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letzte Änderung:03.01.2011
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Eckardt Opitz (Hg.)
50 Jahre Bundeswehr - 50 Jahre Offizierausbildung

Ein Beitrag der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg. Bremen (Ed. Temmen) 2007. 144 S., Abb. (= Schriftenreihe des wissenschaftlichen Forums für internationale Sicherheit, Bd. 24), 15,90 EUR. - Führungsakademie der Bundeswehr 1957-2007, 50 Jahre. Hamburg [u.a.] (Mittler) 2007. 87 S., zahlr. Abb., graph. Darst., Kt., 15.00 EUR.

Zwei zentrale, in Hamburg ansässige (Aus-)Bildungseinrichtungen der Bundeswehr haben das 50-jährige Bestehen der Bundeswehr im Jahre 2005 und 50 Jahre Führungsakademie im Jahre 2007 zum Anlass genommen, in Festschriften die Entwicklung ihrer Institution zu beleuchten. Der von Eckardt Optitz edierte Band ordnet das Entstehen der Universität der Bundeswehr in die Bildungsgeschichte des Offizierskorps in Preußen bzw. Deutschland ein. Dadurch wird die außerordentliche politische Tragweite der unter der sozial-liberalen Regierung durchgesetzten radikalen Reform der Offiziersausbildung durch Gründung von zwei Bundeswehruniversitäten erkennbar. Denn das deutsche Offizierskorps war traditionell bildungsfeindlich und ausschließlich militärfachlich orientiert. Zuletzt hatte sich das 1943 in der Wehrmacht manifestiert, als Offizieren das Führen von akademischen Titeln verboten wurde. Diese Tendenz gewann gegenüber von General Wolf Graf Baudissin (1907-1993), der 1958 ins NATO-Hauptquartier "entsorgt" wurde, maßgeblich geprägten liberalen Programmatik während der ersten fünfzehn Jahre wieder stark an Boden, bis Helmut Schmidt den Kurs korrigierte.

Von über 13.000 aus der Wehrmacht übernommenen Offiziere vefügte kaum die Hälfte über das Abitur. Entgegen dem Leitbild des "Bürgers in Uniform", das ausschließlich funktionsbezogene Befehlsbefugnis vorsah, griffen 1960 restaurative Tendenzen wieder Platz und es galt wieder das allgemeine Vorgesetztenverhältnis, also eine umfassende hierarchische Befehlsbefugnis in allen militärischen Bereichen. Der Umgang mit der Vergangenheit war alles andere als politisch sensibel. Kasernen wurden u.a. nach SS-Generälen benannt, erste Offizierslehrgänge fanden in der ehemaligen NS-Ordensburg in Sonthofen statt. Übernahmen aus dem stark SS-lastigen Bundesgrenzschutz erfolgten reibungslos. Das alles muss man dem damals herrschenden Zeitgeist zuordnen. Die US-Streitkräfte haben die Wehrmacht vor allem militärfachlich wahrgenommen und waren geradezu wehrmachtsbegeistert. Die FDP machte unter dem schneidigen Offizier Erich Mende Wahlkampf mit dem revanchistisch-expansiven Motto "Deutschland - viergeteilt niemals", während Adenauer mit "dreigeteilt niemals" punktete. Die NATO-Manöver, an denen die neue Bundeswehr beteiligt war, gingen vom Abwurf hunderter Atomwaffen und 1,8 Millionen Toten im Kriegsfall aus. Der Zivilschutz, im Wesentlichen eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für ehemalige Wehrmachtsangehörige, propagierte die Aktentasche über dem Kopf und Konserven im Keller für den Fall, dass die angenommene Manöverlage Realität würde.

Nach einer langen Reihe von Bundeswehrskandalen sollte im Kontext der Nach-68er-Reformdiskussionen (Georg Picht für den Bildungsbereich) der Vorgabe der Inneren Führung (Baudissin in der Gründungsphase der Bundeswehr) "Bürger in Uniform" endlich in der Bundeswehr zum Durchbruch verholfen werden. Gutachterlich konzipiert von Thomas Ellwein - einem damals sehr bekannten Politologen und Bildungsforscher - und politisch durchgesetzt vom späteren Namensgeber und damaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt konnte mit dieser Maßnahme gegen anhaltenden Widerstand, besonders beim Heer, aber auch in weiten Teilen der Gesellschaft, verhindert werden, dass die massive traditionalistische Restauration in der Bundeswehr endgültig Platz griff.

Die Festschrift der Führungsakademie hingegen ist ein im Wesentlichen ehrliches Protokoll der zähen Auseinandersetzungen um die inhaltliche Ausgestaltung der laufbahnprägenden Lehrgänge. Die Beiräge in der Festschrift sehen die Ausbildung angesichts der in den letzten Jahren erreichten Veränderungen und Anpassungen an die geänderten Anforderungen für die Zukunft gerüstet. Übersehen wird dabei, dass die Offiziersausbildung immer nur mit zum Teil erheblichem zeitlichen Abstand auf geänderte politische und technische Rahmenbedingungen reagiert hat. Hierzu jeweils ein Beispiel aus der Vergangenheit. Die z.T. rückwärtsgewandte erste Offiziersgeneration - darunter viele gerade erst aus sowjetischer Gefangenschaft entlassene Offiziere - hatte die Straßen auf dem Gelände der Führungsakademie nach "deutschen" Orten benannt, die jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 lagen und zum Eroberungsprogramm des NS-Regimes gehörten. Erst nach 1990, als erstmalig Besuche von Generalinspekteuren der betreffenden Staaten in Blankenese bevorstanden, hat man diese Symbole revanchistischer Programmatik eilig heruntergenommen. Auch moderner elektronischer Informationszugang und mobile Telefonkommunikation haben die Bundeswehr erst mit mehr als einer Dekade Verspätung erreicht. Tatsächlich muss das Reformtempo in den militärischen Bildungseinrichtungen eher noch beschleunigt werden.

Wenig stilvoll, aber vielleicht leider zugleich bezeichnend ist die Tatsache, dass Anzeigen von Herstellern von Kriegsgerät fast ein Viertel der Festschrift ausmachen. Hierin spiegelt sich ein noch immer nicht überwundenes Selbstverständnis, das Truppe und Rüstungsindustrie als besondere "hoheitliche" Handlungseinheit sieht. Tatsächlich jedoch steht der Bundeswehr ein tiefgreifender Umbruch bevor. Die "Produktion von Sicherheit" wird verstärkt sogenannten Public-Private-Partnerships übertragen, soweit sie nicht gänzlich privatisiert wird. In den Beiträgen zur Festschrift lassen sich die vielfältigen Probleme dieser neuen Qualität von "Sicherheitsproduktion" nicht einmal erahnen. Es steht daher zu fürchten, dass gebotene Veränderungen der Curricula weiter nur mit großer Verspätung vorgenommen werden.

Das abgedruckte Grußwort des Hamburger Ersten Bürgermeisters Ole von Beust ist in seiner Ignoranz fast peinlich. Es tischt typische Hamburgklischees als hanseatisches Selbstverständnis auf: Friedenswille, Toleranz und Weltoffenheit, und er leitet daraus ab, dass diese Gemeinsamkeit mit dem unterstellten Ethos der Bundeswehr sicher dazu beigetragen habe, dass die Führungsakademie vor 50 Jahren die Hafenmetropole als "ihren geistigen Ankerplatz" gewählt hat. Tatsächlich dürfte Hamburg zur zweitgrößten Garnisonsstadt in der alten Bundesrepublik geworden sein, weil es hier in großer Zahl unzerstörte militärische Liegenschaften im 1937 geschaffenen Groß-Hamburg und seiner unmittelbaren Nachbarschaft gab.

Die sozialdemokratische Weimarer Zeit hatte Hamburg eine beeindruckende öffentliche Infrastruktur (1919 die Universität, Schulen und öffentliche Einrichtungen) sowie große Wohnungsbauprojekte hinterlassen. Die Kasernen der Kaiserzeit waren demilitarisiert und oft zu sozialen Einrichtungen umgewidmet worden. Nur noch Straßennamen wie Sedanstraße, soweit sie von der britischen Besatzung nicht geändert wurden, erinnern heute daran.

Die NS-Zeit in Hamburg hingegen war, neben dem Kriegsschiffbau, fast ausschließlich vom Bau von neuen Kasernenanlagen (S. 30) und Bunkern (S. 119) sowie nie realisierten Plänen (Hochbrücke über den Hafen etc.) des größenwahnsinnigen Ausbaus Hamburgs zur "Führerstadt" geprägt. Während allein in den Bombennächten der Aktion Gomorrha 1943 fast die Hälfte (44%, s. Karl Christian Führer, Meister der Ankündigung. Nationalsozialistische Wohnungsbaupolitik, in: Hamburg im Dritten Reich, Göttingen 2005, S. 442) aller Wohnungen in Hamburg zerstört wurden, blieben die zahlreichen neuen Kasernenanlagen - man fragt sich aus welchen Gründen - weitestgehend unzerstört.

Die Millionenstadt Hamburg war daher als Standort für die Bundeswehr opportun, weil sie sich angesichts des großen politischen Widerstandes gegen Aufrüstung Mitte der 1950er-Jahre unauffällig in den zahlreich vorhandenen, von der britischen Besatzung freigegebenen Kasernen einrichten konnte.

Peter Lock