Dr. Peter Lock
European Association for Research on Transformation e.V.

DeutschEnglish
Home
About Peter Lock
I search information on
Publications
Texts Orchard as a hobby
Search
Imprint
Links


Dr. Peter Lock
c/o EART e.V.
Auf der Koppel 40
D - 22399 Hamburg
Germany

Phone +49-(0)40-60671088
Telefax +49-(0)40-60671087
Private +49-(0)40-6027975
E-mail: Peter.Lock@t-online.de

last updated:03.01.2011
printable version Open printable version

Menschenrechtsvorlesungen 2001 zum Thema
"Geschäfte mit dem Tod – Rüstungstransfers und Menschenrechte"

veröffentlicht in: Rüstungstransfers und Menschenrechte, amnesty international (Hg.), Münster (LIT-Verlag) 2002

Zur politischen Ökonomie der Nachfrageseite in bewaffneten Konflikten: Gewaltunternehmer als zentrale Akteure

Kindersoldaten, die in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren in bewaffneten Konflikten in Afrika und Teilen Asiens Angst und Terror verbreitet haben, sind willfährig gemachte Instrumente von Gewaltunternehmern, deren Geschäfte nur in einem kriminellen Umfeld florieren. Die militärische Aufgabe von Kindersoldaten ist die totale Destabilisierung jedweder rechtlich begründeten und als legitim akzeptierten sozialen Ordnung. Zusätzlich zu automatischen Gewehren und reichlich Munition werden die Kinder häufig mit Drogen versorgt, um die letzten Handlungsschranken bei den Kämpfern zu überwinden und so die terrorisierende Wirkung ihrer Aktionen zu steigern. Ziel dieser Gewaltunternehmer ist es, wirtschaftlichen Tausch in dem von ihnen beherrschten Gebiet der Gewaltsteuerung zu unterwerfen und Überschüsse für sich zu erpressen. Allerdings setzt Gewaltsteuerung für die Kriegsakteure voraus, daß es Kanäle gibt, angeeignete Waren, und häufig auch Dienstleistungen wie Prostitution, durch Agenten in der Schattenwirtschaft, meist zu Dumpingpreisen, in die reguläre globale Waren- und Finanzzirkulation einzuschleusen und so Devisen zu erwirtschaften. Denn die Produktionsmittel der Gewaltsteuerung, vor allem Kleinwaffen, Munition und Kommunikationsmittel, z.B. Mobiltelefone, sind auf den global fungierenden Schwarzmärkten nur gegen Devisen, in der Regel Dollars, erhältlich.

Die Einbindung von Gewaltunternehmern unterschiedlichster Couleur in globale Handels- und Finanzströme wird spätestens sichtbar, wenn nach beinahe jedem internen bewaffneten Konflikt oder gewaltsamem Umsturz eine Suche nach illegalen Konten der unterlegenen Akteure in der Schweiz und anderen fiskalischen Pirateninseln der Weltwirtschaft beginnt. Denn jeder Gewaltunternehmer träumt von einer janusköpfigen Identität, die es ihm bei Geschäftsaufgabe ermöglicht, als unauffälliger Steuerbürger in der Schweiz, in Miami, in London oder am Mittelmeer zu residieren. Das hohe Preisniveau von Luxusimmobilien in den von Gewaltunternehmern und Diktatoren präferierten Regionen wird von der Immobilienbranche mit "exotischer" Nachfrage erklärt.

Kinder als Gewaltakteure

Um das heutige Phänomen "KindersoldatInnen" besser zu verstehen, muß man sich die Kette wirtschaftlicher Transaktionen zu veranschaulichen, die stattgefunden haben müssen, bevor ein Kind zum bewaffneten Gewaltakteur ausgerüstet wird. Denn der Beschaffungswert für das automatische Gewehr und hundert Schuß Munition, mit denen Kindersoldaten in der Regel abgelichtet werden, entspricht häufig dem durchschnittlichen Jahreseinkommen pro-Kopf in der betreffenden Region. Außerdem muß der Bewaffnung eines Kindersoldaten in der Regel eine devisenbringende Exporttransaktion vorausgegangen sein, aus der die Mittel zur illegalen Beschaffung der Waffen stammen. Schließlich muß der Gewaltunternehmer, der in die Rekrutierung und Ausrüstung von Kindersoldaten investiert, sich in Abwägung gegen andere legale oder weniger legale Anlagemöglichkeiten Vorteile von gerade dieser Investition versprechen. Hinter der von uns Fernsehkonsumenten als Wahnsinn wahrgenommenen Erscheinung Kindersoldat steht also ein unternehmerisches Kalkül. Denn weder die betreffenden Kinder noch deren Familien verfügen über das notwendige Vermögen, um die Ausrüstungsinvestition zum Kindersoldaten zu bewerkstelligen.
Zu allen Zeiten haben politische Systeme verschiedenster Art Kinder in vor- und paramilitärischen Formationen indoktriniert und in Kriegen mißbraucht. Dennoch ist festzuhalten, daß jene Kindersoldaten, über die in Westafrika, aber auch in Südostasien berichtet wird, einen neuen Typus bilden, der sich in vieler Hinsicht von SoldatInnen im Kindesalter in sogenannten Befreiungsbewegungen vor dem Ende des Kalten Krieges unterscheidet. Die "neuen" Kriegsunternehmer kennen und anerkennen keine moralischen Schranken bei der Organisation von Gewalt zur Durchsetzung ihrer ökonomischen Agenda. Hierzu setzen sie Buben und mänliche Jugendliche ein, weil sie gemessen am Mitteleinsatz den höchsten Wirkungsgrad haben. Außerdem besteht keine unmittelbare Gefahr, daß diese sich als konkurrierende Gewaltunternehmer zu positionieren versuchen. Daß die so usurpierten Jugendlichen in manchen Fällen dennoch eigene Agenden der Nutzung von Gewalt entwickeln und es den Hintermännern dabei wie Goethes Zauberlehrling geht, gehört zu den verwirrenden Widersprüchen des Gewaltgeschehens im Kontext von zerfallener Staatlichkeit.

Hingegen hatten insbesondere sogenannte Befreiungsbewegungen häufig Mädchen und junge Frauen in den militärischen Kampf integriert. Die emanzipatorische Ideologie vieler Befreiungsbewegungen, die auf eine gänzlich andere Gesellschaft zielte, führte logisch zu gleichberechtigter Teilnahme von Mädchen und Frauen am Befreiungskampf. Historische Beispiele, wie etwa Algerien, verweisen jedoch darauf, daß der emanzipatorische Anspruch nach der Konsolidierung der Macht rasch wieder einkassiert wird und Frauen wieder ins zweite Glied und in traditionelle Rollen verwiesen werden.

In metropolitanen Armutsgürteln in großen Teilen der Welt sind jugendliche Banden eine Annäherung an das aktuelle Phänomen von KindersoldatInnen. Im Unterschied zu den KindersoldatInnen sind sie jedoch eher eine selbstbestimmte Reaktion auf ihre perspektivlose Situation, die man als intergenerationelle Apartheid beschreiben kann. Eine reguläre Teilnahme am gesellschaftlichen Erwerbsleben bleibt ihnen überwiegend versagt. Der Zutritt zur medial allgegenwärtigen Welt des Massenkonsums ist nur durch regelverletzendes Verhalten und radikale Normenbrüche erreichbar. In vielen Gesellschaften bietet die kriminalisierte Drogenszene Kindern und Jugendlichen erste Schritte zu ökonomischer Eigenständigkeit in einem gewaltdominierten Umfeld. Eher kleinkriminelle Aktivitäten sind der Ausgangspunkt für das Entstehen von gewaltgesteuerten Banden, die in sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen jeweils auf ihrem Territorium das Gewaltmonopol beanspruchen.

In Algerien sind mehr als fünfzig Prozent junger Menschen arbeitslos. Die, die an der Mauer lehnen, ist ein stehender Begriff für junge Männer geworden. Aus städtischen Ballungsgebieten in Algerien wird beschrieben, daß sehr junge gewaltkriminelle Männer unter Führung eines selbsternannten Emirs kleinräumlich das Gewaltmonopol ausüben. Hinter der Aneignung dieser religiösen Folie durch jugendliche Gewaltakteure steht jedoch keine wirklich politische Strategie, obwohl die massive staatliche Repression in Algerien genau dies unterstellt. Gewaltformationen, die als Folge intergenerationeller Apartheid unter jungen Menschen ohne Chance auf eine respektierte gesellschaftliche Rolle entstehen, werden so als fundamentalistischer Feind in den diffusen internen Krieg integriert, den die Militärmachthaber seit einem Jahrzehnt blutig führen (Martinez 1969).

Ein ganz anderer Ausdruck des aktiven Protestes junger Menschen gegen gesellschaftliche Ausgeschlossenheit, der auf Gewalt rekuriert, sind die Rapmusik (Gangster Rap) in den USA oder der Reggae aus Jamaika, die durch Gewaltverherrlichung bei gleichzeitiger Geringschätzung des eigenen Lebens geprägt sind. Diese Musik und ihre Texte drücken eine Befindlichkeit von in gesellschaftlicher Ausgeschlossenheit Lebenden aus. Ein Ausbrechen und sozialer Aufstieg erscheinen nur durch den Einsatz unmittelbarer Gewalt mit Pistole oder mit automatischem Gewehr möglich und zugleich erstrebenswert. Diese Musik nimmt konkret Bezug auf prestigeverleihende Waffenmarken und reflektiert so eine einzelkämpferische Dimension dieser Gewalt, ohne klare gesellschaftsideologische Folie.

Die bewaffnete Gewalt als scheinbar legitimes Mittel, sich gesellschaftlich zu positionieren, wird nicht nur in Komputerspielen in vielen Varianten reproduziert. Die virtuellen Figuren von erfolgreichen, identitätsbildende Waffengewalt simulierenden Komputerspielen werden mit menschlichen "Imitaten" in Filmen (Lara Croft) vermarktet, in denen gesellschaftliches Leben als durch Schußwaffengebrauch strukturiert präsentiert wird. Auf derartige Filme beziehen sich wiederum die Identitätsdiskurse der Ausgeschlossenen ausdrücklich und zwar nicht nur in den Ursprungsghettos von Hiphop und Reggae. Von den Rambo-Filmen etwa wird berichtet, daß sie weltweit Jugendliche zur Nachahmung angeregt haben. Von den von uns als Kindersoldaten identifizierten Jugendlichen im Einzugsbereich der RUF-Rebellen im bewaffneten Konflikt in Sierra Leone berichtet Paul Richards (1996), daß Rambo aufgrund der Filme ein Idol für die jugendlichen Gewalttäter war.
Betrachtet man die Entwicklung des Charakters bewaffneter Konflikte und die Rolle Minderjähriger darin genauer, dann wird deutlich, daß der Begriff Kindersoldat das Spektrum der Erscheinungsformen von jugendlichen Gewalttätern im Umfeld bewaffneter Konflikte nicht abdeckt. Wenn man von Jugendlichen in Streitkräften in einigen Industriestaaten absieht, so erfüllen die als Kindersoldaten bezeichneten Jugendlichen, außer daß sie bewaffnet sind und morden, nur selten Merkmale, die man üblicherweise dem Begriff Soldat zuschreibt.

Die Nachfrage nach Rüstungsgütern

Sieht man von wenigen Ausnahmen ab, wie etwa Indien, Pakistan und arabischen Erdöldiktaturen, so sind die Rüstungslieferungen aus den Industrienationen in die Dritte Welt im Vergleich zum Kalten Krieg auf ein Niveau abgesunken, das wahrscheinlich nicht reicht, numerisch die Bestände zu sichern. Das liegt zum einen an der Verschuldungssituation der meisten Länder und zum anderen an den geänderten Aufgaben der Streitkräfte als Reaktion auf zunehmende innergesellschaftliche Destabilisierung, die zumeist mangelnder wirtschaftlicher Entwicklung geschuldet ist.

Die Streitkräfte in vielen Ländern der Dritten Welt haben einen Funktionswandel endgültig vollzogen, der schon lange im Gange war, aber durch die mittelbare Blockanbindung während des Kalten Krieges verdeckt blieb. Die militärische Landesverteidigung war in den meisten Fällen immer nur eine hypothetische Aufgabenstellung, auf die die Streitkräfte nie wirklich ausgerichtet waren. Inzwischen ist in sehr vielen Ländern die Arbeitsteilung zwischen Polizei und Militär gänzlich aufgehoben. Nicht die Bedrohung von außen, sondern innergesellschaftliche Konflikte im Kontext fragmentierter Gesellschaften und zerfallender Staatlichkeit bestimmen das Aufgabenfeld der Streitkräfte. Entsprechend handelt es sich heute bei der überwiegenden Zahl bewaffneter Konflikte um innerstaatliche Auseinandersetzungen. Diese Entwicklung bestimmt auch die Nachfrage nach Rüstungsgütern, die das vergleichsweise niedrige militärische Niveau innergesellschaftlicher Konflikte widerspiegelt. Ausnahmen hiervon findet man dort, wo Kriegsparteien auf Arsenale zurückgreifen können, die während der Kalten Krieges gefüllt wurden.

Die militärische Logistik der nichtstaatlichen Parteien in solchen Konflikten ist auf Zugänge zu den internationalen Schwarzmärkten für Waffen angewiesen. Aufgrund der Illegalität solcher Transaktionen ist es nur in Ausnahmefällen möglich militärisches Großgerät transferieren, denn es läßt sich nur schwer auf den illegalen Transportwegen verschleiern. Kleinwaffen und andere leicht transportierbare Infanteriewaffen hingegen bilden den Kern illegaler Waffenangebote, die allem Anschein zufolge auf jede zahlungsfähige Nachfrage prompt und zuverlässig reagieren.
Insgesamt reicht das Spektrum von Nord-Süd Rüstungstransfers im wesentlichen von korrupt bis illegal. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, daß zwischen zehn und zwanzig Prozent des legalen Rüstungsauftragsvolumens in der Dritten Welt für Bestechung auf allen Ebenen ausgegeben wird. Der flüchtige deutsche Staatssekretär aud dem Verteidigungsministerium ist in diesem Geschäftsfeld nur ein sehr kleiner Fisch. Mit den Rüstungstransferdaten des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes SIPRI hochgerechnet ergibt sich als Schätzgröße für das jährliche Bestechungsvolumen immerhin etwa einer Milliarde US $, das sich u.a. in Nachfrage nach Geldwäsche und Immobilienkäufen in exotischen Orten, am Mittelmeer, in London oder der Schweiz niederschlagen dürfte.

Es liegt in der Natur der Illegalität, daß es keine wirklich seriösen Schätzungen des jährlichen Volumens illegal transferierter Waffen gibt. Da es sich bei den meisten bewaffneten Konflikten der Gegenwart um militärische Aktionen niedriger Intensität handelt, dürfte sich dieses Handelsvolumen auf eher niedrigem Niveau bewegen. Im Kontext der gesamten industriellen Produktion und des Exportes ist dies in jedem Fall eine eher bescheidene Größe und sollte eigentlich keinen Anlaß für ausdrückliche staatliche Förderung bieten. Die Dynamik dieses Geschäftsfeldes rührt von den hohen Gewinnmargen her, die mit der kriminellen Energie steigen, die notwendig ist, um bei schwierigen Lieferbedingungen erfolgreich zu sein. Entsprechend variieren laut Erhebungen des Small Arms Survey 2002 die Schwarzmarktpreise für automatische Gewehre zwischen 50 und 4000 US $. Je schwächer Staatlichkeit ausgebildet ist, um so leichter haben es die Akteure des globalen Schwarzmarktes, sich mit der nachgefragten Ware zu versorgen, als auch die Ware zum Empfänger zu bringen. Das Angebot an Kleinwaffen auf dem globalen Schwarzmarkt scheint derzeit überwiegend aus den Transformationsländern in Mittel- und Osteuropa zu stammen. Aber es wird auch berichtet, daß "beendete" bewaffnete Konflikte ebenfalls für Nachschub auf den internationalen Schwarzmärkten für Waffen sorgen. So klagt Südafrika über illegale Zuflüsse von Waffen aus Mozambique, die sich in erhöhter Gewaltkriminalität niederschlagen.
Das Herzstück des internationalen Schwarzmarktes für Kriegswaffen ist die logistische Kapazität, mit der Anbieter aufwarten können. Wenn über Waffenschmuggel durch Luftabwurf und Landung auf provisorischen Flugfeldern berichtet wird, dann ist durchgängig von Flugzeugen sowjetischen Baumusters die Rede. Hierbei spielen in exotischen Finanzparadiesen registrierte private Fluggesellschaften eine zentrale Rolle (Wood, Peleman 2000). Fluggerät und Personal stammen aus der zerfallenen Sowjetunion bzw. den Beständen einiger Nachfolgestaaten. Die Flugzeuge wurden auf wenig transparente Weise privat angeeignet, in den Westen verbracht und bieten nun "Risikoflugdienstleistungen" an, mit denen bewaffnete Formationen in Afrika, Lateinamerika und Asien militärischen Nachschub erhalten. In dieser Branche sind Abwürfe mit Fallschirmen und Landungen auf obskuren Pisten und Flüge, die von den gemeldeten Routen abweichen, Teil des Geschäftes, das gegen Vorkasse abgewickelt wird.
Aber diese illegalen Geschäftsfelder würden nicht existieren, gäbe es nicht eine zahlungsfähige Nachfrage nach Waffen und vor allem Kleinwaffen in großen Mengen. Daher soll nunmehr der Frage nachgegangen werden: Wie werden die Ressourcen generiert, die die den internationalen Schwarzmarkt für Kriegsgerät für kriminelle Akteure so attraktiv machen? Hierbei ist immer die Frage zu stellen, weshalb es nicht zu einer alternativen, auf wirtschaftliche Entwicklung ausgerichteten Verwendung der Mittel kommt.

Globalisierung auf allen Ebenen

Globalisierung ist so etwas wie eine Metapher für die Gegenwart. Von ihr wird permanent geredet. Jedoch bezieht sich der politische Diskurs überwiegend auf die Entwicklungen in der regulären Ökonomie und läßt dabei außer Acht, daß wir parallel mit dynamischen Globalisierungsprozessen täglich konfrontiert werden, die sich außerhalb der staatlich kontrollierten Sphäre ereignen. Hierbei handelt es sich um jene Teile der realen Gesellschaft, der sich außerhalb unserer wohlfahrtsstaatlich organisierten Ordnung entfalten. Sie zeichnen sich durch eine außerordentliche, alle nationalen Grenzen überschreitende Dynamik aus. Man kann sie mehr oder weniger deutlich in informelle, oft als ungesetzlich geltende Erwerbs- und Subsistenztätigkeiten und organisierte kriminelle Aktivitäten aufteilen. Ein gemeinsames Merkmal ist der jeweils ausdifferenzierte globale Netzwerkcharakter, der zumeist unterschätzt wird. Denn diese Erscheinungen treten nur ausnahmsweise in die Lichtkegel der Medien, weil alle Akteure irgendwie außerhalb der legalen Ordnung agieren und mediale Aufmerksamkeit meiden müssen. Man kann diese Entwicklungen als dynamischen Prozeß der Schattenglobalisierung bezeichnen.
Diese Schattenglobalisierung ist keineswegs auf die Dritte Welt oder Transformationsgesellschaften in Osteuropa beschränkt. Denn trotz Schengen und high-tech Überwachung vor allem der Ostgrenzen Deutschlands sind in verschiedenen Gewerbezweigen und in Dienstleistungsbereichen wie häusliche Krankenpflege "informelle" AusländerInnen zu hunderttausenden tätig. Auch die Akteure der internationalen organisierten Kriminalität sind realgesellschaftlicher Teil der Wohnbevölkerung in Deutschland. Handelsketten und die Deutsche Post haben diese gesellschaftliche Wirklichkeit längst anerkannt und kommunizieren auf großen Hinweisschildern mit diesen Akteuren in ihrer jeweiligen Muttersprache. Die Firma ALDI in verweist in sechs Sprachen, darunter polnisch, rumänisch, russisch und türkisch darauf, daß sich kein Geldschrank in der jeweiligen Filiale befindet. Die Deutsche Post plakatiert gleich in zehn Sprachen, daß das Personal keine Möglichkeit hat, Einbrechern Zugang zum Safe zu verschaffen.
Um die Nachfrage nach Kleinwaffen und die unterschiedlichen Formen bewaffneter Gewalt zu verstehen, ist es zunächst notwendig, die ineinander verwobenen Globalisierungsprozesse in der regulären, der informellen und der kriminellen Ökonomie analytisch zu erfassen. Die Betrachtung der Weltwirtschaft als ein Zusammenspiel von drei Sektoren erleichtert es, den verbreiteten Verfall von Staatlichkeit und die Langlebigkeit vieler bewaffneter Konflikte der Gegenwart zu erklären. Die unterschiedliche sozial-ökonomische Entwicklung der in eine globalisierte Ökonomie integrierten Staaten läßt sich als ein unterschiedliches Mischungsverhältnis regulärer, informeller und krimineller Sphären der jeweiligen Volkswirtschaften erklären.
Das Zusammenwirken dieser drei Sphären ist durch asymmetrische Tauschbeziehungen gekennzeichnet, d.h. Preise bilden sich nicht in einem fairen Marktprozeß, vielmehr sind außerökonomische Machtverhältnisse bestimmend. Zugleich bestimmt das jeweilige Mischungsverhältnis der drei Bereiche die soziale Topographie und vor allem die Organisation von individueller und innergesellschaftlicher Sicherheit. Denn mit abnehmender Leistungsfähigkeit des Staates kommt es zu einer umfassenden Privatisierung von Sicherheit. Aus dem Menschenrecht physischer Unversehrtheit und Sicherheit der persönlichen Lebenssphäre wird zunehmend eine Ware, deren Erwerb einkommensabhängig ist. Außerhalb der Sphäre regulärer Ökonomie mit ihren wohlfahrtsstaatlichen Leistungen bleibt das staatliche Monopol legitimer Gewalt meist ohne Wirkung. Sicherheit muß durch kommunitäre, latent immer gewaltförmige Selbstorganisation geschaffen werden. Der kriminellen Protektion (Racket) eröffnen sich jenseits und an den Rändern der Staatlichkeit weite Geschäftsfelder. Die latenten Gefahren einer Gewalteskalation und eines Überganges zu innergesellschaftlichen bewaffneten Auseinandersetzungen sind in derartigen Formen der Organisation von Sicherheit geradezu angelegt. Territoriale Konflikte sind ein zentrales Merkmal krimineller Gewaltkontrolle durch Banden.
Das realgesellschaftliche Geflecht der verschiedenen Sphären des Globalisierungsprozesses läßt sich mit Hilfe einer kurzen Charakterisierung der drei Sektoren ein wenig entzerren und so transparent machen.

1. Sektor: Der reguläre Sektor in der globalen Ökonomie ist durch eine rechtliche Ordnung gekennzeichnet, die Transaktionen für alle Marktteilnehmer berechenbar macht. Es werden überwiegend Steuern entrichtet, auch wenn das Niveau der Besteuerung als Folge weltweiter Standortkonkurrenz allgemein abnimmt. Diese Steuern sind aber die unverzichtbare wirtschaftliche Basis von Staatlichkeit. Es gilt der einfache Satz, ohne Steuern kein Staat. Die Steuerbasis in zahlreichen postkolonialen Staaten beschränkte sich auf Export und Import, so daß vielfach mit der erheblichen Verschlechterung der Terms of Trade hinreichender Staatlichkeit die finanzielle Basis entzogen wurde.
Im Hinblick auf die weitere Entwicklung ist festzuhalten, daß die mageren Wachstumsraten der regulären Ökonomien und der sich daraus ergebende Arbeitskräftebedarf global nicht mit dem Wachstum der Weltbevölkerung im erwerbsfähigen Alter Schritt halten und somit die Zahl der im regulären Sektor Erwerbstätigen im Vergleich zur Gesamtzahl der Personen im erwerbsfähigen Alter strukturell abnimmt.

2. Sektor: Die informellen Sektoren absorbieren global bei weitem den größten Teil der erwerbsfähigen Bevölkerung. Selbst in der relativ entwickelten Region Lateinamerika hat das Internationale Arbeitsamt (ILO) einen Anteil des informellen Sektors von 56 % an der Erwerbsbevölkerung (EAP = economically active population) ermittelt. Bezogen auf die Zahl der Teilnehmer wächst dieser Sektor am schnellsten. Rechtsstaatliche Regeln haben nur sehr begrenzte Geltung. Asymmetrische Machtstrukturen, unkontrollierte Androhung und Anwendung von Gewalt sind sozialräumliche Merkmale der Lebenssphären von Menschen, die in den informellen Sektor abgedrängt leben. Sieht man von gelegentlicher Zahlung von Mehrwertsteuer ab, wenn in der Informalität Lebende als Konsumenten mit der regulären Ökonomie in Tauschbeziehungen treten, tragen die informellen Sektoren nicht zur Erhaltung und Reproduktion des Staates durch Zahlung von Steuern bei.

Gleichwohl trägt der informelle Sektor in erheblichem Umfang zur individuellen Wohlfahrt der in die reguläre Ökonomie integrierten Personengruppen durch billigste Dienstleistungen unterschiedlichster Art bei. Diese marginalen Einkommen aus informeller Erwerbstätigkeit werden aber zusätzlich dadurch gemindert, daß kriminelle Akteure sich erpresserisch als unverzichtbare Gewaltakteure einbringen und anstelle von Steuern des entfernten, real nicht existierenden Staates Schutzgeldzahlungen erzwingen.
Die Perspektiven der informellen Sektoren sind sehr widersprüchlich. Es gibt beeindruckende Beispiele sozialer Kreativität bei den Bemühungen, das Leben bzw. das Überleben an den breiten Rändern der Gesellschaft eigenständig zu organisieren. Dabei entstehen durchaus neue Formen der Vergesellschaftung. Überwiegend ist jedoch zu beobachten, daß die Armut zu einem intergenerationellen Abstieg bzw. einer Verfestigung der Ausgeschlossenheit führt. Dies schlägt sich darin nieder, daß Jugendliche häufig das Bildungsniveau ihrer Eltern nicht erreichen, weil entweder Kinderarbeit unverzichtbar ist oder kein hinreichendes Schulangebot mehr existiert. Der Vektor sozialer Mobilität und Integration in die reguläre Ökonomie ist auch deshalb sehr begrenzt.

3. Sektor: Die global vernetzten Sphären krimineller wirtschaftlicher Betätigung weisen die höchsten Wachstumsraten bei Umsatz und Profit auf. In ihnen treten an die Stelle rechtsstaalicher Regelungen latente und manifeste Gewaltverhältnisse; sie bilden die Geschäftsgrundlage. Es werden selbstredend keine Steuern gezahlt und somit kein Beitrag zur Reproduktion des Staates geleistet. Allerdings gibt es Fälle, in denen sich wirtschaftskriminelle Akteure eines Staatsorganes oder gleich des gesamten Staatsapparates eines schwachen ('failed') Staates bemächtigt haben, um die Geschäfte besser betreiben zu können. Die Übergänge sind fließend, wie man in Liberia am Beispiel der Rollenwechsel und Doppelrollen von Herrn Taylor als Warlord und gewählter Präsident beobachten kann. Bei der kriminellen Sphäre handelt es sich um ein parasitäres Gebilde, dessen Aktivitäten Teile der regulären und der informellen Ökonomien usurpieren und sie dabei miteinander verknüpfen, so daß die definitorische Abgrenzung nicht immer leicht ist.
Das weltweite BKP (Bruttokriminalprodukt) wird inzwischen auf jährlich 1500 Mrd. US-Dollar geschätzt (Willman 2001), wovon gut ein Drittel auf Drogengeschäfte entfällt. Zum Vergleich: Das BSP Afrikas beträgt 330 Mrd. US-Dollar, wovon ein Drittel alleine auf Südafrika entfällt. Die korruptive Brisanz dieses enormen wirtschaftlichen Potenzials wirkt in zwei Richtungen. Einerseits sind die kriminellen Akteure bemüht, ihr Kapital in die reguläre Ökonomie zu schleusen, so daß die Nachfrage nach Geldwäsche kriminellen Druck auf die Randzonen des internationalen Bankensystems ausübt. In unbedeutende Kleinststaaten, nach Israel und in die Schweiz fließen Gelder aus den Grauzonen der globalen Ökonomie, um sich dort in legale Fonds und Konten zu transformieren. Die OECD hat dieses Problem erkannt und die betreffenden Staaten abgemahnt, bislang jedoch ohne wirklich großen Erfolg.

Der veränderte Charakter bewaffneter Konflikte

Anstelle der vergleichenden Ausleuchtung einer verwirrenden Vielfalt von Fallstudien wird zunächst ein allgemeines idealtypisches Schema entwickelt, das sich in höchst unterschiedlichen Varianten in gegenwärtigen Konflikten beobachten läßt. Bei genauerem Blick auf die jeweilige Konfliktgenese wird erkennbar, daß es sich bei der Radikalisierung von ethnischen, religiösen und sozialräumlichen Gruppenidentitäten meist um instrumentelle Vorgänge handelt, bei denen reale oder perzipierte Ressourcenkonkurrrenz eine zentrale Rolle spielen. Mittelbares Ziel der Intensivierung von Gruppenidentitäten ist ein privilegierter Zugang zu Ressourcen im perzipierten Wettbewerb mit anderen Gruppen. Entsprechend entwickelt sich eine Aktion – Reaktion Logik dergestalt, daß sich andere Gruppen gegen reale oder auch nur perzipierte Benachteiligung wehren. Politisch zielt solche Radikalisierung meist auf eine Usurpierung des Staates und den Ausschluß der "anderen". Bei der Durchsetzung des Gruppeninteresses wird Rechtsstaatlichkeit meist als Behinderung oder gar Bedrohung dargestellt. Die politische Logik derartiger Entwicklungen ist vergleichbar mit der aktuellen Abkehr der Vereinigten Staaten von völkerrechtlichen Geboten im selbsterklärten Krieg gegen den Terrorismus.
Bei der Aufhebung von Rechtsstaatlichkeit angekommen wird Identitätspolitik zu einer opportunen Plattform für Wirtschaftskriminalität. Politik und korrupt-kriminelles Unternehmertum verschmelzen zu einer Einheit. Es entsteht die Figur des Politikunternehmers, der Identitätsideologien für die eigene Bereicherung mißbraucht und schließlich mit Gewalt seine Interessen durchsetzt, was als Selbstverteidigung der Gruppe oder notwendige "Säuberung" stilisiert wird. Die Radikalisierung von Identitätspolitik führt zur umfassenden Gewaltsteuerung der wirtschaftlichen Abläufe. Der Schritt zu einem offenen innergesellschaftlichen bewaffneten Konflikt ist dann nicht mehr weit.

Derartige Prozesse sind regelhaft mit einem gesamtwirtschaftlichen Niedergang verbunden. In diesem Niedergang kommt es aber gleichzeitig zur Polarisierung der Einkommensverteilung, die "Politikunternehmer" sind dabei die großen Profiteure. Der Übergang zu einem bewaffneten Konflikt bedeutet eine strukturelle Verstärkung von Gewalt als gesellschaftliche und wirtschaftliche Regelinstanz. Gleichzeitig "legitimiert der Notstand" die Beseitigung der letzten Reste politischer Kontrolle. Die Politikunternehmer werden Kriegsunternehmer, die sehr genau darauf achten, daß der bewaffnete Konflikt die eigenen wirtschaftlichen Interessen nicht beeinträchtigt. Identitätspolitik und Konflikt bilden die Grundlagen für Macht und Reichtum dieser Kriegsunternehmer, die ihre Position oft zurecht durch eine politische Konfliktbeendigung und Wiederherstellung einer transparenten staatlichen Ordnung gefährdet sehen. Die fatale Dynamik der serbischen Identitätspolitik unter Milosevic nach dem Ende des Kalten Krieges illustriert diese in Kriegsunternehmertum endende Logik.

Gewaltsteuerung und bewaffnete Konflikte beschleunigen den wirtschaftlichen Niedergang , so daß nicht selten die Quellen der Bereicherung tendenziell versiegen. Daher richten sich die kriegerische Gewalt und deren politische Inszenierung häufig auf die Erschließung neuer Ressourcen, die angeeignet werden können. Hierzu gehört der Ausverkauf von Rohstoffen und Schürfrechten zu Dumpingpreisen an ausländische Spekulanten, die eher der Sphäre der Schattenglobalisierung zuzurechnen sind. Darüber hinaus geraten die Erzwingung finanzieller Unterstützung durch die Diaspora der jeweiligen Gruppe und andere einseitige Zuflüsse, insbesondere humanitäre Hilfe regelmäßig in das Visier von Kriegsunternehmern. Als weitere Möglichkeit bleibt eine sozialräumliche Erweiterung des Konfliktes.
Auch die nichtstaatlichen Parteien in Konflikten unterliegen einer vergleichbaren Dynamik, denn kontinuierliche Ressourcenaneignung ist eine unverzichtbare strategische Voraussetzung für die Führung eines bewaffneten Konfliktes. Es wirken die gleichen gewaltgesteuerten ökonomischen Logiken. Mehr noch, für die Akteure der bewaffneten Opposition entwickelt sich der Konflikt oft zu einer privilegierten und zugleich alternativlosen Lebensweise im Kontext des kriegsbedingten wirtschaftlichen Niedergangs, der die Zivilbevölkerung in die Flucht um des Überlebens willen treibt. Im Extremfall folgen die Kriegsakteure sogar der Zivilbevölkerung in Flüchtlingslager, um dort ihre gewaltbasierte Herrschaft und Ausbeutung fortzusetzen. Diese Entwicklung stellt die Trägerorganisationen internationaler humanitärer Hilfe vor nahezu unlösbare Probleme bei der Versorgung notleidender Flüchtlinge und der gleichzeitigen Wahrung des Neutralitätsgebotes (ICRC 1997).

Diese grobe idealtypische Skizze bildet natürlich die jeweilige gesellschaftliche Komplexität bewaffneter Konflikte nur unvollständig ab. Aber sie macht deutlich, daß die Sphären der Schattenglobalisierung konstitutiv für das Kriegsunternehmertum in bewaffneten Konflikten und für korrupte Eliten in zerfallenden Staaten sind. Das Konfliktgeschehen nach Beendigung der Alimentierung im Rahmen der Ost-West Konfrontation ist im Kern von kriegsunternehmerischen Aktivitäten geprägt. Diese müssen in globale Netzwerke eingebunden sein und durch Exporte die Logistik des Kriegsgerätes sichern. Überwiegend dürften es Tauschbeziehungen in den Sphären sein, die hier als Schattenglobalisierung beschrieben wurden. Hierdurch wird die Intensität der bewaffneten Konflikte ein kriegsunternehmerisches Kalkül, dessen Parameter von der persönlichen Bereicherung und der Perspektive der Kriegsunternehmer und der jeweiligen Verfügbarkeit aneigenbaren Ressourcen bestimmt werden. Dies erklärt unter anderem das häufig begrenzte militärische Niveau der bewaffneten Auseinandersetzungen, in denen militärische Aktionen überwiegend auf die Zivilbevölkerung zielen. Waffenstillstände dienen vorrangig der Konsolidierung der kriegsunternehmerischen Interessen, die sich daher auch nicht in dauerhafte Konfliktbeendigung transformieren lassen (Bojicic / Kaldor. 1997; Reno 1998; Bougarel 1996, dt. 1999; Lechervy 1996, dt. 1999, de Waal 1997). Das ökonomische Grundmuster bewaffneter Konflikte spiegelt sich auch in den häufigen, der Logik von vorgeblichen Identitätskonflikten widersprechenden Allianzwechsel von sogenannten Warlords (Marsden 1998; Rashid 2000; Maley ed. 1998).

Der Charakter von bewaffneten Konflikten als gewaltbasierte Produktionsweisen macht es schwierig, derartige Konflikte zu beenden, denn dazu bedarf es einer leistungsfähigen Strategie und eines stabilen politischen Konsenses, um die jeweils real existierende Kriegsökonomie und die daran geknüpften "Besitzstände" in transparente marktwirtschaftliche Verhältnisse zu transformieren. Dabei sind faire, international überwachte Wahlen als vorrangiges Mittel der Konfliktüberwindung höchst problematisch. Denn kein Kriegsunternehmer wird je das Prinzip "the winner takes all" akzeptieren, wenn er der Verlierer ist und nicht nur seine politische Entmachtung, sondern seine Enteignung als Ergebnis einer demokratischen Wahl drohen. Aus diesem Grunde kann auf Kriegsökonomien, die bei innergesellschaftlichen Konflikten immer duopole Strukturen aufweisen, kein willkürlicher Neuanfang folgen. Die oft beschworene Stunde Null des Neuanfangs ist eine Fiktion, der internationale Schlichtung und die privatwirtschaftliche "Hilfsindustrie" nur allzu leicht aufsitzen. Vielmehr muß realistischerweise vor allem eine politisch robuste Transformation von Kriegsökonomien konzipiert werden, wenn die Gefahr erneuten Konfliktes gering gehalten werden soll. Wahrscheinlich erfordert eine solche Transformation in jedem Falle massive Zuflüsse von außen, die allerdings sorgfältig konditioniert sein müssen, da sie andernfalls als "windfall profit" in die bestehenden Strukturen integriert werden.

Die Einhegung der Nachfrage

Die Ausrüstung der Parteien in bewaffneten Konflikten ist letztlich das Ergebnis eines hierfür in Konkurrenz mit anderen Zielsetzungen der Akteure abgezweigten ökonomischen Überschusses. Dauern derartige Konflikte sehr lange, setzt dies eine Kriegsökonomie voraus, die in der Lage ist, den militärischen Nachschub zu finanzieren. Die Akkumulation von disponiblen Überschüssen in Kriegsökonomien beruht auf gewaltgesteuerter Umverteilung, Ausschluß von Bevölkerung, illegaler Aneignung und Erpressung sowie der Kontrolle produktiver Aktivitäten, meist Raubbau von Rohstoffen und deren illegaler Vermarktung, sowie gelegentlich auf Zuflüssen von außen. Handelt es sich bei den Überschüssen um Waren, dann müssen diese auf den Weltmärkten zumindest illegal verkäuflich sein. Mit fortschreitender Dauer unterliegen die staatlichen und die nichtstaatlichen Konfliktparteien den gleichen ökonomischen Zwängen. In Kriegsökonomien interner Konflikte werden vorhandene Reproduktionsmuster der informellen und kriminellen Sektoren radikal gesteigert und durch Umverteilung und Ausschluß von Bevölkerung zu Ressourcenzugängen für die Alimentierung des bewaffneten Konfliktes disponibel gemacht.

Es ist in der Regel den engen ökonomischen Schranken geschuldet, daß in den meisten bewaffneten Konflikten der Gegenwart vor allem Kleinwaffen, leichte Infanteriewaffen und dual-use Gerät (z.B. LKWs und Telekommunikation) zum Einsatz kommen. Soweit die Güter nicht frei erhältlich sind, werden zahlungsfähige Käufer von kriminellen Waffenhändlern und korrupten Unternehmen bestens bedient. Daher sind Versorgungsengpässe bei den Konfliktparteien vorrangig auf mangelnde Leistungsfähigkeit der jeweiligen Kriegsökonomien oder seltener auf Störungen der illegalen Logistik zurückzuführen.

Zu den wesentlichen Ressourcen von Bürgerkriegsparteien gehören: Drogenhandel, illegaler Export von Rohstoffen, vor allem Mineralien und rücksichtslose Ausbeutung der lokalen Biosphäre, Aneignung humanitärer Hilfsgüter und deren illegale Vermarktung, Ausschluß von Bevölkerung und Aneignung deren Eigentums (dies erklärt u.a. die extrem hohen Flüchtlingsströme und internen Vertreibungen), (politische) Erpressung der jeweiligen Diasporabevölkerung in Industrie- oder erdölexportierenden Ländern (informelle Kriegssteuer) (Jean / Rufin 1996 dt.1999). Schließlich gibt es Sonderfälle, in denen die Ausschaltung einer konkurrierenden Exportökonomie durch politische Unruhe aus der Sicht potenter Akteure vorteilhaft ist und mit Beiträgen in die Kriegskasse belohnt wird (z.B. Tschetschenien).

Kriegsökonomien sind besonders verwundbar, wenn ihre produktiven Ressourcen Anlageinvestitionen voraussetzen, die zerstört werden können. Hierzu gehören besonders Erdölleitungen, Bergbau und Rohstoffverarbeitung, entsprechend reduzieren sich produktive Aktivitäten in Kriegsökonomien auf überwiegend arbeitsintensive Produktion. Der Einschlag von Edelhölzern oder die Suche nach Diamanten in Flüssen und an der Oberfläche sind daher typische Elemente von Kriegsökonomien. Eine besondere Konstellation findet sich in Angola, wo die Regierungspartei sich auf die reichen Einkünfte der Erdöllizenzen im off-shore Bereich stützen kann, der außerhalb der militärischen Reichweite der UNITA liegt. Inwieweit dieser seltene strategische Vorteil des staatlichen Akteurs sich letztlich konfliktentscheidend erweisen wird, bleibt abzuwarten.

Bürgerkriegsökonomien alimentieren sich ganz wesentlich durch Transaktionen, die zumindest vom mittelbaren Zugang zum regulären Bereich der Weltwirtschaft abhängen. Dieser Zugang wird im Zweifelsfalle durch "Hehler" unter Vereinnahmung eines Extraprofits ermöglicht. Der wahrscheinlich prominenteste Hehler war bis vor kurzem der Diamantenoligolopolist De Beers, der es der UNITA in Angola über zwanzig Jahre ermöglicht hat, sich politischen Lösungen zu verweigern.

Würden die Industriestaaten die Überwachung der Rohstoffmärkte im Hinblick auf "kriminelle Einspeisung" aus Bürgerkriegsökonomien ernsthaft betreiben, würden zahlreiche dieser Ökonomien sehr rasch kollabieren und damit auch lang andauernde Kriege zu einem Ende kommen. Ebenso ist die Erpressung von Kriegssteuern in der Diaspora ein Bereich, in dem die rechtsstaatlichen Ordnungen der entwickelten Länder entweder versagen oder auf einem Auge blind sind. Sowohl die Drogenökonomie als auch der Bereich humanitäre Hilfe sind ebenfalls zuvorderst Bereiche, in denen die rechtsstaatlich verfaßten Industrienationen zwangsläufig aktive Partner von Kriegsökonomien sind. Aus diesem Grunde ist die zunehmend demonstrierte politische Resignation gegenüber dem vermeintlichen Chaos in diesen Staaten und der Gewaltdynamik in lang andauernden internen bewaffneten Konflikten unangemessen. Denn die tatsächliche wirtschaftliche Partizipation der Industrienationen in der Reproduktion von Kriegsökonomien, zumeist vermittelt durch das Medium tolerierter Schattenökonomien, ist offenkundig und deren Duldung ein politisch-moralischer Skandal, der dringend Veränderungen erheischt.

Somit ist es im Hinblick auf eine logistische Austrocknung von internen bewaffneten Konflikten wichtig, die Austauschphären in den Blick zu nehmen, in denen sich der zumeist kriminell generierte Überschuß von Kriegsökonomien, welche Form er auch immer haben mag, in Devisen transformiert. Denn Devisen sind das unabdingbare Tauschmedium auf den internationalen Schwarzmärkten für militärisches Gerät. Hiervon aber ist der Diskurs über die Kontrolle illegaler Proliferation und Diffusion von Kleinwaffen bislang weit entfernt. Dennoch käme es auf der Nachfrageseite des illegalen Waffenhandels gerade darauf an, die illegalen Zugangsmöglichkeiten zu Weltmärkten und sonstige Formen der Devisenbeschaffung für Konfliktparteien zu unterbinden.

Literatur:

Bojicic, Vesna; Kaldor, Mary (1997), The political economoy of the war in Bosnia-Herzegovina, in: Mary Kaldor; Basker Vashee eds., New Wars, London (Pinter) 1997, S.137-176.

Bougarel, Yavier (1996), L´'économie du conflit bosniaque : entre prédation et production, in : François Jean ; Jean-Christophe Rufin eds., Économie des guerres civiles, Paris (Hachette), S.233-268. (dt. Ökonomie der Bürgerkriege, Hamburg (Hamburger Edition) 1999).

Carbonnier, Gilles, Fleming, Sarah (2000), War, Money and Survival, Genève (ICRC).

ICRC (1997), World Disaster Report 1997, Geneva 1997.

Kaplan, Robert D. (1996), The Ends of the Earth, A Journey at the Dawn of the 21st Century, New York (Random House).

Lechervy, Gilles (1996), L'économie des guerres cambodgiennes : Accumulation et dispersion, in : François Jean ; Jean-Christophe Rufin eds., Économie des guerres civiles, Paris (Hachette), S.189-232. (dt. Ökonomie der Bürgerkriege, Hamburg (Hamburger Edition) 1999).

Lock, Peter (2001), Kleinwaffen – Eine Herausforderung für den Weltfrieden, Stiftung Entwicklung und Frieden, Policy Paper 17.

Lock, Peter (2001), Ökonomien des Krieges, in: Joachim Betz; Stefan Brüne, Entwicklungsfinanzierung, Neues Jahrbuch Dritte Welt, Opladen (Leske+ Budrich), S. 173-186.

Lock, Peter o.J., www@Peter-Lock.de

Maley, William (1998), Fundamentalism Reborn? Afghanistan and the Taliban, New York (New York University Press).

Marshden, Peter (1998), The Taliban War, Religion and the New Order in Afghanistan, London (ZED Books).

Matinez, Luis (1998), La guerre civile en Algérie 1990-1998, Paris (Karthala).

Rashid, Ahmed (2000), Taliban The Story of the Afghan Warlords, London (I.B.Tauris).

Reno, William (1998), Warlord Politics and African States, Boulder London (Lynne Rienner Publishers).

Richards, Paul (1996), Fighting for the Rainforest, War, Youth & Resources in Sierra Leone, James Currey (Oxford).

Small Arms Survey 2002, Oxford i.E.

Waal, Alex de (1997), Contemporary warfare in Africa, in: Mary Kaldor; Basker Vashee eds., New Wars, London (Pinter) 1997, S.287-332.

Willman, John (2001), Cleaning up, in. Financial Times (Europe) 21.09.01 p.16.

Wood, Brian; Peleman, Johan (2000), Making the Deal and Moving the Goods, in: Lora Lumpe ed. Running Guns The Black Global Market in Small Arms, London (ZED Books), S. 129-154.