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letzte Änderung:03.01.2011
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Herfried Münkler, Die "neuen" Kriege

Hamburg (Rowohlt) 2002, 286 Seiten

Es gibt noch Autoren, die mit sprachmächtigen Essays das Lesen zu einer angenehmen Tätigkeit machen. Münklers Buch belegt dies. Es handelt sich um sechs weitgehend eigenständige Essays, die als Kapitel nicht wirklich zwingend miteinander verbunden das Thema "neue Kriege" aus verschiedenen Perspektiven ausleuchten. Aufbauend auf einem interessanten und fundierten Oeuvre zum Thema Krieg, das der Autor in den letzten beiden Jahrzehnten vorgelegt hat, entwickelt er ein Feuerwerk politischen Feuilletons, das aber nie die solide wissenschaftliche Bodenhaftung verliert. Damit erschließt er die schwierige Materie der Transformation des klassischen Staatenkrieges zu diffuseren Formen der Gewalt, die sich der Einhegung durch das Kriegsvölkerrecht entziehen, für eine breite Leserschaft. Das Medienecho auf dieses Buch sollte vielen Wissenschaftlern als Ansporn dienen, ihre Erkenntnisse ähnlich diskursfähig zu präsentieren. Denn ohne Leser keine Aufklärung.

Im ersten Essay leuchtet Münkler das aktuelle Kriegsgeschehen aus. Es ist eine Bestandsaufnahme der aktuellen Forschung, deren Ergebnisse er übersichtsartig präsentiert und kommentiert. Im Vorgriff auf die folgenden Essays verweist Münkler nachdrücklich auf die Rolle des Nationalstaates, wie er sich nach dem dreißigjährigen Krieg zunächst in Europa herausgebildet hat. Die Trennung von Gewaltanwendung und Erwerbsleben ist eine wichtige, meist nicht hinreichend gewürdigte Leistung dieses Staates. Schwäche oder gar Verschwinden von Staatlichkeit schafft Räume für Akteure, für die kriegerische Gewalt sich zum Erwerbszweck verstetigt. Mangels staatlichen Rahmens, in dem eine Mehrheit eine Beendigung der kriegerischen Gewalt durchsetzen kann, sind kleine gewaltunter-nehmerische Minderheiten in der Lage, eine Fortsetzung des Krieges gegen große Mehrheiten zu betreiben(S.27). Scheinbar irrationale Gewaltakte erklären sich als effizientes Angstmanagement der Akteure. Bei der Lektüre dieser eloquenten tour d'horizon muß man aber immer gegenüber problematischen oder nicht wirklich empirisch gesicherten Befunden auf der Hut sein. Ausgesprochen problematisch ist der Verweis auf den von Dießenbacher geprägten Begriff des Überbevölkerungskriegers,der die globale ökonomische Verursachung des als Überbevölkerung wahrgenommenen Zustandes ausblendet. Das affirmative Referat bestimmter Thesen zur Rolle von Vergewaltigung im Kriegsgeschehen erscheint mir voreilig und sollte als interessante Hypothese gelesen werden. Schließlich ist darauf zu verweisen, daß die rasch anwachsende Diskussion unter Ökonomen, die sowohl eher polit-ökonomisch (z.B. Frances Stewart) als auch statistisch vergleichend (z.B. Paul Collier) geführt wird, von Münkler nicht referiert wird.

Im zweiten Essay wird der dreißigjährige Krieg überzeugend als Vergleichfolie für heutiges Kriegsgeschehen herangezogen. Der Parameter ist der Aufstieg und Fall des Staates als Gewaltmonopolist, der zu dieser erneuten Regression des Krieges geführt hat. Es folgt eine fundierte Skizze der Verstaatlichung des Krieges. Entscheidend für die Einhegung durch das Völkerrecht ist die Symmetrisierung des Krieges und die damit einhergehenden hohen Kosten des Krieges für industriell entwickelte Staaten. Mit berechtigter Schärfe mockiert sich Münkler über den aufgeblasenen politologischen Diskurs zum Paradigma des demokratischen Friedens. Denn der empirische Befund eines Zusammenhanges zwischen demokratischer Staatsform und der Abwesenheit von zwischenstaatlichen Kriegen läßt sich mit den horrenden Kosten und Schäden erklären. Aus der OECD-Welt übertragbar, in der er festgestellt wurde, ist dieser Befund nicht. Diese Einsicht ist von praktischer Bedeutung für die politische Konfliktprävention. Im vierten Essay diskutiert Münkler sehr anschaulich die Ökonomie der Gewalt in den neuen Kriegen. Im Zentrum steht die Figur der Warlords, die als wirtschaftlich global vernetzte Akteure in der transnationalen Schattenwirtschaft agieren. Wirtschaftliche Aktivitäten von Warlords werden anschaulich geschildert. Die Auswahl ist freilich nicht repräsentativ. Es wird auch nicht thematisiert, daß die schattenwirtschaftlichen Spezialisierungen unterschiedlichen Restriktionen unterliegen, die ihrerseits die konkrete Gewaltökonomie bestimmen. Laut Münkler hat es einen Modernisierungsschub gegeben, für den die Globalisierung konstitutiv ist. Etwas überraschend und nicht wirklich abgeleitet faßt Münkler zusammen.

Im Prozeß de wirtschaftlichen Globalisierung sind Kriege billig geworden, und offene Kriegsökonomien lassen sich relativ leicht errichten. Unter diesen Umständen ist großräumig und langfristig organisierte Gewaltanwendung, als die man Kriege definieren kann, wieder zunehmend lukrativ geworden, und das wiederum hat entscheidend dazu beigetragen, daß es in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer umfassenden Entstaatlichung und Privatisierung des Krieges gekommen ist.(S.173)

In dieser allgemeinen Form ist die Verknüpfung von Globalisierung und neuen Kriegen zumindest mißverständlich. Denn konstitutiv für die Räume in denen sich kriegerische Gewalt mit ökonomischer Logik entfaltet, ist die weltweite soziale Fragmentierung und Schwächung staatlicher Regulierungsfähigkeiten als Folge von Globalisierung neoliberaler Prägung. In diesem Kontext entwickelt sich Schattenglobalisierung äußerst dynamisch als operativer Raum für Kriegsökonomien. Außerdem sind Zweifel anzumelden, ob Münklers Differenz zwischen den chinesischen Warlords, die vorgeblich in geschlossenen Agrarwirtschaften operiert haben, und den heutigen schattenwirtschaftlich global vernetzten Warlords nicht eher der Lektüre Wittfogels und Skinners (asiatische Produktionsweise etc.) geschuldet ist, als der Realität der chinesischen Bürgerkriege nach 1912. Immerhin haben u.a. eine Hundertschaft arbeitsloser Reichswehroffiziere unter Leitung von Seeckts nach seiner Pensionierung in China als Ausbilder, Militärberater, Waffenhändler, Rohstoffexporteure in den chinesischen Bürgerkriegen eine für sie lukrative und für die deutsche (Rüstungs)Industrie in der Zwischenkriegszeit wichtige Rolle (Wolframimporte und illegale Waffenexporte) gespielt. Die Parallelen zur kurzzeitigen Rolle von Executive Outcomes (arbeitslose Militärs aus der Apartheidära) in Angola und Westafrika sind offenkundig.

Der fünfte Essay arbeitet das derzeit unvermeidliche Thema Terrorismus ab. Es ist dennoch lesenswert, weil er den Terroristen immer wieder mit dem Partisanen bzw. Guerrillero abgleicht. Dies ist schließlich das Feld, auf dem sich Münkler schon lange einen Namen gemacht hat. Allerdings vermutet der Verlag offenbar auch Analphabeten unter den Käufern dieses Buches, denn er meinte, in dieses Kapitel ein Bild der rauchenden Twin Tower einfügen zu müssen.
Im abschließenden Kapitel nähert sich Münkler der unvermeidlichen Frage, Was tun?, an. Da der zwischenstaatliche Krieg ein Auslaufmodell ist, lohnt es kaum noch, sich um eine weitere völkerrechtliche Einhegung zu bemühen, was in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem eine Domäne der Europäer war. Aus europäischer Sicht ist die Wiederherstellung von Staatlichkeit die notwendige Antwort auf terroristische Bedrohungen. Die Vereinigten Staaten setzen dagegen offenbar auf einen lange dauernden, womöglich permanenten Krieg gegen terroristische Organisationen. ... Es wäre ein Krieg an einer neuen <imperialien Barbarengrenze>, der immer wieder aufflackern würde. S.241

Die Lektüre dieses kleinen Buches ist ungeheuer anregend, ein gelungener Appetizer. Es ist aber bereits im Titel nicht zu übersehen, daß die politische Wissenschaft ihren analytischen Offenbarungseid gegenüber den gegenwärtigen Manifestationen bewaffneter Gewalt hinter der Vokabel neu versteckt. Statt neu könnte man ohne jeden inhaltlichen Verlust andere Kriege oder etwas anderes als Kriege sagen. Gäbe man aber den Begriff Kriege auf, dann verlöre die Politologie eine ihrer Domänen. Es ist keineswegs zufällig, daß die Soziologie sich deutlich früher und konzeptionell innovativer mit den gegenwärtigen Formen bewaffneter Gewalt auseinandergesetzt hat . Woran gilt es also weiterzuarbeiten?

Es ist sicher notwendig, die kapitalismuskritische Rede von der Globalisierung der Gewalt (Joachim Hirsch) analytisch bis auf die Mikroebene herunterzubrechen, denn dabei erst werden die vielen Widersprüche sichtbar und in politische Gegenstrategien umsetzbar werden. Nur wenn die Menschen in der ökonomischen Ausgeschlossenheit des gegenwärtigen (amerikanischen) Imperiums des Chaos (Alain Joxe) für sich Handlungsoptionen erkennen, die eine demokratische Regulierung ihrer unmittelbaren wirtschaftlichen Lebensgrundlagen beinhalten, wird eine Trennung von Gewalt und Markt wieder zum Fluchtpunkt politischer Strategien werden. Hierzu ist es notwendig, die Thesen Münklers zur Gewaltökonomie systematisch weiter zu entwickeln. Wenn Warlords wirtschaftlich in transnationalen Räumen operieren, dann stellt sich klar die Frage, ob sich daraus nicht eine Entterritorialiserung ihrer Gewaltlogik ergeben muß. Zumal gilt, was Münkler nicht deutlich ausführt, daß Schattenökonomie und reguläre Ökonomie in einem symbiotischen Verhältnis stehen und jeder Warlord seine Gewaltlogik so kalibrieren muß, daß die Austausch- und Geldwaschsphäre mit der regulären Ökonomie nicht gefährdet wird. Was für die Politologen die Länge der Kriege zu erklären scheint, ist möglicherweise ein systemisches Merkmal der heutigen Warlords, die man vorsichtiger als Gewaltunternehmer bezeichnen sollte. Denn es könnte sich herausstellen, daß die dominanten Gewaltunternehmer längst der Logik transnationaler Netzwerke unterworfen sind. Wir hätten es dann mit einer Diffusion des Krieges, auch der sog. neuen Kriege zu tun. Für diese These spricht, daß systemische Transformationen z.B. in Brasilien und Rußland mit einer rasanten Steigerung der Mordraten verbunden waren, hinter denen sich ökonomisches Gewaltmanagement in jenen Räumen verbirgt, aus denen sich der schwache Staat als Gewaltmonopolist längst verabschiedet hat.

Hamburg, 11. Oktober 2002