartheid Sicherheit geschaffen wird. Das jeweilige Mischungsverhältnis bestimmt die konkreten Vergesellschaftungsformen, die sich in Netzwerken manifestieren, innerhalb derer das (Über-)Leben organisiert wird. Derartige Netzwerke stellen soziale Gruppen dar, die untereinander verläßlich handeln und sich zur Identitätsbildung immer nach außen abgrenzen bzw. andere ausgrenzen. Gewalt ist das konkurrierende Prinzip sozialer Ordnung. Informelle und kriminelle Netzwerke organisieren sich unabhängig von staatlicher Territorialität und expandieren naturwüchsig in transnationale Operationsräume, weil schattenwirtschaftliche Transaktionen über Grenzen eine zusätzliche Rente bieten. Da überrascht es nicht, daß mindestens die Hälfte des innerafrikanischen Handels in der Schattenwirtschaft abgewickelt wird.
Die Sphären schattenwirtschaftlicher Aktivitäten bilden die Lebenswelt wahrscheinlich der Hälfte der Weltbevölkerung. Allein das darin eingeschlossene globale Bruttokriminalprodukt wird auf 1500 Milliarden Dollar geschätzt, dessen vitaler Kern die globale Drogenökonomie ist. Die entwicklungspolitischen Diskurse blenden zu häufig aus, daß es sich um globale Rahmenbedingungen handelt, die als Armut und zerfallende Staatlichkeit wahrgenommen und jeweils vor Ort bearbeitet werden. Es ist daher hilfreich, den unterschiedlichen sozial-ökonomischen Status von Staaten als durch das jeweilige Mischungsverhältnis regulärer, informeller und krimineller Sphären bestimmt zu betrachten. Das Zusammenwirken dieser drei Sphären ist durch asymmetrische bzw. ungleiche Tauschbeziehungen gekennzeichnet. Zugleich bestimmt das jeweilige Mischungsverhältnis die soziale Topographie und die Organisation von individueller und kollektiver Sicherheit der jeweiligen Gesellschaften. Darüber hinaus sind diese drei Sektoren der nationalen Volkswirtschaften in jeweils eigenständige globale Zirkulationssphären integriert. Dabei sind informelle und kriminelle Ökonomie der logische Schatten der gegenwärtig die Globalisierung prägenden neoliberalen Regulationsdoktrin. Angesichts der dynamischen Transnationalität informeller und krimineller Netzwerke, allen voran der Drogenökonomie werden diese Strukturen mit dem Begriff Schattenglobalisierung angemessen beschrieben. Legale und illegale Migration verdichten und erweitern die jeweiligen Operationsräume von Netzwerken, die die Schattenglobalisierung ausmachen. So gibt z.B. beim Handel mit Drogen oder Menschen (Prostitution) Netzwerke, die von ethnischen Gruppen kontrolliert werden, die durch vorangegangene Migration deutliche logistische Wettbewerbsvorteile haben.

Die drei ökonomischen Sphären

Die reguläre Sphäre der globalen Ökonomie ist durch rechtliche Ordnungen gekennzeichnet, die Transaktionen für alle Marktteilnehmer berechenbar machen. Es werden überwiegend Steuern zur Reproduktion von Staatlichkeit gezahlt, auch wenn das Niveau der Besteuerung als Folge weltweiter Standortkonkurrenz allgemein abnimmt. Die mageren Wachstumsraten der regulären Ökonomien halten global nicht Schritt mit dem Wachstum der Weltbevölkerung im erwerbsfähigen Alter und der sich daraus ergebenden Nachfrage nach Arbeit. Mit den informellen Sektoren findet massiver ungleicher Tausch im Bereich von illegalen Dienstleistungen statt. Die inzwischen allgemeine Akzeptanz dieser Schwarzarbeit, bei der illegale MigrantInnen in der Regel eine große Rolle spielen, hebt den Lebensstandard in der regulären Sphäre nicht unwesentlich. An ihren Rändern sind die regulären Ökonomien ständig korruptiven Attacken wirtschaftskrimineller Akteure ausgesetzt, die die Produkte und Erträge ihrer illegalen Aktivitäten in die reguläre Waren- und Dienstleistungszirkulation einschleusen wollen. Überhöhte Immobilienpreise sind oft ein Indikator für das Einfließen von Erträgen aus der kriminellen Ökonomie und zugleich ein treibender Faktor zyklischer Finanzkrisen in Schwellenländern, wie sie u.a. in Mexiko und Thailand aufgetreten sind.
In den informellen Sphären der Wirtschaft haben rechtsstaatliche Regeln nur sehr begrenzte Geltung. Asymmetrische Machtstrukturen, die unkontrolliert Gewalt androhen oder auch anwenden, und rudimentäre Ansätze kommunitärer Selbstorganisation kennzeichnen die informellen Sphären der Ökonomie. Sieht man von gelegentlicher Einbeziehung durch Konsumsteuern ab, sind die informellen Sektoren nicht an der Reproduktion von Staatlichkeit durch Zahlung von Steuern beteiligt. Gleichwohl aber ist der informelle Sektor weltweit die Lebenswelt des größten Teils der erwerbsfähigen Bevölkerung. Selbst in der relativ entwickelten Region Lateinamerika hat die ILO für Ende der neunziger Jahre einen Anteil des informellen Sektors von 56 % an der Erwerbsbevölkerung (EAP = economically active population) ermittelt. Diese Sphäre wächst weltweit am schnellsten. Es ist somit strukturell angelegt, daß diese Bevölkerungsmehrheit völlig unzureichend mit öffentlichen Gütern, wie z.B. Schulen, und Infrastrukturen versorgt wird, denn eine einfache Formel lautet, ohne Steuern kein Staat und ohne Staat keine öffentlichen Güter. Gleichzeitig trägt der informelle Sektor in erheblichem Umfang zur individuellen Wohlfahrt im Bereich der regulären Ökonomie durch billigste Dienstleistungen bei. Auch für wohlhabende Industriestaaten trifft dies zumeist in Form von Schwarzarbeit durch illegale MigrantInnen zu, z.B. als Hilfen im Haus und bei der häuslichen Krankenpflege, in Landwirtschaft und Gastronomie, im Handwerkssektor und der Bauindustrie. Da alle Aktivitäten, die wir dem informellen Sektor zuordnen, außerhalb der Reichweite von Rechtsstaatlichkeit angesiedelt sind, sind Menschen in diesem Sektor generell stark gefährdet, von gewaltkriminellen Akteuren kontrolliert und ausgebeutet zu werden. Das gilt auch für die von Schwarzarbeit dominierten Bereiche in der ansonsten wohl geordneten deutschen Volkswirtschaft.
Die global vernetzten Akteure krimineller wirtschaftlicher Betätigung haben sich dynamische Zirkulationssphären geschaffen. Sie weisen, gemessen an Umsätzen und Profiten, wahrscheinlich die höchsten Wachstumsraten aller drei Sphären in der Weltwirtschaft auf. An Stelle rechtsstaalicher Regelungen bilden latente und manifeste Gewaltverhältnisse die Geschäftsgrundlage in diesen netzwerkartigen Zirkulationssphären. Steuern zur Reproduktion des Staates zahlen diese Akteure nicht. Vor allem in Transformationsländern eignen sich häufig wirtschaftskrimenelle Akteure sogar vorhandene öffentliche Infrastrukturen an.
Bei der kriminellen Sphäre handelt es sich um ein parasitäres Gebilde, das auf funktionierende Tauschsphären mit der regulären Ökonomie angewiesen ist. Kriminelle Akteure usurpieren Teile der regulären und der informellen Ökonomien. Dies macht eine eindeutige definitorische Abgrenzung nicht immer leicht. Immerhin wird aber das BKP (Bruttokriminalprodukt) inzwischen grob auf jährlich 1500 Mrd. US-Dollar geschätzt, wovon knapp die Hälfte auf Drogengeschäfte entfällt. Dies ist ein Vielfaches des BSP des gesamten afrikanischen Kontinentes.
In der Kriegsursachenforschung ist es inzwischen ein gesicherter Befund: die Einbindung der jeweiligen Kriegsökonomien in schattenwirtschaftliche globale Handelsströme ist eine notwendige Voraussetzung für längere innergesellschaftliche bewaffnete Konflikte. Da aber bei genauerer Betrachtung Schattenglobalisierung wie ein dichter Nebel allgegenwärtig und damit ein systemisches Merkmal ist, bedeutet diese Erkenntnis lediglich, daß sich Kriegsparteien als strategische Gewaltunternehmer im Prozeß der Schattenglobalisierung etablieren müssen und daß diese Rolle wiederum den Charakter kriegerischer Gewalt bestimmt. Dem entspricht, daß die Merkmalsausprägungen gegenwärtiger Kriege zunehmend diffuser werden. Beginn und Ende markieren häufig keine wirklichen Zäsuren im Hinblick auf das Gewaltgeschehen. Das Kampfgeschehen trägt nicht selten erratische Züge, denn immer wieder wird militärische Logik von kriegsökonomischen Interessen überlagert. Das Gewaltniveau in einer Gesellschaft ist nicht länger ein hinreichendes Merkmal für Krieg, sonst müßten Nigeria oder Brasilien in den Listen bewaffneter Konflikte auftauchen. Zudem ist es den gewalt- und schattenunternehmerischen Fähigkeiten heutiger Kriegsparteien geschuldet, daß humanitäre Hilfe als ein niedrigschwelliges Element der Einmischung immer häufiger in eine Kriegsressource transformiert wird. Humanitäre Organisationen müssen daher beinahe regelmäßig als Zugangsvoraussetzung ihren Neutralitätsprinzipien abschwören. Die ökonomischen Interessen können bei lange andauernden Kriegen so dominant werden, daß man sie auch als eine eigenständige Produktionsweise interpretieren kann, in der das kriegerische Geschehen letztlich von gewaltunternehmerischen Profitmaximierungsstrategien bestimmt wird.
Bei der Verfolgung von kriegsökonomischen Transaktionen auf ihrem Weg in die reguläre Ökonomie erschließen sich zahlreiche weitere kriminelle Netzwerke, die weltweit agieren und Gewalthandlungen in einem Umfang begehen, der manchen bewaffneten Konflikt übertrifft, den die politikwissenschaftliche Forschung als Krieg beschreibt. Daraus ergibt sich die Frage, ob die Dichotomie Krieg und Nicht-Krieg überhaupt noch geeignet ist, Gewalt angemessen zu analysieren, die sich mit der Schattenglobalisierung aus der Logik krimineller Netzwerke entfaltet. Es dürfte daher realitätstüchtiger sein, bei der Untersuchung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse im Zeitalter von Globalisierung und Schattenglobalisierung mit der Kategorie "regulative Gewalt" zu arbeiten, um so besser die Gewaltlogiken entschlüsseln können, die für das dynamische Fungieren der Schattenglobalisierung unabhängig von der Kategorie Krieg konstitutiv sind.
Die Zusammenhänge zwischen den symbiotisch verknüpften Prozessen von Globalisierung und Schattenglobalisierung einerseits und Erscheinungsformen krimineller Gewalt in sozialen Räumen, aus denen sich der Staat als Ordnungsmacht zurückgezogen hat, machen es erforderlich, kriminelle Gewalt, die sich unter anderem in Mordraten und Straftaten unter Anwendung von Schusswaffen ausdrückt, auf den Mikroebenen sehr viel genauer, international vergleichend zu untersuchen, um den Anteil "regulativer Gewalt" an der Gesamtheit der Tötungsdelikte und anderer krimineller Gewalttaten zu bestimmen. Unter regulativer Gewalt wird hierbei die Androhung und der Einsatz von physischer Gewalt zur Durchsetzung von ungleichen Tauschverhältnissen und Aneignung verstanden.
Als allgemeine Regel kann gelten, dass die Privatisierung von Sicherheit ein Spiegelbild des Zustandes von Staatlichkeit und gesellschaftlicher Kohäsion ist. Diese Privatisierung schreitet weltweit voran. Das öffentliche Gut Sicherheit wird immer mehr zur Ware, über deren Erwerb die individuelle Kaufkraft entscheidet. Armut bedeutet meist auch Unsicherheit. Auch wenn es zu einer umfassenden privaten Aneignung des Staatsapparates durch eine Gruppe kommt, bedeutet dies eine faktische Privatisierung der Sicherheit. Die so angeeignete Fassade von Staatlichkeit erzeugt einen Zustand allgemeiner Unsicherheit und bewirkt zudem, daß sich auch vertrauensbasierte zivilgesellschaftliche Regelsysteme auflösen. An ihre Stelle treten Selbstverteidigungsstrukturen auf der Grundlage von Identitätsideologien auf unterschiedlichen Ebenen, die sich auf den konkreten Ausschluß anderer gründen oder es gelingt Gewaltakteuren ein tributpflichtiges territoriales Gewaltmonopol (Racket) zu etablieren.
Legale und illegale Privatisierung der Sicherheit und Minderung der Reichweite staatlicher Ordnungsfunktionen einerseits und expandierende Informalisierung und Kriminalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten andererseits sind komplementäre Folgen des herrschenden neoliberalen Globalismus. Die Kriminalisierung erstickt alle unternehmerischen Initiativen zur Selbsthilfe in der Sphäre der Schattenglobalisierung, denn bei Erfolg wird unter Androhung von Gewalt abkassiert. Daher dürfte es illusionär sein, auf alternative emanzipatorische Vergesellschaftungsformen zu hoffen, die sich aus der Schattenglobalisierung heraus entfalten könnten. Massive illegale Migration ist regelmäßig die Folge gewaltökonomischer Regulierung, auch ohne den Kontext Krieg. In der Emigration, die meist illegale Immigration bedeutet, schließen das staatliche Gewaltmonopol und rechtsstaatliche Instanzen des Gastlandes die Lebenssphären illegaler MigrantInnen nicht ein, obwohl ihre Arbeitskraft ökonomisch ein fester Bestandteil der jeweiligen nationalen Ökonomien ist. Dies macht sie fast automatisch anfällig für eine Integration in transnationale kriminelle Netzwerke.
Die Gewaltsteuerung transnationaler Netzwerke, z.B. des Drogen-, Waffen- oder Menschenhandels ist zwangsläufig entterritorialisiert. An beliebigen Punkten der Transaktionsketten kann es notwendig werden, mit "regulativer Gewalt" Störungen bei der Zirkulation von Waren und Geld zu begegnen. Zur Funktionslogik wirtschaftskrimineller Netzwerke gehört es aber auch, daß sie die Existenz der regulären Märkte nicht gefährden dürfen, denn nur wenn das Einschleusen in letztere gelingt, können sie die Erträge ihres kriminellen Tuns realisieren. Dies macht die Symbiose der beiden Globalisierungsprozesse aus. Denn wenn Warlords wirtschaftlich notwendig auf transnationale Operationsräume angewiesen sind, dann stellt sich die Frage, ob die sich daraus ableitende übergreifende ökonomische Netzwerklogik nicht schließlich die ursprüngliche territoriale Kriegslogik bestimmen muß. Weiterführend ist zu fragen, ob das nicht zu einer Entterritorialiserung bzw. Transnationalisierung der vorherrschenden Gewaltlogiken und damit zur Transformation von Kriegen in scheinbar diffuse Gewaltformen führen muß.
Forschungsstrategisch bedeutet dies, die Dichotomie Krieg und Nicht-Krieg zu überwinden und gesellschaftliche Gewalt allgemein mit dem Arbeitsbegriff "regulative Gewalt" übergreifend zu differenzieren. Dies wird nicht einfach sein, denn die Funktionslogik von Schattenglobalisierung schließt Transparenz aus. Für volkswirtschaftliche Analyse von Schattenglobaliserung fehlt es an verläßlichen Daten, die notwendig wären, um das methodische Instrumentarium der herrschenden Volkswirtschaftslehre zu einsetzen zu können. Die herrschende Lehre blendet alles jenseits der regulären Ökonomie mehr oder weniger aus. Aus diesem Blickwinkel wäre die Beschäftigung mit der Schattenglobalisierung, auf der auch Kriegsökonomien gründen, eine inhaltliche Rekonstruktion der Begriffes Volkswirtschaft. Schließlich kann man die zunehmende Ersetzung des Begriffes Politik durch Krieg gegen Drogen, Terroristen und andere Kulturen bei der ideologischen Aufrüstung des amerikanischen Wahlvolkes als ungewolltes Eingeständnis interpretieren, daß die neoliberale Doktrin unvermeidlich zu gewaltträchtigen Konfrontationen führt.